Dienstag, 7. Januar 2020

Materialsammlung: Spannungsfeld Freud – Sartre – Laing

Seit es sie gibt, wird die Psychiatrie kritisiert – von Außenstehenden und von Psychiatern selbst. So schlossen sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts Laien zusammen und protestierten gegen die offensichtlichen Missstände in psychiatrischen Anstalten. 1894 etwa verfassten die Teilnehmer einer Konferenz in Göttingen die „Göttinger Leitsätze“. 1909 formierte sich eine Bewegung mit dem Ziel, „wahrheitsgetreue und beweisbare Mitteilungen über schlechte Behandlung, ungerechtfertigte Internierungen angeblich Geisteskranker, Entmündigungsangelegenheiten et cetera zu sammeln“. Den Anlass lieferte ein erregter Kranker, den man nach der Aufnahme in einer Anstalt vier Wochen lang auf einem Bett festband, weil der zuständige Arzt im Urlaub war. Die Kritisierten reagierten vor allem entrüstet darüber, dass eine solche Kritik verbreitet wurde.

Bereits 1914 beklagte Carl Gustav Jung die einseitige naturwissenschaftliche Ausrichtung der psychiatrischen Ausbildung, welche in dem Leitsatz „Geisteskrankheiten sind Hirnkrankheiten“ gipfele. Er konstatierte: „(. . . ) dass die schlimmsten Katatonien und Dementia-Fälle vielfach Produkte der Irrenanstalt sind, hervorgerufen durch den psychologischen Einfluss des Milieus (. . . ) Alle Bedingungen, die einen normalen Menschen unglücklich machen würden, haben auf einen Kranken eine ebenso unheilvolle Wirkung.“ Fünfzig Jahre später findet man ähnliche Positionen in der „Antipsychiatrie“-Bewegung wieder. Ronald Laing und David Cooper gelten als ihre Begründer. Doch nur Cooper hat sein Konzept so genannt, Laing lehnte die Bezeichnung „Antipsychiater“ für sich ab. Denn er war der Ansicht, dass man den Vertretern der traditionellen Psychiatrie nicht das Monopol auf die Bezeichnung „Psychiater“ überlassen dürfe.

Zwar überschneidet die „Antipsychiatrie“-Bewegung sich mit der internationalen Studentenrevolte der 1960er Jahre. Doch Laing, Cooper und etwa Franco Basaglia entwickelten ihre ersten Modelle bereits 1961 und 1962, als von einer Emanzipationsbewegung der Jugend noch kaum etwas zu spüren war. Unter dem Einfluss der Studentenbewegung wurden ihre Schriften freilich ins Deutsche übersetzt und in der Bundesrepublik gelesen.

