3.1 Realität: Was ist wirklich?
Wirklichkeit kann nie losgelöst gesehen werden von ihrem
Betrachter. Das heißt nicht, daß es keine Realität »an sich« gäbe, daß es aber
sinnlos ist, von ihr zu sprechen, ohne den konstitutiven Prozeß zu
berücksichtigen, der in der Wechselwirkung zwischen einem erfahrenden System
und einem zu erfahrenden System liegt: »Systeme erkennen Systeme«. Die Frage,
ob »Wirklichkeit« unabhängig vom erkennenden System existiert, ist müßig.
Kernfrage des Konstruktivismus ist, auf welche Weise wir aktiv an
der Konstruktion unserer eigenen Erfahrungswelt Anteil haben. Wir sind darauf
angewiesen, Konzepte, »Landkarten« über die Welt zu entwickeln, die uns das
Zurechtfinden erleichtern. Es ist ein folgenschwerer Schritt, wenn man die
Konzepte, die man sich konstruierte, um in der Welt Orientierung zu finden, mit
der Wirklichkeit verwechselt (ein Kategorialfehler). »Bei unserer Wahrnehmung
der Welt vergessen wir alles, was wir dazu getan haben, sie i dieser Weise
wahrzunehmen« (Varela).
Konstruktivismus - Zweckmäßigster Irrtum, wie wahr ist Wahrheit? - [20:55]
siehe auch:
- Unsere Welt besteht aus Geschichten (Post, 17.12.2015)
Konstruktivismus - Zweckmäßigster Irrtum, wie wahr ist Wahrheit? - [20:55]
Veröffentlicht am 17.01.2013
Zweckmäßigster Irrtum Ist Wahrheit so wahr?
Ein Beitrag von: Reitz, Michael Stand: 25.07.2012; BR Rundfunk
Für den Philosophen Immanuel Kant war die objektive und zweifelsfreie Erkenntnis eines Gegenstands nicht möglich. Unsere Wahrnehmung sei eine Leistung unserer Sinnesorgane und somit Irrtümern unterworfen, objektiv könne sie nie sein. Autor: Michael Reitz
Für den Philosophen Immanuel Kant war die objektive und zweifelsfreie Erkenntnis eines Gegenstands nicht möglich. Unsere Wahrnehmung sei eine Leistung unserer Sinnesorgane und somit Irrtümern unterworfen, objektiv könne sie nie sein. Autor: Michael Reitz
- Die 5 Axiome von Paul Watzlawick (Post, 03.11.2014)
- Intuitives Wissen – Zhuangzi, die Freude der Fische (Post, 23.08.2015)
- Intuitives Wissen – Zhuangzi, die Freude der Fische (Post, 23.08.2015)
Castaneda |
Castaneda, ein
amerikanischer Anthropologe, der bei einem indianischen Heiler in die Lehre
ging, schreibt:
»Die erste Handlung eines Lehrers besteht darin, die Idee einzuführen, daß die Welt, die wir zu sehen glauben, nur eine Sichtweise, eine Beschreibung der Welt ist. Dies zu akzeptieren scheint eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt zu sein. Wir sind auf selbstgefällige Weise in unsere bestimmte Weltsicht verstrickt, die uns zu Empfindungen und Handlungen zwingt, als ob wir alles über die Welt wüßten. Ein Lehrer zielt von seiner allerersten Handlung an darauf ab, diese Sichtweise zu beenden. Hexenmeister nennen es die Beendigung des inneren Dialogs. Und sie sind überzeugt davon, daß es die wichtigste Technik ist, die ein Lehrling lernen kann« (Castaneda 1974).
Menschen leben nicht allein, sondern immer in sozialen
Zusammenhängen. Was wir als »Wirklichkeit« bezeichnen, entsteht im Dialog, im
Gespräch. Das, was wir für wirklich halten. haben wir in einem langen Prozeß
von Sozialisation und Versprachlichung als wirklich anzusehen gelernt. Systeme
konstruieren gemeinsame Wirklichkeiten
als Konsens darüber, wie die Dinge zu sehen sind. Die gemeinsame Sichtweise
davon, was als »Wirklichkeiten« in einem System erlebt wird, ist sehr
weitgehend bestimmend für Glück oder Unglück, Zufriedenheit oder
Unzufriedenheit.
3.2 Kausalität: Was verursacht was?
Bei einem systemischen Verständnis von Kausalität richtet sich
das Augenmerk auf Muster, und zwar
auf Muster von Beziehungen und Wechselwirkungen.
