Medizinhistorische Anmerkungen zur Erstbeschreibung vor 61 Jahren
Selten fand ein medizinischer Fachbegriff so breiten Eingang in die populärwissenschaftliche Literatur wie der Terminus „G-Punkt“, obwohl kritische Stimmen immer wieder betonen, dass es sich bei dieser besonderen erogenen Zone der Frau weniger um eine Entdeckung als vielmehr um eine Erfindung handele (10). Weitgehend unbekannt ist, wem der G-Punkt seinen Namen verdankt und wer oder was sich hinter dem Buchstaben G verbirgt.
Vor 61 Jahren, im August 1944, wurde im amerikanischen Western Journal of Surgery, Obstetrics and Gynecology eine Arbeit von Ernst Gräfenberg und Robert Latou Dickinson veröffentlicht, die als Ursprung der „Idee des G-Punkts“ gelten kann (7). Aus diesem Anlass soll an den bis Ende der 30er-Jahre in Berlin praktizierenden Gynäkologen jüdischen Glaubens Ernst Gräfenberg erinnert und auch auf die Entstehungs- und aktuelle Rezeptionsgeschichte des G-Punkts eingegangen werden.
Ernst Gräfenberg – zur Person
Gräfenberg wurde am 26. September 1881 in Adelebsen, Provinz Hannover, geboren. Das Medizinstudium absolvierte er in München und Göttingen. Das medizinische Staatsexamen legte er im Januar 1905 in Göttingen ab (4).
Gräfenberg nahm die ärztliche Tätigkeit an der Augenklinik der Universität Würzburg auf. 1905 wechselte er zur Kieler Universitätsfrauenklinik und begann seine Weiterbildung unter der Leitung von Richard Werth, der durch die Entwicklung der Schichtnaht in die Geschichte der Chirurgie eingegangen ist; später war Hermann Johannes Pfannenstiel sein Chef. 1910 zog Gräfenberg nach Berlin, wo er sich als Gynäkologe im Stadtteil Schöneberg niederließ. Im selben Jahr übernahm Walter Stoeckel das Ordinariat in Kiel (17).
Ernst Gräfenberg war für kurze Zeit mit der Schriftstellerin Rosie Waldeck verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos und wurde „wegen Disharmonie in beiderseitigem Einverständnis geschieden“ (14, 16). Ende der 20er-Jahre befand sich Gräfenberg auf dem Höhepunkt seiner Karriere in Berlin. In seiner Praxis am Kurfürstendamm 24 behandelte er Frauen von Geschäftsleuten und Diplomaten, unter seinen Patientinnen waren Berühmtheiten aus der Berliner Theater- und Opernszene. Aber er war nicht nur der viel frequentierte Prominentenarzt. Im Dezember 1928 fand auf Initiative engagierter linksliberaler Ärzte ein Kurs über Geburtenregelung statt. Hier berichtete Gräfenberg erstmals über die von ihm entwickelte Intrauterinspirale, den so genannten Gräfenberg-Ring, der als Vorläufer aller modernen Intrauterinpessare gilt (5).
Anfang der 20er-Jahre hatte Gräfenberg mit der intrauterinen Einlage von Seidenfäden, später von Ringen aus gedrehtem Silberdraht zur Schwangerschaftsverhütung begonnen. Sie bestanden – wie Untersuchungen aus den 70er-Jahren gezeigt haben – wohl aus Gründen der Festigkeit aus technischem Silber, das Verunreinigungen von Zinn, Cadmium und bis zu 28 Prozent Kupfer enthält (21). Gräfenberg, der zuletzt „mikrochemische Umwandlungen“ für die temporäre Sterilität verantwortlich machte, hat also unbewusst das erste Kupfer-Intrauterinpessar erfunden. Gräfenberg wurde zu internationalen Kongressen der Geburtenkontroll- und Sexualreformbewegung eingeladen; allerdings war die herrschende Lehrmeinung eindeutig gegen die von ihm vertretene Methode gerichtet. Die Kritiker unterlagen einem tragischen Missverständnis: Die Angst vor den häufig mit Stiftpessaren verbundenen Komplikationen, die auf eine „Infektionsbrücke“ zwischen Vagina und Uterus zurückzuführen war, wurde mit einem bemerkenswerten Mangel an Differenzierungsvermögen auf die völlig intrauterin liegenden Gräfenberg-Ringe übertragen (3).
mehr:
- Ernst Gräfenberg: Wer (er)fand den G-Punkt? (
David, Matthias; Chen, Frank C. K.; Siedentopf, Jan-Peter
,
Dtsch Arztebl 2005; 102(42): A-2853 / B-2407 / C-2270
,
7773
)
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