mehr:
- Ronald D. Laing: Reise in den inneren Raum (Christof Goddemeier, aerzteblatt.de, Ausgabe September 2014, S. 410)
siehe auch:
[2] In Sartres Philosophie stehen das Subjekt und der Sinn, den das Subjekt seinen Handlungen und seinem Leben insgesamt gibt, im Zentrum. Die Existenzphilosophie i.w.S. seit Kierkegaard war die erste Philosophie, die das Subjekt so radikal ins Zentrum stellte. In einer Gegenbewegung zum Existenzialismus betonten die Strukturalisten (Foucault, Lévi-Strauss, Barthes, Althusser) die Bedeutung der unbewussten Strukturen. Für sie waren Subjekt und Sinn nur Schaumkronen, die über die alles entscheidenden Strukturen jedoch nichts aussagten. Sartre warf Foucault 1966 in Jean-Paul Sartre répond, entretien avec Bernard Pingaud vor, aus der Geschichte eine Geologie zu machen, in der der Mensch nicht mehr vorkommt. Sartre betonte zwar immer wieder, dass das An-sich resp. das Praktisch-Inerte sich gegen den Menschen und die Intention seiner Handlungen richten kann. Doch für ihn war das freie Subjekt mit seinen Handlungen das Schmieröl, das die Maschinerie der Geschichte am laufen hielt. Deshalb war für Sartre auch das (politische) Engagement des Individuums so wichtig – eine Ansicht, die Foucault, der punktuell politisch sehr aktiv war, wenn nicht theoretisch, so doch praktisch teilte. Mehrfach kam es zwischen Sartre und Foucault in den 70er Jahren zu politischer Zusammenarbeit (gegen Rassismus, für bessere Haftbedingungen, Gründung der Nachrichtenagentur Libération). Mit seinen Spätwerken L'Usage des plaisirs und Le Souci de soi (1984) rückte Foucault dann wieder das Subjekt und eine an der Selbsttechnik orientierte Ethik ins Zentrum seiner Betrachtungen.
Den Gegenschlag gegen die Strukturalisten führten ab Mitte der 70er Jahre die Nouveaux Philosophes (Glucksmann, Finkielkraut, B. H. Lévy), die radikal den Menschen und die Menschenrechte ins Zentrum ihrer politischen Philosophie stellten. Sie wandten sich auch gegen alle jene Linken, die zuliessen, dass zugunsten der Revolution über Leichen gegangen werden darf, und damit auch teilweise gegen Sartre und dessen Version der Verantwortungsethik.
Neben der spektakulären Nicht-Diskussion zwischen Sartre und Foucault, der oft als Sartres Nachfolger gesehen wurde, gab es jedoch eine wirklich, sich allerdings über mehrere Jahre (1960-71) hinweg ziehende echte Diskussion, jene zwischen Lévi-Strauss und Sartre. Lévi-Strauss kritisierte 1962 in La Pensée sauvage die Trennung zwischen analytischem und dialektischem denken. Für Lévi-Strauss gibt es letztlich nur analytisches Denken, und in diesem kann der Mensch nur Objekt sein. Entsprechend will Lévi-Strauss die Dialektik auch nicht auf den geisteswissenschaftlichen Bereich begrenzen. Demgegenüer hält Sartre daran fest, dass das analytische Denken, in dem der Mensch nur Objekt ist und das die Einzelwissenschaften auszeichnet, seine Vollendung erst im dialektischen Denken findet. In diesem ist der Mensch Subjekt-Objekt. Es fundiert in der Geschichte und der täglichen Praxis. Wie bei Heidegger hat es einen erlebnishaft-existentiellen Charakter. Dieses dialektische Denken ist die Besonderheit der Philosophie, womit Sartre auch die Philosophie gegen die Einzelwissenschaften behauptet. Dem Streit liegt letztlich die philosophische Unterscheidung zwischen Verstand und vernunft zugrunde. Von Platon bis Kant wurde der Verstand (noesis, intellectus, franz. entendement) als Wesenserkenntnis höher als die Vernunft (dianoia, ratio, franz. raison) als begriffliche-diskursive Bestimmung aufgefasst. Mit Kant dreht sich dieses Verständnis. Der Verstand als an Sinneseindrücke gebundenes Erkenntnisvermögen steht unter der Vernunft, die imstande ist, unabhängig von der Erfahrung Schlüsse zu ziehen. Hegel verband dann die Vernunft mit der Dialektik. Der Verstand steht für das positive, bestimmende Denken, die Vernunft für das negativ- dialektische, das sich in der Geschichte verwirklicht. In der Diskussion mit Lévi-Strauss übernahm Sartre Hegels Grundpositionen (wenn auch in der marxistischen Version) gegen dessen positivistische, szientistische Haltung.
[3] Das Aufkommen der Naturwissenschaften im 19. Jh. bildet eine schwere Bedrohung für die Philosophie als „Mutter der Wissenschaften“. Diese droht auf den Status einer Hilfswissenschaft abzusinken. Der Psychologismus verneint radikal die Möglichkeit eines unabhängigen, freien Denkens. Denken kann nicht mehr wahr oder falsch sein, sondern ist nur durch Motivationen begründet. Der Neukantianismus versucht die Selbständigkeit der Philosophie zu retten, indem er auf Kant und seine Trennung zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Verstandesvorstellungen zurückgreift. Zu letzteren gehören die Kategorien der Quantität, Qualität, Relation und Modalität, die erst All-Sätze, Verneinung, Kausalität, Möglichkeit oder Notwendigkeit zulassen.  
[Alfred Betschart, Alfred Dandyk, Unaufrichtigkeit: Die existentielle Psychoanalyse Sartres im Kontext der Philosophiegeschichte, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002SartreOnline.com, undatiert – PDF, Fußnoten 2 und 3]
Jean-Paul Sartres Blick auf die Psychoanalyse des Sigmund Freud (Astrid Kanne, Nea Agora, 2001 – PDF)
- Existenzialismus und Transaktionsanalyse (Claudie Raimond, Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse, gekürzte Übersetzung, Oktober 1980 – PDF)
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