Abträglich sind wertende, urteilende und verurteilende Haltungen: »Das war nicht gut genug.« »Ich scheine besser zu werden.« »Ich bin wieder schlechter.« » Jetzt läuft es gut.« Auch vergleichende Betrachtungsweisen sind nicht förderlich: »Heute Morgen war es besser, jetzt ist es schlechter.« »Der Mann, der unbeweglich vor mir sitzt, hat sicher eine bessere Meditation als ich.« Abträgliche Haltungen können kritisch sein, klagend, fordernd oder aggressiv.
Zum Glück gibt es auch förderliche Haltungen, mit denen wir der Erfahrung des Moments begegnen können: interessiert, offen, annehmend, liebevoll, gelassen. Es sind schlicht andere Qualitäten des Gewahrseins. Sofern wir mit solch hilfreichen Einstellungen präsent sind, wird die Meditation einfacher, leichter und klarer. Dabei müssen wir Acht geben, nicht zu versuchen, möglichst die richtige Einstellung hinzukriegen und uns jedes Mal, wenn wir die falsche haben, dafür zu verurteilen.
Hilfreicher ist es, nicht nur verstandesmäßig zu wissen, was förderlich ist, sondern immer wieder bewusst zu erleben, was nützliche und was schädliche Umgangsweisen mit uns machen. Wenn wir dies tun, findet ein Erkennen statt, welches diese inneren Haltungen von selbst in positiver Richtung transformiert. In diesem Sinne können wir der Achtsamkeit, dem Gewahrsein und der Erkenntnis zutiefst vertrauen. Dieses Erkennen und Lernen findet immer dann statt, wenn wir wirklich an der direkten Erfahrung interessiert und mit ihr präsent sind - immer und immer wieder von neuem.
Interessiert und gelassen, weil wir verstehen wollen
Die Moment-zu-Moment-Erfahrungen werden hier nicht aus »sicherer Distanz« betrachtet, sondern in unmittelbarem Kontakt: mit der Wärme oder Kälte der Körperempfindung, dem Pulsieren, dem Vibrieren oder dem Stechen und Zerren. Wenn die Empfindungen unangenehm sind, ist das genauso akzeptabel, wie wenn sie angenehm oder neutral sind. Wir spüren, was ist - dabei bleiben wir offen und heißen die gegenwärtige Erfahrung willkommen.
Wenn wir beim Atem sind, hegen wir keine Vorstellungen darüber, wie er sein sollte. Es mag angenehm sein, wenn er tief und fließend ist, aber es ist genau so richtig, sollte er kurz und gepresst sein. Manchmal ist er kurz, manchmal ist er lang, manchmal schnell und manchmal langsam. Auch der Körper fühlt sich einmal gut an und ein andermal überhaupt nicht. Unser Job ist es, interessiert und möglichst gelassen in Kontakt damit zu sein. Wir praktizieren nicht, um bestimmte erwünschte Erfahrungen hinzukriegen, sondern um Gewahrsein, Gelassenheit und Erkenntnis zu kultivieren.
Gelassen bedeutet hier, sich nicht gegen unangenehme Erfahrungen zu sträuben und auch nicht zu versuchen, mehr angenehme hervorzubringen. Sollten wir dies trotzdem tun – was sehr wahrscheinlich ist, da wir immer lieber mehr Angenehmes und weniger Unangenehmes haben möchten, – nehmen wir auch dies mit freundlicher Gelassenheit wahr. Dabei spüren wir, wie sich Sträuben oder Festhalten, Ablehnung oder Verlangen, Unruhe oder Ruhe anfühlen und was sie in uns bewirken. Und wir stellen fest, dass diese Reaktionen ebenfalls nur für kurze Zeit andauern und dann wieder vergehen. Sind wir auch diesen Erfahrungen gegenüber offen und entspannt?
Wir müssen uns immer wieder erinnern: Es geht um achtsames Gewahrsein. Es geht darum, zu sehen und zu erfahren, wie die Dinge wirklich sind, wie sie entstehen, sich verändern und wieder verschwinden – und nicht darum, bestimmte Erfahrungen zu produzieren und andere zu vermeiden. Wenn wir wirklich interessiert sind und in einer wohlwollenden, willkommen heißenden Art präsent, werden sich die Dinge früher oder später in heilsamer Weise verändern. Weil wir ihnen in heilsamer Art und Weise begegnen. Der burmesische Vipassanā-Lehrer U Tejaniya Sayādaw schrieb in seinem Buch Awareness alone is not enough:
»Wir praktizieren, weil wir verstehen wollen. Manche Leute scheinen die Wirkung des achtsamen Gewahrseins nicht wirklich zu schätzen. Sie glauben, das Wesentliche in der Meditation seien die Objekte, die Erfahrungen, die sie betrachten. Aber die Objekte, die Erfahrungen, spielen nicht wirklich eine Rolle. Manche verbringen viel Zeit damit, über die Resultate nachzudenken. Sie möchten angenehme, friedvolle Zustände, sie möchten Entzücken. Wenn sie das hinkriegen, haften sie an diesen Zuständen. Der große Wert der Meditation liegt nicht in dieser Art von Resultaten, wie erfreulich sie auch immer sein mögen. Der wirkliche Wert der Meditation liegt im eigentlichen Prozess des achtsamen Gewahrseins, um zu erkennen und zu verstehen, was geschieht. Dieser Prozess ist wichtig, nicht die Erfahrungen und Zustände! Wir üben uns in Gewahrsein, weil wir verstehen wollen.«*
Versuchen wir's!
