Samstag, 28. Januar 2012

Morris Berman – Wiederverzauberung der Welt



Vielleicht ist es kein Zufall, daß die erste nichtenglische Ausgabe von The Reenchantment of the World eine deutsche sein wird. In der Tat wird der Titel des Buches besonders beim deutschen Leser auf Resonanz stoßen, handelt es sich doch um eine beabsichtigte Umkehrung von Max Webers berühmter Bemerkung, Wissenschaft sei "die Entzauberung der Welt". Und so ist Webers Sorge um das was er "Rationalisierung" nannte in diesen Seiten gegenwärtig, ebenso, wie eine ganze Anzahl anderer Themen, die zuerst in deutscher Sprache formuliert wurden: C.G. Jungs Interesse an der Alchemie und dem Traumsymbolismus (Kapitel 3), Goethes Kritik an Newton und am "faustischen Menschen" im allgemeinen (Kapitel 4), sowie Reichs Behauptung, daß die Verdrängung des Körpers unsere Wahrnehmung und Erfahrung der Welt verzerrt (Kapitel 6). Darüberhinaus wird meine Diskussion der holistischen Tradition - eine Art zu denken, die dem angelsächsischen Geist eigentlich fremd ist - einem deutschen Publikum wahrscheinlich nicht ganz unbekannt sein, obwohl mein "Paradigmenfall" hier (Kapitel 7 und 8) interessanterweise der angloamerikanische Anthropologe Gregory Bateson ist, dessen HoIismus wichtige neue Bereiche absteckt und gleichzeitig bestimmte klassische holistische Themen anklingen lagt.

Wiederverzauberung der Welt. - Am Ende des Newton'schen ZeitaltersTrotz einiger Kritiken, die dieses Buch auf sich gezogen hat, stellt es meiner Ansicht nach keinen simplistischen Angriff gegen die moderne Wissenschaft dar, wie auch keine aufgefrischte Version von Oswald Spenglers Klagelied auf das Abendland. Wenn man von dem Buch sagen kann, daß es ein einziges durchgängiges Thema habe, dann jenes, daß die Erfolge der modernen Wissenschaft dem Abendland nicht in den Schoß fielen, daß wir trotz (oder wegen) ihres immensen Wertes einen beachtlichen Preis dafür bezahlten, einen Preis, den wir bisher ignorierten; und daß dieser besondere, durch die moderne Wissenschaft repräsentierte Wissensmodus, als Resultat davon, eingebaute Grenzen besitzt, welche schließlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erreicht wurden. Die hier angebotene Lösung besteht nicht in einem "Abschaffen" der Wissenschaft, was zumindest in absehbarer Zukunft so unwahrscheinlich ist, daß es albern wäre, sondern eher darin, nach dem zu suchen, was dem Abendland im Verlauf der wissenschaftlichen Revolution verloren ging, um diese fehlenden Elemente in unser gegenwärtiges Wirklichkeitsmodell wiedereinzubauen. Soweit ich erkennen kann, hat dieser Prozeß in den Industrienationen bereits begonnen. Denn der teuerste Preis, den wir den Leistungen der modernen Wissenschaft zahlten, ist, um Herbert Marcuse zu paraphrasieren, eine eindimensionale Erfahrung des Lebens, eine psychische Entfremdung, die Millionen von Menschen immer weniger zu tolerieren bereit sind. Diese Entfremdung war es, die zur Hauptquelle einer signifikanten Art kultureller Transformation wurde, einer Reihe von Veränderungen, die auf so verschiedene Weisen reflektiert werden wie von der Frauenbewegung, der Ökologiebewegung und dem neuerwachten Interesse am Okkulten, um nur einige zu nennen. Und doch handelt es sich hier um Veränderungen, die typischerweise auf der persönlichen Ebene ihren Anfang nehmen und nicht auf der politischen. Sie entwickeln sich aus privaten Zwangslagen, die sich innerhalb der individuellen Psyche kristallisieren. Dies ist nicht unwichtig; ich vermute sogar, daß es sich dabei um einen absolut wesentlichen Bestandteil jener Veränderungen handelt, von denen ich spreche, denn solch ein Dilemma muß auf unmittelbare und persönliche Weise empfunden werden, um als real begriffen zu werden. Ich habe mir in diesem Buch zur Aufgabe gemacht, einige dieser Dilemmas aus historischer Perspektive aufzuzeigen und jene Optionen nahezulegen, die uns zur Verfügung stehen; eigentlich heißt das, jene Hoffnungen und Befürchtungen zu artikulieren, die bereits recht weit verbreitet sind. Letztlich muß der Leser für sich selbst entscheiden, in welchem Umfang eine Wiederverzauberung möglich oder wünscheswert ist und in welcher Form das geschehen sollte. 

Victoria, British Columbia, Morris Berman