Mittwoch, 23. September 2009

Nansen und die Sichel

Eine der Geschichten, die hier von Nansen (Nan-ch'üan P'u-yüan, 748-834) berichtet wird, erklärt treffend die Haltung eines Meisters dem Leben gegenüber und gibt uns selbst heute noch ein gutes Beispiel, das uns Zen-Leben lehrt. Ich liebe diese Geschichte sehr und empfehle den Lesern, gerade diese beim Zen-Studium im Gedächtnis zu behalten.

Als Nansen auf dem Feld arbeitete und Gras mit seinen Mönchen schnitt, fragte ihn ein vorbeikommender Mönch: »Wo geht der Weg zum Nansen-Kloster?« Der Wandernde wußte natürlich nicht, daß der Mann, den er fragte, der Meister Nansen selbst war. Dieser hielt seine Sichel lässig hoch und sagte: »Ich zahlte 30 Geldmünzen dafür!«, als ob er die Frage des Mönches nicht gehört hätte. Es muß nicht betont werden, daß der Meister vom Nansen-Kloster genau wußte, was der Wanderer hören wollte, aber er wollte ihm vor allem klarmachen, daß die Beschäftigung mit Zen keine Anhäufung von abstrakten Kenntnissen ist oder Erfahrung auf den Abwegen philosophischer Gespräche bedeutet. Zen ist praktisches Leben in diesem Augenblick. Deshalb führt der Pfad zum Nansen-Kloster nicht über philosophisches Verständnis, sondern über die Wirklichkeit der Sichel in der Hand.

Wir können voraussetzen, daß der wandernde Mönch keineswegs ein Zen-Anfänger war, sondern schon über bestimmte Erfahrungen verfügte. Deshalb wollte er hören, was Nansen weiter sagen würde, und fuhr fort: »Ich habe nicht nach dem Preis deines Werkzeuges gefragt, ich wollte den Weg zu Nansen erfahren.« Erneut überging der Meister offensichtlich die Frage, zumindest im wörtlichen Sinn, und sagte: »Sie schneidet sehr gut.«



Aus dem Vorwort von Daisetz T. Suzuki zu dem Buch »Zen in Gleichnis und Bild« von Zenkei Shibayama ( O. W. Barth Verlag, München, 2000, S. 11 )