Donnerstag, 1. Dezember 2005

Ernst Gräfenberg: Wer (er)fand den G-Punkt?

Medizinhistorische Anmerkungen zur Erstbeschreibung vor 61 Jahren

Selten fand ein medizinischer Fachbegriff so breiten Eingang in die populärwissenschaftliche Literatur wie der Terminus „G-Punkt“, obwohl kritische Stimmen immer wieder betonen, dass es sich bei dieser besonderen erogenen Zone der Frau weniger um eine Entdeckung als vielmehr um eine Erfindung handele (10). Weitgehend unbekannt ist, wem der G-Punkt seinen Namen verdankt und wer oder was sich hinter dem Buchstaben G verbirgt.

Vor 61 Jahren, im August 1944, wurde im amerikanischen Western Journal of Surgery, Obstetrics and Gynecology eine Arbeit von Ernst Gräfenberg und Robert Latou Dickinson veröffentlicht, die als Ursprung der „Idee des G-Punkts“ gelten kann (7). Aus diesem Anlass soll an den bis Ende der 30er-Jahre in Berlin praktizierenden Gynäkologen jüdischen Glaubens Ernst Gräfenberg erinnert und auch auf die Entstehungs- und aktuelle Rezeptionsgeschichte des G-Punkts eingegangen werden.

Ernst Gräfenberg – zur Person

Gräfenberg wurde am 26. September 1881 in Adelebsen, Provinz Hannover, geboren. Das Medizinstudium absolvierte er in München und Göttingen. Das medizinische Staatsexamen legte er im Januar 1905 in Göttingen ab (4).

Gräfenberg nahm die ärztliche Tätigkeit an der Augenklinik der Universität Würzburg auf. 1905 wechselte er zur Kieler Universitätsfrauenklinik und begann seine Weiterbildung unter der Leitung von Richard Werth, der durch die Entwicklung der Schichtnaht in die Geschichte der Chirurgie eingegangen ist; später war Hermann Johannes Pfannenstiel sein Chef. 1910 zog Gräfenberg nach Berlin, wo er sich als Gynäkologe im Stadtteil Schöneberg niederließ. Im selben Jahr übernahm Walter Stoeckel das Ordinariat in Kiel (17). Ernst Gräfenberg war für kurze Zeit mit der Schriftstellerin Rosie Waldeck verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos und wurde „wegen Disharmonie in beiderseitigem Einverständnis geschieden“ (14, 16). Ende der 20er-Jahre befand sich Gräfenberg auf dem Höhepunkt seiner Karriere in Berlin. In seiner Praxis am Kurfürstendamm 24 behandelte er Frauen von Geschäftsleuten und Diplomaten, unter seinen Patientinnen waren Berühmtheiten aus der Berliner Theater- und Opernszene. Aber er war nicht nur der viel frequentierte Prominentenarzt. Im Dezember 1928 fand auf Initiative engagierter linksliberaler Ärzte ein Kurs über Geburtenregelung statt. Hier berichtete Gräfenberg erstmals über die von ihm entwickelte Intrauterinspirale, den so genannten Gräfenberg-Ring, der als Vorläufer aller modernen Intrauterinpessare gilt (5).

Anfang der 20er-Jahre hatte Gräfenberg mit der intrauterinen Einlage von Seidenfäden, später von Ringen aus gedrehtem Silberdraht zur Schwangerschaftsverhütung begonnen. Sie bestanden – wie Untersuchungen aus den 70er-Jahren gezeigt haben – wohl aus Gründen der Festigkeit aus technischem Silber, das Verunreinigungen von Zinn, Cadmium und bis zu 28 Prozent Kupfer enthält (21). Gräfenberg, der zuletzt „mikrochemische Umwandlungen“ für die temporäre Sterilität verantwortlich machte, hat also unbewusst das erste Kupfer-Intrauterinpessar erfunden. Gräfenberg wurde zu internationalen Kongressen der Geburtenkontroll- und Sexualreformbewegung eingeladen; allerdings war die herrschende Lehrmeinung eindeutig gegen die von ihm vertretene Methode gerichtet. Die Kritiker unterlagen einem tragischen Missverständnis: Die Angst vor den häufig mit Stiftpessaren verbundenen Komplikationen, die auf eine „Infektionsbrücke“ zwischen Vagina und Uterus zurückzuführen war, wurde mit einem bemerkenswerten Mangel an Differenzierungsvermögen auf die völlig intrauterin liegenden Gräfenberg-Ringe übertragen (3).
mehr:
- Ernst Gräfenberg: Wer (er)fand den G-Punkt? ( David, Matthias; Chen, Frank C. K.; Siedentopf, Jan-Peter , Dtsch Arztebl 2005; 102(42): A-2853 / B-2407 / C-2270 , 7773 )
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Donnerstag, 28. April 2005

