Mittwoch, 25. Februar 2015

Das posttraumatische Stress-Syndrom

Das posttraumatische Stress-Syndrom setzt den neuralen Sollwert für Alarm in gefährlicher Weise herab, so daß der Betroffene auf normale Lebensvorgänge in einer Weise reagiert, als wären es Notfälle. Daran, daß ein so übermächtiges Brandmal in der Erinnerung zurückbleibt, scheint die im zweiten Kapitel besprochene »Entgleisungs«-schaltung beteiligt zu sein. Je brutaler, schockierender und grauenvoller die Ereignisse, welche die Entgleisung des Mandelkerns auslösen, desto unauslöschlicher ist die Erinnerung. Die neurale Grundlage dieser Erinnerungen besteht anscheinend in einer umfassenden Veränderung in der Chemie des Gehirns, in Gang gesetzt durch einen einzigen Fall von überwältigendem Grauen. Zwar beruhen die PTSD-Befunde in der Regel auf der Wirkung eines einzigen Erlebnisses, doch können ähnliche Folgen auf Grausamkeiten zurückgehen, die über eine Spanne von mehreren Jahren erlitten wurden, wie im Falle von Kindern, die sexuell, physisch oder emotional mißhandelt werden.


Am eingehendsten erforscht man diese Gehirnveränderungen am National Center for Post-TraumaticStress Disorder, einem Netz von Forschungsstätten in den Krankenhäusern der Veterans Administration, wo es unter den Veteranen von Vietnam und anderen Kriegen viele gibt, die an PTSD leiden; unsere Erkenntnisse über PTSD beruhen überwiegend auf Studien an Veteranen. Sie lassen sich aber auch auf Kinder wie die von der Cleveland School übertragen, die schwere emotionale Traumata erlitten haben.

»Wer Opfer eines verheerenden Traumas geworden ist, ist biologisch nicht mehr derselbe wie vorher«, erklärte mir Dr. Dennis Charney. Charney, ein Yale-Psychiater, ist Direktor der klinischen Neurowissenschaft am National Center. »Ob es der endlose Schrecken des Gefechts war, ob Folterung oder wiederholte Mißhandlung in der Kindheit oder ein einmaliges Erlebnis wie etwa, daß man in einem Hurrikan gefangensaß oder bei einem Autounfall beinahe gestorben wäre, spielt keine Rolle. Jeder unkontrollierbare Stress kann dieselbe biologische Wirkung haben.«

Das entscheidende Wort ist »unkontrollierbar«. Wenn man in einer Katastrophensituation etwas tun, eine gewisse, noch so geringe Kontrolle ausüben kann, geht es einem emotional weit besser, als wenn man völlig hilflos ist. Es liegt an der Hilflosigkeit, wenn man sich von einem Ereignis subjektiv überwältigt fühlt. Dr. John Krystal, Direktor des Laboratoriums für klinische Psychopharmakologie am National Center, erklärte mir: »Angenommen, jemand wird mit einem Messer angegriffen, weiß sich aber zu verteidigen und tut etwas, während ein anderer in derselben Situation denkt: ›jetzt ist es aus mit mir‹. Der Hilflose ist hinterher anfälliger für PTSD. Man hat das Gefühl, daß das eigene Leben in Gefahr ist und man nichts tun kann, um ihr zu entrinnen – in diesem Moment setzt die Veränderung des Gehirns ein.«

Daß PTSD vor allem durch Hilflosigkeit ausgelöst wird, wurde in Laborversuchen mit Ratten gezeigt. Zwei Ratten sitzen in getrennten Käfigen und erhalten schwache, für Ratten aber sehr belastende Elektroschocks von gleicher Stärke. Nur in einem Käfig befindet sich ein Hebel; wird er von der Ratte gedrückt, hört der Schock für beide Ratten auf. Tage- und wochenlang erhalten beide genau die gleiche Menge an Schocks. Doch die Ratte, die sie ausschalten kann, kommt ohne bleibende Zeichen von Stress durch. Nur bei der hilflosen treten die stressbedingten Gehirnveränderungen auf. Für ein Kind, das auf einem Schulhof beschossen wird und ansehen muß, wie seine Kameraden bluten und sterben, oder für einen Lehrer, der das miterlebt und das Blutbad nicht stoppen kann, war diese Hilflosigkeit sicher mit Händen zu greifen.

