Freitag, 2. November 2012

Hugo Enomiya-Lasalle – Anforderungen

Moralische soziale und charakterliche Anforderungen 

 Es wird bisweilen behauptet, im Zen spreche man kaum von Moral oder Liebe im Sinne von sozialer Tätigkeit für Arme und Kranke und andere leidende Menschen, während das doch im Christentum für sehr wichtig gehalten wird. Zum letzteren möchte ich Meister Yamada Mumon erwähnen, der jetzt alt und gebrechlich ist und zurückgezogen lebt. Er ist oder war einer der bedeutendsten Meister der Gegenwart in Japan. Als er noch rüstig war, ging er jährlich im Herbst nach Neu Guinea und blieb dort einige Wochen, um die Bevölkerung, die unter der japanischen Besatzung während des Krieges schwer gelitten hat, mit Japan zu versöhnen. Das ist nur ein Beispiel. Daß Zenmeister kein Verständnis für soziale Probleme hätten, ist nicht richtig. 


Zen of Yamada Mumon Roshi [6:25]

Hochgeladen am 06.04.2011
Jolly old Zen Master, Yamada Mumon Roshi shares his wisdom and views. This clip is from an old document - The Long Search -, perhaps from the 1970's, done and narrated by Ronald Eyre. Film was shot at the Rinzai Zen Buddhist monastery of Shofukuji, Kobe, Japan.
    
 Nun zu dem Vorwurf, daß im Zen nicht oder kaum von Moral gesprochen wird. Tatsache ist – und das weiß jeder Zenmeister – daß ein Mensch, der sich nicht bemüht, ein sittenreines Leben zu führen, sich umsonst um die Erleuchtung bemüht. Solchen Leuten kommt es überhaupt nicht in den Sinn, zu einem strengen Zenkurs zu gehen. Das ist ihnen viel zu lästig mit all den Strapazen, die man da mit auf sich nimmt. Außer den Zenmönchen selbst sind die Teilnehmer ausgenommen die Jugendlichen, die noch studieren, meistens Menschen, die einen weltlichen Beruf haben, wie Ärzte, Erzieher, Künstler, Beamte u. a. Sie machen immer die Erfahrung, daß ihnen diese Art der Meditation für ihre Berufstätigkeit von Nutzen ist, zusätzlich zu vielen anderen guten Wirkungen. So tragen die Zenmeister indirekt auch bei zu der Lösung der vielen Probleme, die in der Welt heute anstehen. Das Zen ist auch nicht asozial, weil während der Kurse beständig Stillschweigen vorgeschrieben ist. Das kommt beim Abschluß eines Zenkursus spontan zum Ausdruck durch die ungezwungene Fröhlichkeit der Teilnehmer. Darum wird auch immer wieder der Wunsch ausgesprochen, an längeren Kursen teilnehmen zu können. Zu unserer Zenhalle bei Tokyo kommen nicht nur Christen, sondern auch solche, die nicht christlich sind, seien es gläubige Buddhisten oder solche, die bewußt gar keinen religiösen Glauben haben oder sich dessen wenigstens nicht bewußt sind. Wir versuchen, niemanden dahingehend zu beeinflussen, daß er Christ wird und natürlich auch nicht, daß er Buddhist wird, sondern versuchen, jedem auf seinem Wege weiter zu helfen. Oder wie es Graf Dürckheim ausgedrückt hat: jedem zu helfen, daß er den nächsten Schritt richtig macht. 

