Freitag, 5. November 1993

Die weibliche Ejakulation

Die weibliche Ejakulation ist kein Mythos, auch wenn sie nicht im Lehrbuch steht. Die moderne Wissenschaft forscht dazu nur zögerlich.

Es hinterläßt keine Flecken auf dem Bettlaken, sieht aus wie fettfreie, reichlich verwässerte Milch und kann bis zu einem Meter weit spritzen: das weibliche Ejakulat. Was etliche Sexualwissenschaftler noch immer in den Bereich der Phantasie verbannen möchten, gibt es tatsächlich; Frauen können auf dem sexuellen Höhepunkt eine Flüssigkeit ausstoßen, die dem männlichen Ejakulat entspricht.

Die moderne Wissenschaft beforscht die weibliche Ejakulation recht zögerlich; weltweit arbeiten nur einige wenige Gruppen an diesem Thema, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Finanzierung von sexualwissenschaftlichen Sujets eher schwierig ist. Die erste deutsche Untersuchung dazu stammt von der Kölner Ärztin Sabine zur Nieden und wird demnächst im Stuttgarter Enke-Verlag unter dem Titel "Weibliche Ejakulation" erscheinen. Diese Studie bestätigt zum Teil US-amerikanische Ergebnisse, entlarvt aber einige der bislang üblichen Annahmen als Mythen.

Ein auch unter Gynäkologen und Sexualwissenschaftlern noch weitverbreiteter Irrglaube ist der, daß eine weibliche Ejakulation gar nicht existiere. So meint Gunter Schmidt, Leiter des sexualwissenschaftlichen Instituts der Universität Hamburg, es handele sich um eine "geheime Phallusphantasie von Frauen", denn der Ejakulationsprozeß sei vom Penis abhängig. Auch Volkmar Sigusch von der Frankfurter Universität stand als Doktorvater der Arbeit von Sabine zur Nieden skeptisch gegenüber, schließlich erwähnten weder Masters und Johnson noch Kinsey, die Großen der Zunft, das Phänomen.

Dabei belegen sowohl die amerikanischen Befragungen als auch die deutsche Untersuchung, daß rund ein Drittel aller Frauen es regelmäßig erlebt. Von den 309 Frauen, die Sabine zur Nieden den umfangreichen Fragebogen zurückschickten, bestätigte fast die Hälfte, sie hätten wenigstens einige Male einen "Flüssigkeitserguß" gehabt. Interessant ist, daß die Kölner Studie eine höhere Häufigkeit der Ejakulation bei Lesben nachweist: 42 Prozent der homosexuellen, doch nur 28 Prozent der heterosexuellen Frauen gaben an, die weißlich bis klare Flüssigkeit auszustoßen. Die Ärztin führt dies jedoch nicht auf andere Sexualpraktiken zurück, die eher dazu geeignet seien, den G-Punkt zu stimulieren, sondern auf die "bessere Selbstbeobachtung von Lesben".

mehr:
- Weibliche Ejakulation: Das Wasser der Liederlichkeit (Annette Bolz, ZON, 05.11.1993)
siehe auch:
Weibliche Ejakulation (Wikipedia)
- Die Lust im Verborgenen – zum feministischen Verständnis des weiblichen Wollustorgans (Christina Bauer und Marion Hulverscheidt, bauer-christina.de, undatiert – PDF)
- Weibliche Ejakulation – Freudenfluss in Theorie und Praxis (Christa Wons, Leseprobe aus Lachesis-Zeitschrift Nr. 36, undatiert – Praxisadresse [Therapeuten.de])
Weibliche Ejakulation: Das steckt hinter der Flüssigkeit (fem.com, 24.09.2018)
Wie viele Frauen ejakulieren wirklich? (fem.com, 02.04.2016)
- Dubiose Lust-Spritzer der Damenwelt (Hansjörg Müllenmeister, AnderweltOnline, 26.04.2015)
A Review of Female Ejaculation During Orgasm (Nick Fleming, Psychology 353: Human Sexuality I, 23.11.2006, gefunden bei http://mackiller.tripod.com – PDF)
Weibliche Ejakulation??? (chiquita1985, liebe.gofeminin.de/forum, 03.09.2005)
- Weiblicher Orgasmus und weibliche Ejakulation dank afrikanischer Liebeskunst (Nsekuye Bizimana, Books on Demand 2005, GoogleBooks)
Sabine zur Nieden, Weibliche Ejakulation – Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter (Werbung, Psychosozial-Verlag, 2004) – Inhaltsangabe (PDF)
- Die weibliche Fontäne (Uta Bollow, taz, 03.11.1994)

aktualisiert am 30.03.2019