Dienstag, 29. Januar 2013

Kann Meditation gefährlich sein?



Dämonen aus der Stille

Meditation kann die Gesundheit fördern. Doch über mögliche Risiken und Nebenwirkungen ist bislang wenig bekannt.

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Von Andrea Teupke

E
ine Freundin hatte ihr den Kurs empfohlen: »Christliche Kontemplation«, zehn Tage lang meditieren und schweigen. Die Wirkung des Sitzens in der Stille war »unglaublich intensv« erinnert sich Karen Förster (Name von der Redaktion geändert): Schon nach wenigen Tagen des Übens empfand sie tiefe Glücksgefühle, nahm wahr, wie Lebensenergie sie durchströmte, fühlte sich gehalten und geborgen. Diese Energie trug sie auch nach dem Kurs durch den Alltag: »Ein halbes Jahr lang war ich total glücklich«, sagt die Fünfzigjährige, »ich hatte das Gefühl, etwas gefunden zu haben, das mir vorher verschlossen war.«
Doch die Reise in die Stille endete nicht im Paradies. Beim Sitzen auf dem Meditationskissen begegneten ihr auch düstere und furchteinflößende Visionen. Zunehmend wurde sie überschwemmt von gewalttätigen Bildern, die sich immer schwerer abschütteln ließen. Nach einem halben Jahr, in dem Karen Förster regelmäßig übte, blieben die Glücksgefühle ganz aus. Stattdessen spürte sie eine starke innere Unruhe, auch im Alltag überfielen sie unrealistische Ängste. Durch das Meditieren seien »Kästen aufgegangen, die vorher gut verschnürt waren«, sagt Karen Förster. Rückblickend stellt sie fest: »Ich bin in eine richtig depressive Stimmung geraten.«

Die positiven Wirkungen werden intensiv beforscht. Kann Meditation schaden? Kann sie Gesunde krank und Kranke kränker machen? Ulrich Ott, Psychologe am Bender Institute of Neuroimaging der Universität Gießen, stellte diese Frage auf dem Kongress »Wissenschaft und Meditation«, zu dem die Identity Foundation und die Oberberg Stiftung kürzlich nach Berlin eingeladen hatten.
Vor mehr als 420 Teilnehmern stellten dort Mediziner, Psychologen und Hirnforscher aktuelle Ergebnisse aus der Meditationsforschung vor. Während die positiven Auswirkungen des Mentaltrainings mittlerweile intensiv beforscht werden, gibt es zu den Risiken und Ne.benwirkungen kaum Studien. Die Forschungslage sei dünn, sagt Ott – obwohl das Interesse an Meditation, Yoga und Entspannung stetig wächst.
Nicht immer ist es die Sehnsucht nach Transzendenz oder religiöser Erfahrung, die Menschen dazu veranlasst, eine Meditationstechnik zu erlernen; häufig sind die Gründe sehr viel profaner, etwa der Wunsch nach Entspannung oder mehr Gelassenheit im Alltag. Doch auch psychisch belastete Menschen wenden sich zunehmend der Meditation zu, weil sie sich von ihr Hilfe erhoffen.
Genährt wird diese Hoffnung auch durch die vielen guten Nachrichten der Wissenschaftler. So stellte in Berlin unter anderem Richard Davidson, einer der führenden amerikanischen Forscher auf diesem Gebiet eine ganze Reihe positiver Auswirkungen vor: Meditieren kann den Blutdruck senken, es führt dazu, dass Entzündungen schneller heilen, es stärkt das Immunsystem, es kann Depressionen vorbeugen und die Stress- Resilienz stärken – Meditation vermag anscheinend in vielen Fällen, Kranke gesund und Gesunde noch gesünder zu machen.
Allheilmittel Meditation? Vor einem allzu naiven Vertrauen warnt Hans Förstl, Direktor der Münchner Klinikfür Psychiatrie und Psychotherapie rechts der Isar. Schließlich hätten manche Wahrnehmungsveränderungen während einer Meditation durchaus Ähnlichkeiten mit den Symptomen einer Psychose, berichtete er in einem launigen Vortrag, der bei den Kongress-Teilnehmern teilweise Gelächter, teilweise Empörung auslöste. In den 1970er-Jahren, als die Transzendentale Meditation aufkam, seien regelmäßig Menschen in der Psychiatrie gelandet bei denen das Mantramurmeln psychotische Zustände ausgelöst hatte.