Karlfried Graf Dürckheim - "Der Weg ist das Ziel" (Gespräch) [1:23:30]

Veröffentlicht am 12.11.2013
Gespräch aus der Reihe "Zeugen des Jahrhunderts" (1985). Mit Karl Schnelting. 
Zu Beginn und bei 14:02 fehlen leider einige Minuten.
Ein Portrait von Karlfried Graf Dürckheim ("Die Tür zum inneren Geheimnis", 1998, 45 Min) findet sich hier: http://www.youtube.com/watch?v=yy5qmb...
Siehe auch die Karlfried Graf Dürckheim-Playlist: https://www.youtube.com/playlist?list...
 Es dürfte aus dem Gesagten einleuchten, daß Zen einem Christen helfen kann, zu einem tieferen christlichen Gebet zu kommen. Es ist eine Tatsache, daß heute auch bei Christen, die es sein wollen und auch sind, die gegenständliche Meditation nicht mehr ankommt. Das ist typisch für unsere Zeit, wo das rationale oder begriffliche Denken im Bereich des Religiösen nicht mehr die Bedeutung hat, wie es am Anfang dieses Jahrhunderts bei gläubigen Christen noch der Fall war, und wie ich es selbst noch erfahren habe. Das gilt wenigstens für den westlichen Menschen. Was den östlichen Menschen betrifft, so wie ich ihn in vielen Jahren in Japan und auch in etwa in Korea kennengelernt habe, ist diese Art der gegenständlichen Meditation, wie wir sie zugleich mit dem Christentum vermittelt haben, niemals recht angekommen, wenn man Meditation als Gebet versteht, wohl aber im Sinne von besserem Verständnis des christlichen Evangeliums. Als typisches Beispiel möge das Folgende dienen. Ich hatte vor etlichen Jahren Gelegenheit in einem Noviziat von koreanischen Schwestern mit 45 Novizinnen einen Tag in der Weise des Zen zu meditieren. In der Aussprache danach sah die Reaktion so aus: Bisher haben wir in der täglichen Meditation einen Schrifttext vorgelegt bekommen, um damit zu meditieren. Dieses Mal hatten wir zum ersten Mal das Gefühl, daß wir während der Meditation beteten. 


Im koreanischen Gewand während der Zen-Exerzitien
in Korea, 1970
 Auch auf den Philippinen, die Jahrhunderte hindurch unter westlichem Einfluß gestanden haben, nicht nur politisch, sondern auch religiös wie auch in den Meditationsweisen, scheinen die einheimischen Christen ihre Identität im Religiösen wiedergefunden zu haben. Es ist ganz erstaunlich, wie viele von ihnen bei richtiger Führung in der Zen-Meditation die Erleuchtung erfahren. Es ist wahr, daß das Wort Zen vielen Menschen auch in Europa bekannt ist und auch von außen her in etwa verstanden wird, wozu auch die Sendungen im Fernsehen beitragen, in denen verhältnismäßig oft zen-buddhistische Mönche zeigen, wie sie still in der Meditation sitzen. Aber dadurch allein kann man diese Dinge nicht von innen verstehen. In unseren Zenkursen in Shinmeikutsu geben wir immer wieder von neuem die obigen Erklärungen und stellen fest, daß die Meditierenden sie besser verstehen, und so oft sie dieselben hören, besser verstehen sie auszuführen. Es sind eben Dinge, die man tun muß, um sie zu verstehen. Und: wenn man wissen will was Zen ist, muß man es praktizieren.


Erleuchtung ist nur der Anfang 


 Im Zen wird Satori geprüft, es müssen ganz bestimmte Fragen beantwortet werden. Allein der Eindruck, daß einer die Erleuchtung hat, genügt nicht. Damit jemand Zen-Meister wird, müssen noch etwa 400 bis 500 Kōan gelöst werden, einer nach dem andern, damit die Erleuchtung wirklich integriert wird. Das ist eine notwendige Voraussetzung. Doch es geht auch anders. 


 Theoretisch kann jeder Mensch zur Erleuchtung kommen, aber das setzt natürlich Verschiedenes voraus. Erleuchtung kann auch ganz plötzlich kommen, ohne daß man etwas von Zen weiß, bei irgend einer Gelegenheit und unabhängig vom Alter, und die Leute wissen in so einem Fall nicht, was es ist und wie sie damit umgehen sollen, aber sie möchten es gerne wiederhaben. Wenn sie dann zum Zen kommen und von Erleuchtung hören, fragen sie nach der Erleuchtung und sagen, so etwas habe ich schon einmal erfahren. 


