Montag, 8. Juli 2019

David Chalmers: Bin ich mein Gehirn?

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David Chalmers hat 1995 den Ausdruck vom „schwierigen Problem des Bewusstseins“ (the hard problem of consciousness) geprägt. Darunter versteht er die Frage, warum es überhaupt Erlebnisgehalte – oder Qualia – gibt. Warum tut es etwa weh, wenn ich mir mit einer Nadel in den Finger steche? Wir verstehen einiges von den internen Prozessen, die in einer solchen Situation ablaufen: Von unserem Finger werden Signale ins Gehirn geleitet, dort finden komplexe Verarbeitungsprozesse statt. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren können wir sogar herausfinden, welche Prozesse im Gehirn ablaufen, wenn wir Schmerzen im Finger erleben. Nur, so Chalmers, wir haben dennoch nicht die geringste Ahnung, warum es dabei weh tut! Warum passieren all diese Prozesse nicht, ohne dass dabei auch nur ein Funken Bewusstsein entsteht? Dies ist das harte Problem des Bewusstseins und auch das klassische Qualiaproblem, wie es von Thomas NagelFrank Cameron Jackson und Joseph Levine formuliert wurde.
Dem schwierigen Problem stellt Chalmers ein „einfaches“ (the easy problem of consciousness) Problem gegenüber. Dieses einfache Problem umfasst all die psychischen Phänomene, die nicht direkt von der Frage nach dem Erlebnisinhalt bzw. den Qualia abhängen. Also etwa LernenGedächtnisDenken oder Problemlösen. Es sind solche Themen, bei denen die neuro- und kognitionswissenschaftliche Forschung viele Fortschritte macht. Nun will Chalmers mit seiner etwas provokanten Rede vom „einfachen Problem“ keineswegs sagen, dass die Ergebnisse dieser Wissenschaften trivial sind. Nur im Vergleich mit der Frage nach dem Erlebnisgehalt handelt es sich um einfache Probleme, da sie sich mittels funktionalistischer Methoden lösen lassen. Die Naturwissenschaften (und mit ihnen die Neurowissenschaften) bedienen sich solcher Erklärungsmodelle, die mit Strukturen, Funktionen und Vergleichen arbeiten. Diese Methoden scheitern (bislang), wenn es um eine „objektive“ bzw. allgemeingültig-wissenschaftliche Erklärung der Qualia geht. Demzufolge wissen wir sehr grob, wie z. B. eine Erklärung des Lernens aussehen könnte, wir haben aber nicht den Hauch einer Ahnung, wie eine Erklärung unserer Erlebnisse aussehen könnte.
Die Annahme des „hard problems“ wird von einigen Materialisten abgelehnt. Einer der vehementesten Widersacher Chalmers ist hierbei Daniel Dennett, dem zufolge sich Qualia mittels einer „Heterophänomenologie“ objektiv erklären lassen, wohingegen Dennett laut Chalmers das Problem damit nur „weg definieren“ aber nicht in der Realität lösen würde.
[David Chalmers, Das schwierige Problem des Bewusstseins, Wikipedia, abgerufen am 09.10.2019]
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David Chalmers: Bin ich mein Gehirn? | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur {1:00:30}

SRF Kultur
Am 08.07.2019 veröffentlicht 
Er ist ein hochdekorierter Philosophieprofessor und singt in einer Rockband. Er hat mit Bestnoten Mathematik studiert und glaubt an eine Art Beseelung der Welt. Und er hält die Frage nach dem Bewusstsein für das schwierigste Problem der Philosophie. Barbara Bleisch im Gespräch mit David Chalmers.
Wir alle haben ein grossartiges Kino im Kopf: Es passiert nonstop eine Menge, es gibt Farbe, Ton und sogar Geruch und Geschmack, wir können zurückspulen und uns erinnern und vorspulen und etwas planen. Das Beste daran: Wir erleben den Film. Die Frage ist nur: Was genau heisst das eigentlich? Ist das Ich, das den Film erlebt, Teil des Films – oder ausserhalb und etwas ganz anderes? Ist unser Bewusstsein letztlich nur ein Effekt einer grossartigen Filmmaschinerie, die wir Gehirn nennen?
Physikalisten meinen tatsächlich, auch das Bewusstsein lasse sich rein naturwissenschaftlich erklären. Der australische Philosoph David Chalmers ist anderer Meinung. Für ihn ist die Frage nach dem Bewusstsein nach wie vor ungelöst. Barbara Bleisch im Gespräch mit einem der kreativsten Philosophen unserer Zeit.
Literatur:
David J. Chalmers: «The Character of Consciousness (Philosophy of Mind)». Oxford University Press, 2010
David J. Chalmers (Herausgeber.): «Philosophy of Mind. Classical and Contemporary Readings». Oxford University Press, 2002
English version: https://youtu.be/LkLxuREOwok
Sternstunde Philosophie vom 30.06.2019
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SRF Kultur:
► http://srf.ch/kultur

siehe auch:
Wie kommt der Geist in die Materie? (Post, 25.01.2018)
- Sind wir wie Roboter? (Post, 08.05.2015)

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