In sozialen Systemen ist von der Rekursivität sozialer Prozesse
auszugehen. Verhaltensweisen des einzelnen sind durch die der anderen (mit-)
bedingt und bedingen sie gleichzeitig, so daß eine linear kausale Sichtweise
eine unzulässige Verkürzung darstellt. In einem solchen Wechselwirkungsgefüge
hat jede Handlung Rückwirkungen auf die handelnde Person selbst, ein Aspekt,
der als »Selbstreferenz« oder »Selbstrückbezüglichkeit« bezeichnet wird.
Es ist nicht falsch, das Geschehen zwischen einer Mutter und
ihrem Kind in kleine Ausschnitte von kausalen Teilbeziehungen zu zerlegen:
»Weil die Mutter X tut, darum tut das Kind Y.« Ein solcher Versuch der
Komplexitätsreduktion kann hilfreich sein. Für therapeutische Zwecke ist es
allerdings von Nutzen, beide als Teilnehmer an einer bestimmten Art von
»Beziehungstanz« (Minuchin) zu sehen, der mit Leid für alle Beteiligten
einhergeht.
3.3 Sprache und Rekursivität: Wie erzeugen wir soziale Wirklichkeiten?
Das Reich der Sprache |
Wie wir in sozialen Systemen das »hergestellt«, was wir gemeinsam
mit anderen als Wirklichkeit erleben? Wir können keine Erkenntnis über die Welt
der Dinge erlangen, ohne uns in die Welt der Beschreibungen zu begeben:
»Sprache wurde niemals von jemandem erfunden, nur um damit eine äußere Welt zu
internalisieren. Deshalb kann sie nicht als Mittel verwendet werden, mit dem
sich eine solche Welt offenbar machen läßt. Es ist vielmehr so, daß der Akt des
Erkennens in der Koordination des Verhaltens, welche die Sprache konstituiert,
eine Welt durch das In-der-Sprache-Sein hervorbringt« (Maturana u. Varela
1987).
Da wir kein Bewußtsein von dem haben können, was uns nicht bewußt
ist, konstruieren wir permanent eine kontinuierliche und konstante Welt des
Erlebens, überbrücken wir »blinde Flecken« des Bewußtseins und stabilisieren so
unsere Welt in einem aktiven und selbstorganisierten Prozeß.
Dieser Prozeß geschieht nun nicht individuell, sondern
sozial-kommunikativ: Wir erzählen uns selbst und uns gegenseitig ständig, wie
die Welt ist und halten sie damit stabil. »Durch Wiederholung verfestigen sich
Geschichten zu Wirklichkeiten, und manchmal halten sie die
GeschichtenerzählerInnen innerhalb der Grenzen gefangen, die sie selbst
erzeugen halfen« (Efran 1992).
Therapeutische Konsequenzen |
Familiensysteme werden nicht mehr als kybernetische Einheiten
angesehen, in denen Mitglieder einer Familie wechselseitig ihr Verhalten
regulieren, sondern viel mehr als sprachliche Systeme, in denen Mitglieder
durch ihre Konversationen Bedeutungen erzeugen und so eine gemeinsame
Darstellung der Wirklichkeit schaffen.
Sprache als Ordner, Sprache als Trivialisierung |
Die Aufgabe der Sprache sehen wir meist darin, Beschreibungen zu
liefern, die sich an Begriffen wie Wahrheit, Objektivität und Realität messen
lassen. Daß und in welchem Ausmaß Sprache jedoch gerade eine konstituierende
Funktion für unsere Erfahrung von Wirklichkeit hat, müssen wir uns immer wieder
ins Bewußtsein holen. Für Haken, den Begründer der
Synergetik, ist die Sprache das Musterbeispiel eines Ordners, der jeden, der
sich seiner bedient, versklavt (1987, S. 64).
»... wollen wir überhaupt aus der Nacht der Sprachlosigkeit
heraustreten, ..., dann müssen wir uns den Ordnungskräften, den Regeln und
grammatischen Strukturen, die in der Sprache zur Wirkung kommen, unterwerfen
... Ursache-Wirkungsketten bzw. Punktuierungen erwachsen gleichsam
unreflektiert aus der Weise, wie sich Subjekt und Prädikat zusammenfügen,
überhaupt, wie sich Wörter in Sequenzen ordnen, sich daraus Sätze und somit
auch Erklärungen ergeben. ›Der Stein zertrümmert die Scheibe. Der Vater
drangsaliert die Mutter. Die Treulosigkeit des Mannes bricht der Frau das Herz.