"Ich hasse Dich – verlass mich nicht": Leben auf der Grenze

Macht Beziehungen und Familien zum Alptraum: Die Borderline-Persönlichkeitsstörung 

“Spinne ich oder spinnt er/sie?” Das fragt sich so mancher in Familien oder Partnerschaften, in denen immer wieder aus heiterem Himmel urplötzlich die Fetzen fliegen. Borderline Personality Disorder (BDP), kurz „Borderline“, kann die Ursache sein, die einen zum Verzweifeln bringt.
mehr:


aus dem Artikel:
Bekannte Adressen sind beispielsweise www.borderline-community.dewww.borderliners-anonymous.de,  www.borderline-selbsthilfe.dewww.versteckte-scham.deundwww.borderline-angehoerige.de. Auf www.borderlinetrialog.de wird versucht, gemeinsam mit Betroffenen, Angehörigen und Therapeuten neue Lösungen zu finden. 

Borderline aus dem englischem = Grenzlinie

Borderline ist eine weit gefächerte Krankheit 

Zitat aus Wikipedia :

Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) wird auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung genannt. Zum Erscheinungsbild gehören sehr wechselhafte Stimmungen und Affekte, ein zerrüttetes Selbstbild, sehr unterschiedlich ausgeprägte Arten von traumabedingten Dissoziationen und damit verbundene Autoaggression sowie extreme zwischenmenschliche Sensibilität und extremes Emotionsgedächtnis. Vor allem die letzten beiden Symptome sind häufig Ursache für soziale Konflikte. Grundsätzlich können die Symptome bei den Betroffenen sehr unterschiedlich sein; viele davon gibt es sogar gegenteilig. Die Stärke der Störung ist von Person zu Person individuell, ebenso das damit verbundene Leiden und die individuellen Belastungserscheinungen. Es ist jedoch immer eine seelische Dauerbelastung gegeben, das Leben Betroffener ist nachhaltig beeinträchtigt.

Borderliners Anonymous (BA) ist ein Zwölf-Schritte-Programm für Menschen, die an der Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden. BA arbeitet mit einem abgewandelten Programm der Anonymen Alkoholiker.

Jeder Borderliner kann Mitglied werden. BA fordert keine Mitgliedsbeiträge und finanziert sich aus Spenden der Mitglieder. In regelmäßig stattfindenden Meetings haben die Betroffenen die Möglichkeit, über von ihnen selbst gewählte Themen zu reden.

Weblinks:
http://www.borderline-selbsthilfe.de/
http://www.borderline-syndrom.ch/
http://www.blumenwiesen.org/borderline.h...
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/199...

Sozialverhalten und Partnerschaft

Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind oft höchst instabil. Die borderlinekranke Person schwankt zwischen vorwurfsvollen Angriffen und Klammerverhalten. BPS-Kranke schwanken zwischen Idealisierung und Entwertung der anderen Person hin und her und fürchten gleichzeitig, verlassen zu werden. Die Betroffenen sind schnell enttäuscht und erbost, wenn andere ihre Erwartungen nicht erfüllen, bleiben aber trotzdem intensiv an sie gebunden. Einige Borderlinekranke demütigen die Personen, die sie lieben, wünschen sich aber gleichzeitig, dass die jeweilige Person bleibt. Besteht eine enge emotionale Bindung zu einem anderen Menschen, kann auch die Tendenz bestehen, die andere Person zu idealisieren.

Bereits kleine Anlässe können starke Gefühlsimpulse auslösen, die vom Betroffenen nicht verarbeitet werden können. Es gibt für viele Betroffene häufig über Tage oder sogar Wochen keinen Ausweg aus der eigenen Gefühlswelt. Häufig werden Äusserungen sowie Kommunikationssignale wie Gesten, Mimik und Betonung sehr intensiv analysiert und auf „Signalwirkung“ hinsichtlich möglicher Angriffe oder feindlichen Verhaltens untersucht. Ursache ist eine häufig anzutreffende generelle Erwartungshaltung, dass Kränkungen vom Gegenüber zu erwarten sind.

