Wer gefühlsduseligen Zuspruch in der Literatur sucht, ist mit Philip Roth schlecht beraten. In Roths Roman „Sabbaths Theater“ onaniert der Protagonist und Puppenspieler Sabbath auf das Grab der Geliebten. Es ist seine Art der Trauer. Und während der Leser noch darüber nachsinnt, ob er diesen Akt für eine wunderliche Perversion im besten Sinne halten und verurteilen soll, lässt der Autor die vielen anderen Liebhaber der Toten nach und nach ebenfalls auf das Grab der Geliebten masturbieren.
Die Individualität des Scheiterns
So entsteht Komik und Bande. Ein Liebesritual schwitzender, masturbierender, alternder Männer, die sich nicht anders zu helfen wissen, als ein diffuses Gefühl (das man durchaus Liebe nennen könnte) fleischig und wulstig auf ein Grab und in die Welt zu tragen. Der Onanieakt wird schließlich zur alle einenden Gemeinsamkeit. Der Lebenden wie der Toten. Zu einer in seiner verzweifelnden Ausführung durchaus tröstenden Handlung.
In Roths bizarrer Geschichte steckt die Erkenntnis, dass sich Menschen sogar in der vielleicht extremsten Form einer Liebesbekundung ähneln. In der Liebe sind wir alle gleich. Austauschbar. Sie ist die wohl schönste Form der Beliebigkeit. Glück egalisiert. Erst im Scheitern erwächst so etwas wie Individualität.
Doch auch in der Liebe will man gleich und gleichzeitig anders sein. Sabbath ist anders und dennoch nicht anders genug.
Es gilt, leidenschaftlich zu lieben, wie es das Bild der romantischen Liebe in Literatur und Film vorgibt – und dabei sein Glück ganz individuell zu finden. Die Liebe scheitert nicht selten bei eben diesem Versuch, das individuelle Glück auf einem kollektiven Versprechen zu betten.
„Millionen Menschen verschwenden riesige Mengen Energie, indem sie verzweifelt versuchen, die Realität ihres Lebens mit dem unrealistischen Mythos der romantischen Liebe in Einklang zu bringen“, schreibt der Psychiater M. Scott Peck. [siehe auch: Wolfgang Scherf, Zarte Sehnsuch, süßes Hoffen ,Word-Dokument-Download]
Liebe wird heute an unerhörte Erwartungen geknüpft. Das Glück in der Liebe zu suchen, wird zur gesellschaftlichen Konvention. Liebe wird zum Ideal, teilweise bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen. Wer nicht liebt, lebt nicht. Zu lieben wird zentraler Bestandteil im festen Programm individualisierter Selbstverwirklichung. Wir knüpfen all unser Glück dieser Welt an ein einziges Gefühl. An einen einzigen (möglicherweise zuvor völlig fremden) Menschen. Die Gefahr des Scheiterns ist dabei permanent. Oder spieltheoretisch gesprochen: Liebe wird zum wohl größten Risiko, dass der moderne Mensch einzugehen bereit ist.
mehr:
- Selbstlosigkeit versus Egomanie: Lieben – oder lieber lassen? (Timo Stein, Cicero, 15.05.2015)
Conversation: Philip Roth [9:10]
Hochgeladen am 05.10.2007
11-10-2004