 Sie erzählen, wie das gewesen ist, und diese Erleuchtung wird nun konkret geprüft: Man gibt ein ganz bestimmtes Kōan, d. h. eine paradoxe, rätselhafte Begebenheit aus dem Leben der früheren Zen-Meister und -Schüler, ein besonders schwieriges, meist das Koan »Mu«. Damit üben die Betreffenden dann einige Zeit lang, indem sie beständig das Wort »Mu« wiederholen und versuchen, überhaupt nichts zu denken, nicht zu überlegen, was das ist, sondern nur mit dem »Mu« eins zu werden. Das heißt also: keine Erwartung haben, nicht an Erleuchtung denken. Man empfiehlt den Leuten auch, das zu Hause zu üben und sich bei jeder Arbeit so auf die Tätigkeit zu konzentrieren, daß sie mit ihr eins werden - das bedeutet, ohne Egoismus dabei zu sein.



Koan Mu, eine Kaligraphie von
Yamada K
ōun Rōshi, Kamakura


 Das berüchtigte Ego, das sogenannte kleine Ich, steht den meisten im Weg, wirklich eins zu werden. Damit wird die Arbeit nicht schlechter, sondern besser. Bei manchen Tätigkeiten kann man auch das »Mu« einsetzen. Es kann dann vier oder fünf Jahre dauern, auch mehr, bis es zur Erleuchtung kommt. Jetzt muß der Mensch die damit verbundene Erfahrung integrieren, und das heißt: Er muß ein anderer Mensch werden, ein vollkommener, aufrichtiger Mensch im besten Sinne des Wortes. Das heißt nicht, diese oder jene Religion zu haben, sondern daß er ehrlich ist und sich selbstlos für die Menschen einsetzt. Im letzten Stadium, wenn er ganz umgewandelt ist, vergißt er die Erleuchtung und arbeitet selbstlos für die Menschen. 

 Erleuchtung ist ein Innewerden von der Wirklichkeit, dem Absoluten, und das verliert der Mensch auch nicht – aber die Umwandlung geschieht nicht allein durch die Erleuchtung, dazu braucht man das ganze Leben. Die Erleuchtung ist nur der Anfang! Wichtig ist, daß der Betreffende an sich arbeitet. Zuerst muß er sehen, was sein Hauptfehler, sein Haupthindernis ist, und dagegen muß er am meisten angehen. Bevor man an die Erleuchtung denkt, muß man sich bemühen, ein richtiger, guter Mensch zu werden, ehrlich, aufrichtig, mitleidig, selbstlos und treu – dann kann man die Erleuchtung anstreben. 


 Ein Mensch kann das Bewußtsein haben, daß er das Letzte erfahren hat, und das bleibt. Es wieder zu erfahren ist nicht so leicht, und das ist auch nicht die Hauptsache. Die erste Erfahrung zu vertiefen und zu integrieren ist wichtiger. Universalgültig ist die Selbstlosigkeit. Jedes kleine Ich, das rumtanzt und alles bestimmt, muß weg. Selbstlosigkeit hat es immer gegeben, in allen Religionen, aber diese zu leben, ist das Schwerste. Die Berührung mit dem Absoluten weckt sie, und dann muß man an sich arbeiten, sich auf den so markierten Weg begeben.

aus Hugo M. Enomiya-Lassalle, Mein Weg zum Zen


Einfuehrung in ZEN Meditation P Enomiya Lassalle SJ Teil 1 [13:07]
Veröffentlicht am 04.10.2012
Einführung in ZEN Meditation von Pater Enomiya Lassalle SJ aus dem Jahr 1985