Die Angst, verlassen zu werden, steht oft in Beziehung mit eigenen, traumatischen Erfahrungen und deren dissoziativer Bewältigung. Dies führt dazu, dass sich der Betroffene oft unbewusst in einer Weise verhält, durch die er die Bezugsperson verliert oder zumindest kränkt. Es fällt den Betroffenen schwer, Nähe zuzulassen, auch wenn sie ständig danach suchen. Dieses Problem ist ich-synton, das heißt Betroffene wissen nicht bzw. haben höchstens ein unangenehmes Gefühl, dass sie de facto Angst vor Nähe haben.

Das allgemeine soziale Verhalten Betroffener ist nicht nur durch die Belastungserscheinungen alleine zu beschreiben. Es ist immer abhängig vom Menschen, der dahinter steckt, der mit den Problemen und Erschwernissen der Borderline-Störung leben muss. Das erfordert besondere Verantwortung und besondere Anstrengung von beiden Seiten. Da es den Betroffenen aber in vielen Lebenslagen oft schwer bis unmöglich ist, den Erwartungen der Umwelt zu entsprechen, entsteht für diese Personen und ihre Partner[1] meist erhebliches persönliches Leid.

Fachliteratur

* Mathias Lohmer: Borderline-Therapie Psychodynamik, Behandlungstechnik und therapeutische Settings. 2005, ISBN 3794523822
* Christa Rohde-Dachser: Das Borderline-Syndrom. 2004, ISBN 345684087X
* Weshavel: Schizotypische Persönlichkeitsstörung, Borderline Persönlichkeitsstörung, Soziale Phobie. 2003, ISBN 3833003820
* Martin Bohus: Borderline-Störungen. 2002, ISBN 3801710963
* Gerhard Dammann, Paul L. Janssen (Hrsg.): Psychotherapie der Borderline-Störungen. 2001, ISBN 3131268611
* Otto F. Kernberg, Birger Dulz, Ulrich Sachsse et al.: Handbuch der Borderline-Persönlichkeitsstörungen. Schattauer, Stuttgart 2000, ISBN 3-7945-1850-0
* Otto F. Kernberg: Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus. 2000, ISBN 3518280295
* Birger Dulz, Angela Schneider: Borderline-Störungen - Theorie und Therapie. 1999, ISBN 3794520130
* Marsha M. Linehan: Dialektisch Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. 1996, ISBN 3980307484
* Katja Nienhaus (Dissertation 2003): Diagnostik und Differentialdiagnostik der Borderline-Persönlichkeitsstörung (PDF; 1,44 MB)

Für Betroffene

* Jerold J. Kreisman, Hal Straus: Ich hasse dich, verlaß’ mich nicht. Die schwarzweiße Welt der Borderline-Persönlichkeit. 2005, ISBN 3466303265
* Ewald Rahn: Borderline. Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige. 2005, ISBN 3884142585
* Vincent E. Noel: Sarah – Vom Ende meines langsamen Abschieds. 2005, ISBN 393710173X
* Andrea Brackmann: Jenseits der Norm – hochbegabt und hoch sensibel?. Klett-Cotta, Stuttgart 2005, ISBN 3-608-89002-5.
Dieses Buch behandelt insbesondere auch das Thema „hochbegabte Erwachsene“. Außerdem stellt die Autorin Zusammenhänge zwischen dem Borderline-Syndrom und Hochbegabung dar.
* Heinz-Peter Röhr: Weg aus dem Chaos. 2003, ISBN 3530300101
* Joachim Gneist: Wenn Hass und Liebe sich umarmen. 1995, ISBN 3492238904

Für Angehörige

* Sonja Szomoru, Viola Valentin: borderline brach herz Hilfe zur Trennungsverarbeitung für Borderline-Partner. 2005, ISBN 3980949656
* Paul T. Mason, Randi Kreger: Schluss mit dem Eiertanz. Ein Ratgeber für Angehörige von Menschen mit Borderline. 2003, ISBN 3884143379

