Donnerstag, 21. Juli 2016

"Eine Lüge führt zur anderen"

Warum erfinden Menschen Teile ihres Lebenslaufs? Aus Machtstreben, sagt der Forensiker Marco Löw. Allerdings spielen die Lebensumstände auch eine Rolle.

ZEIT ONLINE: Die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz hat Teile ihres Lebenslaufs frei erfunden. Warum schummeln und betrügen Menschen bei ihrer Vita, Herr Löw?

Marco Löw: Sie tun es vor allem, wenn es um Machtpositionen geht, es viel Konkurrenz gibt und die falschen Angaben in der alltäglichen Arbeit nicht sofort auffliegen können. Und wenn zugleich die Voraussetzungen sehr hoch sind, die ein Anwärter erfüllen muss, um für diese Position überhaupt infrage zu kommen. Die Politik ist ein gutes Beispiel. Abitur und abgeschlossenes Studium gelten als selbstverständlich. Vielleicht sogar Auslandserfahrungen oder ein Titel. Nicht umsonst wurden gerade in der Politik immer wieder falsche Doktoren enttarnt. Wer nicht mithalten kann und die entsprechende psychische Veranlagung hat, nimmt den einfachen Weg und mogelt sich seinen Lebenslauf zurecht. Mitunter treiben auch die Lebensumstände einen Menschen dazu, um jeden Preis eine gute Position finden zu wollen, Schulden etwa. Häufig führt dann eine Lüge zur anderen. So wird eine ganze Karriere auf einem Lügengerüst aufgebaut.

ZEIT ONLINE: Aber das muss doch auffliegen.

Löw: Nicht immer. Das Beispiel von Frau Hinz zeigt ja, dass man mit so einem geschönten Lebenslauf mehr als zehn Jahre Abgeordnete im Bundestag sein kann – ohne dass sofort auffällt, dass man weder das Abitur gemacht noch ein Jurastudium abgeschlossen hat. Es gibt solche Fälle aber auch in der Wirtschaft. Da werden vermeintliche Anwälte, Physiker oder Wirtschaftswissenschaftler CEO eines Konzerns. Der bekannteste Hochstapler Deutschland, Gert Postel, war eigentlich Briefträger. Er brachte es zwischen 1980 und 1995 als falscher Arzt sogar in leitende Positionen.

mehr:
- Lebenslauf : "Eine Lüge führt zur anderen" (Tina Groll im Interview mit Marco Löw, ZON, 21.07.2016)