Lotte wurde von ihren Schulkameradinnen wegen ihrer Pummeligkeit gehänselt und
entwickelte daher eine Magersucht usw.‹ Also: Wenn immer wir überhaupt
sprechen, wenn immer wir durch die Sprache bzw. ihre Grammatik vorgegebenen
Linien folgen, ergeben sich Ursache-Wirkungsverknüpfungen, Erklärungen, Sinn
und Realitätsbezug fast zwangsläufig wie von selbst« (Stierlin 1990, S. 267f).
In diesem Zusammenhang ist von
Foersters Begriff der »Trivialisierung« von Bedeutung. Er entspricht
dem, was Haken als »Ordner«
beschreibt. In beiden Fällen wird für die einzelnen Elemente durch die
Zugehörigkeit zum System die Zahl der Wahlmöglichkeiten reduziert.
Hierzu ein Beispiel: Es ist bekannt, daß das Wahrnehmungssystem
Neugeborener in der Lage ist, neue Information in vielfältigster Weise zu
strukturieren. Säuglinge begleiten bereits kurz nach ihrer Geburt die
sprachlichen Angebote ihrer Umwelt durch minimale Körperbewegungen und beginnen
auf diese Weise, den kontinuierlichen Sprachfluß, der auf sie einströmt, zu
interpunktieren und zu zerlegen – und zwar gleichgültig, ob es sich um
Chinesisch, Russisch oder Deutsch handelt (Kriz
et al. 1987, S. 25). Diese universale Fähigkeit geht im Lauf weniger Monate
verloren. Dafür wird jedoch die Muttersprache immer eindeutiger in Phoneme
zerlegt, das heißt, das Kind versteht diese immer besser auf Kosten der
Universalität seines Sprachverständnisses. Es hat also eine Einschränkung
stattgefunden, das stimmt. Aber es stimmt auch nur zum Teil, denn es ist auch
eine Bewältigungsleistung auf einem höheren Niveau erfolgt: das Verständnis
einer Sprache. Sprache ist ein System. Der Einstieg in dieses System, die
strukturelle Koppelung zwischen dem kognitiven System des Kindes und dem System
Sprache bedeutet eine Reduzierung der Wahlmöglichkeiten und gleichzeitig eine
Verbesserung im Umgang mit Weltkomplexität: »Happa, happa« ist keine beliebige
Lautfolge mehr, sondern einigermaßen fest vorhersagbar verknüpft mit Nahrung.
Lernen ist also Einschränkung und Erweiterung zugleich (nach von Schlippe 1991, S. 369); Haken (1987) spricht in diesem
Zusammenhang von der »Janusköpfigkeit« der Sprache.
Rekursivität der Sprache |
Sprache bietet eine besondere Qualität: die Möglichkeit der Reflexivität. Darin liegt eine Chance. Wir können über die
Art und Weise, wie wir Wirklichkeit schaffen und interpunktieren, reflektieren
– auch wenn, wie Stierlin (1990) betont, es
erstaunlich ist, wie wenig bislang alles Hinterfragen gegen die »Ordnungsgewalt
der Sprache« auszurichten vermochte.
Die Möglichkeit, Sprache reflexiv auf sich selbst anzuwenden,
verweist auch auf Verantwortung: Wenn Wirklichkeit Ergebnis eines konsensuellen
Abgleichungsprozesses ist, dann sind wir aufgefordert, ständig diesen
Abgleichungsprozeß zu überprüfen. Da uns Kriterien wie Wahrheitsnähe nicht
(mehr) zur Verfügung stehen, bieten sich andere Kriterien an. Ludewig schlägt
vor, »Nutzen, Schönheit, Respekt« als Rahmen zu wählen, an dessen Einhaltung
das Verhalten eines Therapeuten evaluiert werden könne (1988).