Quellen

1. ↑ www.borderline-plattform.de: Gemeinsame Merkmale der Borderline-Partner (Co-Abhängigkeit)
2. ↑ http://www.tfp-institut-muenchen.de/ TFP-Institut München

Rezeption

Folgende Filme befassen sich thematisch mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung:

* Allein, Drama, Deutschland 2004
* Durchgeknallt (Girl, Interrupted), Drama, USA 1999
* Angel Baby, Drama, Australien 1995
* Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen Drama, Frankreich 1986
* Das Geheimnis der falschen Braut Drama, Frankreich 1969 (zeigt nicht nur Borderline, sondern auch den co-abhängigen Partner)
* Eine verhängnisvolle Affäre, Drama/Thriller, USA 1987

Der Titel Stinkfist von Tool und das zugehörige Musikvideo handeln ebenfalls vom Borderline-Syndrom.


Typische Kriterien für eine Borderline-Störung sind:
1️⃣ Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen mit einem Wechsel zwischen den Extremen Überidealisierung und Abwertung
2️⃣Impulsivität bei mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Aktivitäten wie Substanzmissbrauch, finanziellen Ausgaben, extremen Sex, Ladendiebstahl, rücksichtsloses Autofahren, Bulimie
3️⃣Instabilität der Stimmungslage
4️⃣Übermäßig starke Wut oder die Unfähigkeit, diese zu kontrollieren
5️⃣Wiederholte Selbstmorddrohungen oder -versuche oder andere selbstverstümmelnde Verhaltensweisen
6️⃣Ausgeprägte Identitätsstörungen mit Unsicherheit in mindestens zwei der folgenden Lebensbereiche: Selbstbild, sexuelle Orientierung, langfristige Ziele und Berufswünsche, Art der Freunde oder Partner und persönliche Wertvorstellungen
7️⃣Chronisches Gefühl der Leere oder Langeweile
8️⃣Unfähigkeit, alleine zu sein
9️⃣Vorübergehende, bei Belastung entstehende Wahn- oder Bewusstseinsstörungen
Mindestens fünf dieser Kriterien müssen erfüllt sein, bevor eine Borderline-Störung vermutet werden kann. Doch bevor man als Laie jemand vorschnell das Etikett „Borderline“ anheftet, sollte man dies schon sehr genau mit Literatur und im Internet überprüfen. Es gibt inzwischen über hundert Bücher zum Thema. ("Ich hasse Dich – verlass mich nicht": Leben auf der Grenze, Wolf-Dieter Roth, Telepolis, 28.04.2005)

Siehe auch

* Psychische Störung
* Persönlichkeitsstörung
* Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung
* Doppelbindungstheorie
* Selbstverletzendes Verhalten u. a. viele Links
* 12-Schritte-Programm
* Borderliners Anonymous 

Quelle(n):

Dienstag, 8. März 2005

Kodo Sawaki: Zen ist die grösste Lüge aller Zeiten

1. Sich selbst finden und das eigene Leben schöpfen 

Wenn du den Buddhaweg zu deiner eigenen Frage machst, wirst du erkennen, dass er sich jeden Tag ändert. Wie soll ich den ewigen Weg in diesem Augenblick, in diesem Fall, beschreiten? Wir müssen in jedem Augenblick neu aufwachen, jeden Augenblick von Neuem praktizieren.

Wer weiß schon, ob ich morgen noch leben werde? Wer erinnert sich noch an gestern? Was wirklich wichtig ist, ist was ich in diesem Moment tue. Meine Füße müssen hier so fest auf dem Boden stehen, dass durch sie mein ganzer Leib in der Erde verankert ist.

Der Wert eines Menschen richtet sich nicht nach seinem Monatsgehalt. Was ist dann aber der wahre Wert eines Menschen? Wenn du nach ihm suchst, musst du erst einmal dich selbst finden. Wenn sich einer auf diese Suche begibt, dann hat er damit bereits das größtmögliche Glück für einen Menschen gefunden. Mit sich selbst vertraut werden - was könnte größer sein als das?

mehr:
- Auszüge aus »Zen ist die größte Lüge aller Zeiten« von Sawaki Kôdô Rôshi (antaiji.org, undatiert)
- Zen ist die grösste Lüge aller Zeiten [Kodo Sawaki (Autor), Kushiya Shusoku (Redakteur), Muho Nölke (Übersetzer), Angkor Verlag 2005, gefunden bei Amazon]