Über »die dunkle Nacht der Seele« ist wenig bekannt. »Limitierte Experimentalpsychosen mögen für aufgeregte und erschöpfte Menschen mit Befindlichkeitsstörungen ergötzlich sein«, sagt der Psychiater, geradezu gefährlich könne Meditation bei schwerwiegenden Erkrankungen sein, wo es darum gehe, »einen tragfähigen Kontakt mit der Lebenswirklichkeit herzustellen und nicht davor zu fliehen«.
Woran es liegt dass Meditation vielen hilft und manchen unangenehme Erfahrungen beschert ist bisher kaum geklärt. Ulrich Ott einer der führenden Meditationsforscher Deutschlands, sieht hier »erheblichen Forschungsbedarf«. Bisher seien lediglich Einzelfälle beschrieben worden, systematische Studien fehlten völlig.
Einen ersten Schritt hat die amerikanische Forscherin Willoughby Britton getan. Für das »Dark Night Project« hat sie führende amerikanische Meditationslehrer verschiedener Richtungen nach ihren Erfahrungen befragt. Die ersten Ergebnisse dieser Untersuchung geben zu denken:
Symptome wie Schlaflosigkeit, Angst Gefühlsschwankungen bis hin zum Wiederauftauchen traumatischer Erlebnisse wurden genannt. Berichtet wurde von Veränderungen der Wahrnehmung, vom Verlust des Selbstgefühls, aber auch von beruflichen und sozialen Beeinträchtigungen. Offensichtlich kann die Arbeit am Bewusstsein Geister wecken, die man nicht so leicht wieder los wird: Die Symptome könnten jahrelang anhalten und die Betroffenen beeinträchtigen, sagt Ott, der nun in Gießen ein ähnliches Forschungsprojekt für Deutschland anstoßen will.
Unangenehme Erfahrungen auf dem Meditationsweg können ein Warnsignal sein, sich lieber einer anderen spirituellen Praxis zuzuwenden – sie können aber auch Symptom einer notwendigen persönlichen Krise sein. Die Unterscheidung im Einzelfall ist unter Umständen schwierig. Umso wichtiger wäre deshalb eine fundierte Ausbildung der Meditationslehrerinnen und -lehrer. Derzeit kann sich jeder auf dem Markt tummeln und entsprechende Kurse anbieten. Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen fordert deshalb dringend in diesem Bereich Qualitätsmanagement Ausbildungsordnungen und vor allem Supervision.
Immerhin: Manche Anbieter werden sich mittlerweile ihrer Verantwortung bewusst. So hat etwa der Dachverband Freie Gesundheitsberufe Qualitätsrichtlinien entwickelt die nun in den einzelnen Mitgliedsverbänden implementiert werden. »Es reicht nicht dass man einfach mal ein tolles Buch gelesen hat«, sagt Ulrike Reiche vom Vorstand des Dachverbandes. Die Berufsordnung ihres Verbandes sieht unter anderem regelmäßige Supervision und Weiterbildung vor. Reiche ist Kundalini- Yogalehrerin und setzt sich seit Jahren für einen intensiven Austausch zwischen Meditationslehrern auf der einen und Psychotherapeuten und Psychiatern auf der anderen Seite ein. »Man muss wissen, was man tut und was man lieber lässt«, sagt Reiche, die selbst schon Klienten an Psychotherapeuten vermittelt hat.
Karen Förster war lange ratlos, an wen sie sich wenden sollte. Ihr Meditationslehrer empfahl lediglich, weiterzuüben: Sie solle da »hindurchgehen« und »das Leiden zulassen und anschauen«. Auf die Idee, ihr eine Psychotherapie zu empfehlen, kam er nicht – und sie selbst zunächst auch nicht. »Ich hatte keine Hoffnung, dass mir mit diesem Zeug jemand helfen kann«, sagt sie heute, es war »als würde ich in einer Parallelwelt leben«.
Für solche Fälle wäre eine Vernetzung ideal, wie sie in Einzelfällen bereits stattfindet. So berichtet Ulrich Ott von einem Zen – Lehrer, der bei mehrwöchigen Kursen mit einem meditationserfahrenen Psychiater zusammenarbeitet um bei auftauchenden Schwierigkeiten besser eingreifen und beraten zu können.
»In meinem Fall hätte eine solche Vernetzung den Prozess erleichtern und abkürzen können«, sagt Karen Förster. Die furchterregenden Bilder verfolgen sie nicht mehr, dank einer Psychotherapie. Sie meditiert schon länger nicht mehr: »Das schweigende Sitzen in der Gruppe tut mir nicht gut«, sagt sie. Trotzdem will sie die Erfahrung mit der Meditation nicht missen. »Das hat für mich alles Sinn gemacht« und das Vertrauen, »dass mich etwas stützt und trägt«, hat sie heute noch.

aus Publik-Forum 24/2012