Das Arbeiten mit
Schlüsselwörtern
Schlüsselwörter sind Wörter, die in besonderer Weise geeignet
sind, Optionen in einem System neu zu öffnen, das sich in einer bestimmten
Wirklichkeitssicht festgefahren hat. Wie Boscolo
et al. (1993) betonen, gibt es Schlüsselwörter, die für viele Situationen
passen, andere gelten nur für jeweils eine spezifische Gelegenheit. Je
vielfältiger sich an Schlüsselwörter neue und ungewohnte Konnotationen
anknüpfen können, desto hilfreicher sind sie potentiell, da sie aktive
assoziative Suchprozesse auslösen. Als ein Beispiel führen Boscolo et al. (1993, S. 11 3ff) das
Wort »Streik« an. Bei einer Familie, in der sich der Symptomträger weitgehend
zurückgezogen hat und zu einem ans Haus gefesselten Einsiedler geworden ist,
wäre es möglich, die Familie zu fragen: »Wie erklären Sie sich die Tatsache, daß
sie/er in Streik getreten ist?« oder den Betroffenen selbst: »Warum haben Sie
beschlossen, in Streik zu treten?« Gerade im Kontext von (psychischer)
Krankheit bietet das Wort eine Fülle von neuen Bedeutungen an, es ist
polysemantisch. Es ist verknüpft mit der Vorstellung eines freiwilligen,
absichtlichen Verhaltens (und nicht dem Bild, hilflos der Krankheit
ausgeliefert zu sein). Es impliziert eine Beziehung (Streik: wem gegenüber?).
Es ermöglicht weiteres Nachdenken: Streiks können gerechtfertigt oder ungerechtfertigt
sein, für jemanden oder gegen jemanden ausgerufen werden, können darauf
abzielen, etwas zu erreichen oder etwas zu verhindern und so weiter.
Schließlich impliziert es Endlichkeit statt Unendlichkeit (vgl. Schweitzer u. Schumacher 1995). Schlüsselwörter, so behaupten Boscolo et al., erleichtern den Wechsel
von einem »Sprachspiel« zu einem anderen – und es entspricht therapeutischer
Ethik, daß dieses neue Sprachspiel den Beteiligten mehr Spielraum einräumt als
das alte. Ein wichtiges Schlüsselwort für neue Sprachspiele ist das Wort
»Gedanke«. Durch die Frage danach, wann z. B. dem Vater zum erstenmal der
Gedanke kam, er könne seinen Kindern kein guter Vater sein, wird aus dem
ontologischen Spiel: »Wer ist inkompetent?«
ein epistemologisches Spiel: »Wer denkt, er
sei inkompetent?« Damit wird ein hohes Maß an Mehrdeutigkeit erzeugt.
Die Rekursivität der Sprache verweist ferner auf die Fähigkeit, das erlebte Interaktionsgeschehen permanent zu qualifizieren, also innere Kommentare über die Interaktion und über das eigene Erleben abzugeben. Dieses Phänomen ist als »innerer Bezugsrahmen« in der Psychotherapie ein Begriff: In Familien sind es vielfach nicht die Auseinandersetzungen selbst, mit denen die Familienmitglieder sich das Leben schwermachen, sondern die inneren Bewertungen dieser Auseinandersetzungen.
Sprache und Systeme |
Sprachliche Koordination dient Menschen in sozialen Systemen
dazu, sich auf bestimmte gemeinsame Themen zu einigen, die einen gemeinsamen
Sinn konstituieren.
Daher wird bei Systemen, die sich um ein Problem herum
organisieren, auch von »Problemsystemen« oder »problembezogenen Systemen«
gesprochen: Menschen konstituieren über ihre Handlungen ein Problemsystem, das heißt ein System, zu
dem der Vorsatz gehört, das Problem zu beseitigen.
Da es nicht um die Personen selbst geht, sondern um die
Kommunikationen und Interaktionen zwischen ihnen, liegt die Zusammensetzung
eines Problemsystems nie in starrer Weise fest, mit der Veränderung einer
Problemdefinition kann auch sie sich verändern (Anderson
u. Goolishian 1990, Loth 1991).
Exkurs: Chronische Krankheit in ihrem sprachlichen Kontext |
Je länger ein Geschehen andauert, um so wichtiger ist es,
zwischen der Krankheit und dem Sprechen über Krankheit zu differenzieren. Denn
eine »kleine Erkältung« geht tatsächlich meist nach ein paar Tagen vorbei,
unabhängig davon, wie über sie gesprochen wird. Doch bei einer länger
andauernden Krankheit werden über die Sprache entscheidende Weichen dafür
gestellt, wie eine Person mit der Krankheit umgeht, wie sie ihre eigenen
Möglichkeiten einschätzt und erlebt. Chronizität, das heißt nicht
beziehungsweise nicht nur, eine Krankheit zu haben und an ihr über einen nicht
absehbaren Zeitraum hinweg zu leiden, sondern heißt vor allem: über Krankheit
zu sprechen, mit sich selbst, mit anderen. Von chronischer Krankheit zu
sprechen, ergibt daher nur Sinn, wenn man sich neben den krankheitsbezogenen
Routinen vor allem die sprachgebundenen
Prozesse anschaut, die damit verbunden sind, zum Beispiel beim kindlichen
Asthma:
- sich zu
fragen: warum ich???
