Warum Gehirn und Körper Schlaf brauchen
Nichts tun wir so ausdauernd wie - scheinbar - nichts: Schlafen. An einzelnen Tagen mag die Arbeitszeit überwiegen, aber im Durchschnitt unseres Lebens verbringen wir ein Drittel jedes Tages in erholsamer Bewusstlosigkeit.
Das macht es umso seltsamer, dass die Neurowissenschaften erst seit einigen Jahren dahinter kommen, wozu Schlaf gut ist. Die Frage ist nicht damit beantwortet, dass man sagt: Weil wir müde sind. Müdigkeit ist nur die Wahrnehmung des Schlafbedürfnisses. So, wie die Natur den Hunger eingeführt hat, damit wir essen, hat sie die Müdigkeit erfunden, damit wir schlafen. Wozu wir essen sollen, ist offensichtlich. Aber die Frage bleibt: Wozu sollen wir schlafen?
Es vereinfacht die Beantwortung der Frage nicht, dass es Tiere gibt, bei denen sie sich nicht stellt. Um den Nutzen eines Verhaltensbereichs zu ergründen, ist es ja oft eine gute Idee, den Blick im Tierreich schweifen zu lassen. Immerhin: Alle Tiere schlafen. Aber manche mehr, manche weniger. Nach einer Zusammenstellung von Jerome Siegel von der UCLA finden sich am einen Ende der Skala zwei Fledermäuse, die auf Englisch anscheinend tatsächlich "little brown bat" und "big brown bat" heißen. Sie schlafen jeden Tag rund 20 Stunden. Das andere Extrem repräsentieren große Pflanzenfresser wie Elefanten, Pferde, Hirsche und Giraffen, die nur gerade auf drei bis vier Stunden Schlaf am Tag kommen. Und einige Tiere schlafen zeitweise gar nicht. Walrosse können Tage lang aktiv schwimmen, ohne danach Schlaf nachholen zu müssen; auch manche Wale bleiben nach der Geburt eines Kalbs längere Zeit wach.
Evolutionär betrachtet, scheint es keinen Zweck zu geben, für den Schlaf gebraucht würde. Vielmehr nennt Siegel Schlaf eine Phase "adaptiver Untätigkeit". Das will sagen: Für fast jedes Lebewesen, vom Bakterium aufwärts, gibt es - meist zyklisch wiederkehrende - Umweltbedingungen, an die es nicht gut angepasst ist. Fische können nichts mit Trockenheit anfangen, Pflanzen und viele Tiere nichts mit Winter und viele Säugetiere nichts mit Nacht. Dann ist es dunkel, sie sehen nichts, und wenn sie blind herumtapsen, besteht die Gefahr, einem anderen Tier vor die Schnauze zu laufen, das sich besser zurechtfindet und lange Zähne hat.
In solchen Phasen ist es für jedes Tier also am klügsten, sich zu verkriechen und abzuwarten, bis die Bedingungen wieder besser werden. Und um bei dieser erzwungenen Untätigkeit keine Energie zu verschwenden, werden die Körperfunktionen heruntergefahren. Geschieht das jeden Tag, nennt man es: Schlaf.
mehr:
- Schlaf, der Gedächtnisgärtner (Konrad Lehmann, Telepolis, 03.04.2016)
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