aus Goleman, Emotionale Intelligenz, dtv, 1997, S. 256ff.
siehe auch:
-  Posttraumatische Belastungsstörungen: Mit komplexer komorbider Symptomatik (Sonnenmoser, Deutsches Ärzteblatt, PP3, Oktober 2004) 
- 35 Jahre Vietnam: Vom Umgang mit dem Trauma (Neumeister, Czermak, Springer-Medizin.at, 21.12.2009); daraus:
A. Neumeister, C. Czermak,  Vereinfachtes neurobiologisches Modell der Informationsverarbeitung bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). [Quelle: 35 Jahre Vietnam: Vom Umgang mit dem Trauma, Springer Medizin]
Die Information über ein traumatisches Ereignis gelangt, wie jede sensorische Information primär zum Thalamus. Von dort wird sie über eine direkte, schnelle Verbindung an limbische Strukturen, wie den Mandelkern weitergeleitet. Dies ermöglicht schnelle vegetative und hormonelle Reaktionen („Stressantwort“). Ein weiterer Verarbeitungsweg führt zum präfrontalen Kortex, wo eine differenziertere kognitive Verarbeitung möglich ist. Der präfrontale Kortex kann nun bei Bedarf die Aktivität des Mandelkerns und damit die Stressantwort hemmen, zum Beispiel wenn die Natur eines Ereignisses als ungefährlich eingestuft wird. Man nimmt an, dass im Rahmen der Symptomatik einer PTBS diese hemmende Funktion beeinträchtigt ist (gelber Blitz), sodass die Erfahrung Trauma-assoziierter Reize zu schnellen und überschießenden Stressreaktionen führen kann. Weiters kommt es zu einer Veränderung im physiologischen Zusammenwirken zwischen Mandelkern und Hippocampus (gelber Blitz) und damit zu Beeinträchtigungen in den Gedächtnisfunktionen.
Quelle: Research: Causes of ME / CFS / FIBROMYALGIA / MCS (The Gupta Programme)
- Epigenetik: Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene (Post, 28.02.2016)
- Simulierte Angstreaktion – Kontext wichtig (Post, 25.05.2001)
- Post Traumatic Stress Disorder: What Happens in the Brain? (Howard, Crandall, Washington Academy of Sciences, 2007, PDF)
-  Posttraumatic stress disorder: a theoretical model of the hyperarousal subtype (Weston, Frontiers in Psychiatry, 04.04.2014) 
- Impacts of child abuse on physiology of brain (Adults surviving child abuse, Datum und Verfasser unbekannt)
- PTSD, the Hippocampus, and the Amygdala – How Trauma Changes the Brain (Ruth Buczynski, National Institute for the Clinical Application of Behavioral Medicine, Datum unbekannt)
- 21.3.4 Das neurobiologische Paradigma (in: Boll-Blatt, Kohrs, Praxis der psychodynamischen Psychotherapie, Grundlagen – Modelle – Konzepte, Schattauer, 2014, S. 391 f., GoogleBooks)


übererregte Amygdala bei einem PTSD-Patienten im Kernspin
(Quelle: PTSD & Our Reptilian Brain: Reid Lyon’s Neurological Research,
Loana Hoylman, The VVA Veteran Online, September/October 2013)
Zitat aus dem Hoylman-Artikel:
The amygdala is a tiny part of the brain that registers and communicates fear, as well as reward and other basic survival needs. We have two amygdalae: left and right. They perform a primary role in processing memory and emotional reactions. Our senses of sight, hearing, taste, smell, and touch feed information into the amygdalae, as well as other structures.

The more emotionally arousing the experience, the more the amygdala is activated, and the more firmly the memory will be seated. Because sensory information is being fed into the amygdala and the rest of the limbic system, all kinds of information is being registered.

If you heard a certain sound right before you had a car wreck, the next time you hear that sound your brain will trigger a defensive response. This effect can be lessened over time by long-term potentiation, a complex system of fostering re-formation of signaling between neurons.