- dem
Ehepartner vorzuwerfen, warum er/sie geheiratet habe, obwohl er doch wissen
mußte, daß sein Onkel und seine Großtante Asthma gehabt hatten
- sich selbst
mit Schuldgefühlen zu zerquälen
- den Tod zu
phantasieren und unter diesen Phantasien bereits Todesängste zu erleiden
- sich zu
fragen, was die Nachbarn, Freunde, Verwandten über einen denken – eine
Selbsthilfegruppe zu gründen bzw. einer beizutreten
- mit
schlechtem Gewissen den Arzt zu belügen, wenn er nach dem Rauchen fragt
- zu
inhalieren und ärgerlich daran zu denken, daß andere Kinder nach draußen gehen
können; deswegen auf die Mutter zu schimpfen, die einen dazu zwingt
- mit Mutter
und Vater ums Inhalieren zu streiten
- ständig die
nächste Katastrophe zu erwarten
- für die
Mutter: vor Angst nicht schlafen zu können, und dann sicherheitshalber gleich
im Kinderzimmer zu liegen, um die Atemzüge des Kindes zu hören – auch wenn der
Ehemann zunehmend ärgerlich wird
- für die
Geschwister: eifersüchtig zu sein auf die Aufmerksamkeit, die der Kranke
bekommt
- für das
Kind selbst: sich und anderen deutlich zu machen, daß man »nichts« kann,
hilflos ist – in der Schule daher durchzusetzen, daß es vom Sport befreit wird
- verschiedene
Fachleute zu konsultieren. Die sagen dann solche Dinge wie: das wächst sich
aus; das ist psychosomatisch; damit müssen Sie Ihr ganzes Leben leben; lassen
Sie alle Medikamente weg; wenn Sie nicht alle Medikamente regelmäßig nehmen,
wird es Ihnen ganz schlecht gehen; nehmen Sie nur natürliche Substanzen; machen
Sie Akupunktur oder Diät usw.
- für die
Fachleute selbst: in den Einrichtungen bestimmte Meinungen zu haben und zu
propagieren, vehement über die Kollegen schimpfen, die für/gegen Naturheilkunde
sind, für/gegen psychologische Betreuung eintreten usw. und entsprechend:
- auf
Kongressen und in Büchern eigene Erfahrungen und Lehrmeinungen vorzustellen und
zu verteidigen, andere Vorstellungen als irrig abzutun, Forschungsetats zu
beantragen usw.
Ein Reigen von sprachlichen Interaktionen, und die Fachleute sind
nicht objektive Beobachter dieser Prozesse, sondern sind mit dabei, diesen
Reigen mitzugestalten, fortzusetzen, gegebenenfalls sogar in Gang zu setzen.
Was wir als körperliche Krankheit erleben und so bezeichnen, wird durch den Akt
der Versprachlichung (auch) eine soziale Konstruktion. Und von dem Moment an
reagieren wir nicht nur auf die Krankheit, sondern wir konstruieren die
Phänomene mit, mit denen wir es zu tun haben. Wenn wir uns über die Art, wie
wir Krankheit beschreiben, Gedanken machen, wird es möglich, eine wichtige
Unterscheidung zu ziehen: Schafft die Art, in der von Patienten, Familien und
Fachleuten über Krankheit gesprochen wird, Freiräume oder reduziert sie sie?
(nach: von Schlippe et al. 1994).
aus einem selbstverfassten Skript zur Prüfungsvorbereitung nach
Schlippe, Schweitzer, Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung
[Hervorhebung des Castaneda-Zitats von mir]
[Hervorhebung des Castaneda-Zitats von mir]
siehe auch:
- Systemische Therapie 1 (Post, 23.04.2014)
- Unsere Welt besteht aus Geschichten (Post, 17.12.2015)
- Unsere Welt besteht aus Geschichten (Post, 17.12.2015)