Dienstag, 24. März 2015

Reines Beobachten

Was ist Reines Beobachten? 
Reines Beobachten ist das klare, unabgelenkte Beobachten dessen, was im Augenblick der jeweils gegenwärtigen Erfahrung (einer äußeren oder inneren) wirklich vor sich geht. Es ist die unmittelbare Anschauung der eigenen körperlichen und geistigen Daseinsvorgänge, soweit sie in den Spiegel unserer Aufmerksamkeit fallen. Dieses Beobachten gilt als «rein», weil sich der Beobachter dem Objekt gegenüber rein aufnehmend verhält, ohne mit dem Gefühl, dem Willen oder Denken bewertend Stellung zu nehmen und ohne durch Handeln auf das Objekt einzuwirken. Es sind die «reinen Tatsachen», die hier zu Wort kommen sollen. Wenn sich nun aber an ein anfänglich reines Registrieren dieser Tatsachen aus alter Gewohnheit doch wieder gleich Bewertungen und andere Reaktionen anschließen, so sollen dann eben diese Reaktionen selber sofort wieder zum Gegenstand Reinen Beobachtens gemacht werden. Eine so gewonnene innere Freiheit dem Objekt gegenüber wird durch Einübung allmählich zu einer vertrauten Geisteshaltung, die leicht verfügbar ist, wenn sie benötigt wird.
Es braucht wohl kaum besonders bemerkt zu werden, dass dieses Reine Beobachten nicht etwa für alle Lebenssituationen empfohlen werden soll, und gewiss nicht für solche, die Entscheidungen in Wort und Tat sowie planendes Handeln erfordern. Hier ist der Platz für die Wissensklarheit. Doch gerade in Situationen, die einen aktiven Response verlangen, kann das Reine Beobachten eine wichtige vorbereitende Funktion erfüllen die den Entscheidungen eine größere Verlässlichkeit und den Handlungen eine größere Erfolgsaussicht verleiht. Das Reine Beobachten wird hier empfohlen als eine methodische Übung in dafür bestimmten kürzeren oder längeren Perioden der Freizeit; sowie zur Anwendung in jenen auch im geschäftigen Alltag möglichen Momenten, in denen man für eine Weile, und sei es nur für eine Minute, vom Getriebe zurücktritt oder auch vor wichtigen Entscheidungen einige Minuten der Besinnung einfügt.

(* 21. Juli 1901 in Hanau; † 19. Oktober 1994 in Forest Hermitage, Kandy) wurde als Siegmund Feniger in Hanau geboren und war 57 Jahre lang buddhistischer Mönch in der Theravada-Tradition.)
mehr:
- Satipathâna – III. Achtsamkeit und Wissensklarheit – A) Die Übung des Reinen Beobachtens (Tipitaka (Drei-Korb), der Pali Kanon des Theravāda-Buddhismus)