Freitag, 14. Juni 2019

Zen im Schwarzwald – Heidegger und der Rashomon-Effekt

Versuche, Heideggers Denken angemessen zu verstehen, verweisen im Falle von Sein und Zeit auf Aristoteles, Luther oder die Marburger Theologie.1 Beim späten Heidegger beginnt indes die Suche nach Quellen, die außerhalb dessen stehen was Heidegger als «die abendländische Metaphysik» adressierte: die von ihm selbst interpretierten Vorsokratiker oder gar die hebräi- sche Tradition.2 Auch die Konvergenz zwischen der Spätphilosophie Heideggers und zentralen Motiven des ostasiatischen Denkens ist seit langem Gegenstand der Forschung.3 Reinhard May hat zu belegen versucht, dass vor allem Heideggers ausführliche Auseinandersetzung mit dem taoistischen Denken, das ihm durch Bubers Tschuang-Tse-Ausgabe von 1910 und Richard Wilhelms Übersetzung des Tao Te King bekannt war und mit dem er sich unter Anleitung von Paul Hsiao intensiv beschäftigte, einen wichtigen Einfluss auf sein Denken ausübte.4 May kommt zu dem Ergebnis, dass Heideggers Begriff des Nichts, ja die idiosynkratisch anmutende und stets mit Verweis auf Hölderlin hergeleitete Fusion von Dichten und Denken wesentlich durch den Einfluss des Taoismus zu erklären sei. Heideggers Spätwerk werde nur verständlich auf Basis einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem «nichtabendländischen Denken».5 

Eine Variante dieser Verknüpfung Heideggers mit außereuropäischem Denken stellt Willfred Hartigs ausführliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Buddhismus und Heidegger dar. Er kommt auf der Basis persönlicher Begegnungen mit Heidegger indes zu dem Ergebnis, dass die Konvergenz mit der indischen Kultur entscheidend sei. Über sich selbst in der dritten Person schreibt Hartig: «Ihm wurde bewußt, daß viel stärker als das Altgriechische eigentlich das Alt- und Mittelindische, in denen ja Sein und Wahrheit in ein- und demselbem Wort (sk. sat-ya, Palisacca) zusammenfallen, sich als die phänomenologischen Sprachen des ost-westlichen Altertums erweisen.»6 Hätte Heidegger seine Spätphilosophie also viel weniger umständlich, viel eleganter auf Sanskrit formulieren können?
mehr:
- Zen im Schwarzwald – Heidegger und der Rashomon-Effekt (Felix Heidenreich, Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft XIII/2 Sommer 2019)
siehe auch:
- Ein Meister aus Deutschland: Heidegger und seine Zeit (Rüdiger Safranski, Amazon)
- Wittgenstein und Heidegger: Die letzten Philosophen (Manfred Geier, Amazon)
Zeit der Zauberer: Das große Jahrzehnt der Philosophie (Wolfram Eilenberger, Amazon)
Hannah Arendt und Martin Heidegger (Antonia Grunenberg, EINBLICKE Nr. 44 / Herbst 2006, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – PDF)
- Eine unmögliche Liebe (Klaus Naumann, ZON, 18.08.1995)
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