Then there is the hypothalamus, a structure deep in the brain that helps the body regulate basic functions essential for survival. It controls body temperature, hunger, and thirst. Amazingly, its neurochemistry plays important roles in parenting and attachment behaviors, sexual behavior and satisfaction, sleep, anger, and aggressive behavior. It regulates the functioning of the pulse, blood pressure, breathing, and arousal in response to emotional circumstances. It releases stress hormones—such as cortisol—to alert us to instant danger and the need for survival. The hypothalamus is always working to get you back to balance, returning your brain and the rest of your body to homeostasis; that is, it tries to regulate your internal systems to keep you stable and settled.
Amygdala [Quelle: Zâmbetul și Amygdala (nucleul amygdalian), 30.9.2014]

Amygdala - Emotionen und Experimente [11:58]

Veröffentlicht am 13.10.2013

Manfred Spitzer: Entscheidungen im Ausnahmezustand -- Was unser Gehirn kann und was nicht [50:19]

Veröffentlicht am 16.07.2014
Überlastung mit Informationen, Dauerstress, Multitasking? Dies sind nur drei Stichworte, die heute unseren ganz normalen Alltag beschreiben. Sind wir dem überhaupt gewachsen? Was kann unser Gehirn leisten und was kann es nicht leisten? Ausgehend von neuen
Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung zu menschlicher Kommunikation, zu Stress und zur Informationsverarbeitung im Gehirn wird den praktischen Konsequenzen aus diesen Einsichten für die Alltagspraxis nachgegangen -- mit zum Teil sehr überraschenden Ergebnissen: Menschen sind einerseits weitaus
besser als ihr Ruf, können andererseits jedoch in mancherlei Hinsicht deutlich weniger als ökonomische Entscheidungsträger annehmen.

Planet Wissen - Wie Meditation das Gehirn umbaut [58:22]

Veröffentlicht am 16.02.2015
02.01.15

Oft sind unsere Gedanken nicht bei dem, was wir gerade tun - oder wir hängen in Gedankenspiralen fest, können nicht abschalten, selbst wenn wir wollen. Meditation hilft, gelassener zu werden, den Geist zu beruhigen und im Hier und Jetzt zu leben - sogar anhaltend! Denn regelmäßiges Meditieren verändert das Gehirn, hat die Psychologin und Hirnforscherin Dr. Britta Hölzel herausgefunden. So lassen sich Stress, Depressionen, Angststörungen und sogar Schmerzen besser bewältigen und Menschen werden empathischer. Dr. Britta Hölzel "Meditation hilft uns, ein glücklicheres und erfüllteres Leben zu führen", davon ist die Psychologin Dr. Britta Hölzel überzeugt. Auf einer Indienreise nach dem Abitur entdeckt sie Yoga und Meditation für sich; seitdem lässt das Thema sie nicht mehr los. Sie meditiert täglich und untersucht als Wissenschaftlerin, wie Meditation auf das menschliche Gehirn wirkt. Ihr Ziel: Meditation aus der Räucherstäbchen- und Esoterikecke holen und die positiven Effekte durch handfeste Beweise wissenschaftlich belegen. Britta Hölzel lebt in München und hat dort ein "Zentrum für Achtsamkeit" initiiert.

Link-Tipps

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion MBSR ist ein wissenschaftlich erforschtes Programm zur Stressbewältigung, das in den 1970er Jahren von dem Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde. Die Abkürzung steht für Mindfulness-Based Stress Reduction, zu deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Die Seite des MBSR-MBCT-Verbandes informiert über das Konzept und bietet die Möglichkeit, nach Kursen und qualifizierten Lehrenden zu suchen.  http://www.mbsr-verband.de
Achtsamkeit in der Schule Vera Kaltwasser ist Lehrerin an einem Gymnasium in Frankfurt und Trainerin für QiGong und Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR). Sie hat ein Konzept entwickelt, mit dem Achtsamkeitsübungen in den normalen Schulalltag integriert werden können. Infos dazu und weiterführende Links gibt es auf ihrer Homepage.  http://www.vera-kaltwasser.de
Achtsamkeit in München Das Zentrum für Achtsamkeit ist ein Netzwerk von anerkannten Achtsamkeits- Kursleitern und bietet in München und Umgebung Kurse zur Kultivierung von Achtsamkeit und Mitgefühl im Alltag an.  http://www.center-for-mindfulness.de

Literatur

Dr. Britta Hölzel
Die große Achtsamkeitsbox
5W-Verlag 2012
ASIN: 3942177153

Dr. Britta Hölzel
Achtsam schwanger, angstfrei entbinden
5W-Verlag, Oktober 2014

Vera Kaltwasser
Achtsamkeit in der Schule. Stille-Inseln im Unterricht: Entspannung und Konzentration
Beltz-Verlag 2013
ISBN: 978-3407626318

Dr. Ulrike Anderssen-Reuster
Achtsamkeit. Das Praxisbuch für mehr Gelassenheit
Trias-Verlag 2013
ISBN: 978-3-8304-6651-2


zuletzt aktualisiert am 01.06.2016