... stille Meditation ...
Wenn ihr den Klang der Glocke hört, betrachtet dies bitte nicht als Signal für das Ende der Gewahrseinsübung. Das Läuten der Glocke bedeutet nur, dass die Sitzmeditation zu Ende ist, nicht aber das achtsame Gegenwärtigsein. Wir verändern die Körperhaltung, stehen auf und wechseln zur Gehmeditation. Die Praxis bleibt das kontinuierlich achtsame Gewahrsein. Ich möchte euch sehr ans Herz legen, die Zeit der Gehmeditation wirklich zu nutzen. Danke.
*Ashin Tejaniya, Awareness Alone is Not Enough, Questions and Answers with Ashin Tejaniya, http://sayadawutejaniya.org/teachings/
Fred von Allmen in: Mahāmudrā und Vipassanā: Gewahr Sein. Retreat-Unterweisungen
Fred von Allmen Interview Teil 1 {12:07}
siehe auch:
- Weil wir verstehen wollen (Fred von Allmen)
Gelassenheit - Fred von Allmen
{36:31}
Veröffentlicht am 14.09.2015
Buddhas Lehre
Ein zentraler Begriff der buddhistischen Geistesschulung ist Upekkhā („Gleichmut“), einer der vier Grenzenlosen Geisteszustände (Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut). Zum Bedeutungsspektrum dieses Begriffs gehören auch Gelassenheit, Nicht-Anhaften, Nicht-Unterscheiden, Loslassen. Diese Art von Gelassenheit soll die „Weisheit der Gleichheit“ zum Ausdruck bringen, das heißt die Fähigkeit, alle Menschen als gleich zu betrachten und keine Unterschiede zwischen sich selbst und anderen zu machen. Der Geisteszustand der Gelassenheit hat also zur Voraussetzung, die dualistische Unterscheidung zwischen sich selbst und anderen zu unterlassen.
Fred von Allmen studiert und praktiziert seit über vierzig Jahren unter Lehrenden der tibetischen Dzogchen- und Gelug-Traditionen sowie der Theravada Vipassana-Tradition. Seit 1984 lehrt er – auf der Basis einer altruistischen Motivation des Mitgefühls – einen Praxis-Weg zur befreienden Erkenntnis von Herz und Geist. Er ist Autor der Bücher 'Die Freiheit entdecken' (Arbor), 'Buddhismus' (Theseus), 'Mit Buddhas Augen sehen' und 'Buddhas tausend Gesichter' (beide Steinrich) und ist Mitbegründer des Meditationszentrums Beatenberg.
...Auf meiner Google+ Seite ( https://plus.google.com/+BuddhasLehre... ) findet ihr auch buddhistische Texte, Zeitschriften, Bücher ( PDF ) zum Lesen, Downloaden und Teilen !
Wenn ihr nach etwas, zu einem bestimmten Thema sucht: einfach fragen ! Ich schaue, ob ich etwas dazu habe.
Fred von Allmen studiert und praktiziert seit über vierzig Jahren unter Lehrenden der tibetischen Dzogchen- und Gelug-Traditionen sowie der Theravada Vipassana-Tradition. Seit 1984 lehrt er – auf der Basis einer altruistischen Motivation des Mitgefühls – einen Praxis-Weg zur befreienden Erkenntnis von Herz und Geist. Er ist Autor der Bücher 'Die Freiheit entdecken' (Arbor), 'Buddhismus' (Theseus), 'Mit Buddhas Augen sehen' und 'Buddhas tausend Gesichter' (beide Steinrich) und ist Mitbegründer des Meditationszentrums Beatenberg.
...Auf meiner Google+ Seite ( https://plus.google.com/+BuddhasLehre... ) findet ihr auch buddhistische Texte, Zeitschriften, Bücher ( PDF ) zum Lesen, Downloaden und Teilen !
Wenn ihr nach etwas, zu einem bestimmten Thema sucht: einfach fragen ! Ich schaue, ob ich etwas dazu habe.
Fred von Allmen Interview Teil 1 {12:07}
Veröffentlicht am 26.10.2016
dharma edu
Fred von Allmen - Dharma Praxis - 4 Interviews
Prof. Dr. Gerald Hüther - Gelassenheit hilft: Anregungen für Gehirnbenutzer {41:58}
Veröffentlicht am 05.04.2012
demographienetzwerk
Wilhelm Schmid: Gelassenheit {1:32:04}
Veröffentlicht am 08.11.2016
AKVorarlberg
Gelassenheit ist in jeder Lebensphase ein Gewinn, insbesondere aber beim Älterwerden, wenn das Leben schwieriger und ärmer zu werden droht. In seinem Bestseller „Gelassenheit“ schreibt Wilhelm Schmid: „Ich bin nicht im Besitz der Gelassenheit, aber sie erscheint mir erstrebenswert, um ein schönes Leben führen zu können. Gelassenheit zu gewinnen, ist vielleicht überhaupt erst im Laufe des Älterwerdens möglich: Es fällt leichter, gelassen zu werden, wenn nicht mehr alles im leben auf dem Spiel steht und die Hormone sich etwas beruhigt haben, der Schatz der Erfahrungen größer, der Blick weiter, die Einschätzung von Menschen und Dingen treffsicherer geworden ist.“