Mein Zen-Glaube ließ mich die tiefe Verbindung, die ich seit jeher für die Shinshu-Sekte empfunden hatte, keineswegs verleugnen. Es ist unbestreitbar, daß ich mich von der Größe und Menschlichkeit von Meister Sawaki mächtig angezogen fühlte, – aber auch von der geistigen Kraft des Zazen, das leidenschaftlich zu üben ich fest entschlossen war. Dennoch blieben die Shinshu-Gebote, die mich meine Mutter gelehrt hatte, tief in mir verankert. Manchmal kam es vor, daß ich meinem Meister scherzend sagte, meine Aufgabe wäre viel einfacher gewesen, wenn ich ein Shinshu-Mönch geworden wäre, da die reine Disziplin des Zazen viel schwieriger in die Praxis umzusetzen sei als das einfache Rezitieren der Formel Namu Amida Butsu. Die überaus einfache Nahrung, mit der die Zen-Mönche vorlieb nehmen müssen, sowie die Schmerzen in den Beinen, die sie zu ertragen haben, schrecken manchen Anfänger ab. Kodo Sawaki war gar nicht böse darüber, denn er behauptete selber, daß sich die Gebote beider Sekten ergänzten. Seine Haltung beruhigte meine Befürchtungen. Gerade indem ich Zazen übte, konnte ich den Lehren, die mich von Kindheit an begleitet hatten, treu bleiben. Deshalb versuchte ich, eher als die Unterschiede zu betonen, die Gemeinsamkeiten zu entdecken, die sich dazu eignen würden, die beiden Schulen einander näher zu bringen. Dies war zu jener Zeit meine Hauptbeschäftigung.
Ich nahm an den religiösen Versammlungen, die von meinem Bruder, der ein treuer Anhänger des Shinshu geworden war, organisiert wurden, immer noch teil. Jedoch konnte ich es immer weniger unterlassen, am Wert der Shinshu-Schule, wenn ich ihre Lehre mit derjenigen des Zen verglich, zu zweifeln. In Anwesenheit von Meister Sawaki verschwanden hingegen alle diese Widersprüche. Damals erfuhr ich, daß seine erste Begeisterung für den Buddhismus von einer Tante, einer glühenden Anhängerin der Shinshu-Sekte, geweckt worden war. Er selbst hatte auch mit jenen Widersprüchen und Befürchtungen, die mich zu überfallen pflegten, geistige Kämpfe ausfechten müssen.
Da er seine Eltern sehr früh verloren hatte, wurde Meister Sawaki von einem Onkel erzogen, der ein leidenschaftlicher Spieler war. Am Abend hatte der Junge den Auftrag, die Spieler zu beobachten und dafür zu sorgen, daß sie beim Spiel nicht betrogen. Am Tage schickte ihn der Onkel weit herum, um für ihn Geschäfte zu erledigen. Nur bei seiner Tante fand der Junge Trost. Wenn er spät am Abend mit allen Aufgaben, die man ihm jeweils aufzwang, fertig geworden war, schlich er schnell in der Dunkelheit bis zu ihrem Haus, denn sie wohnte in der Nachbarschaft. Während er ihre Beine massierte, hörte er ihr zu, wenn sie die Predigt, die sie an jenem Tag im Tempel gehört hatte, aus dem Gedächtnis wiederholte. Trotz allen Aufgaben, die er hatte, gelang es ihm, selbst zum Tempel zu gehen, um sich die Predigten, die einen tiefen Eindruck auf ihn machten, anzuhören.
So erfuhr er, daß jemand, der sich vornimmt, für seinen Nächsten helfend einzuspringen, vollkommene Freiheit von egoistischen Neigungen beweisen muß. Erst nachdem er das Entsagen (Muga, Abwesenheit des Ego) in die Praxis umgesetzt hat, kann er Mönch werden. Damals fühlte er in sich das Erwachen einer Berufung, der er sich nicht mehr entziehen konnte. Leider war er gezwungen, für seine Pflegeeltern zu arbeiten.
Aus diesem Grund beabsichtigte er, auszureißen und nach Osaka zu gehen, um dort das Geld zu verdienen, das er ihnen zu schicken dachte. Gleichzeitig hatte er vor, seiner Berufung Folge zu leisten. Er war damals 16 Jahre alt.
An einem Abend, an dem der Mond nicht schien, verließ er sein Dorf. In der Nacht konnte er das sanfte und klägliche Geschrei der Wildgänse hören. Drei oder vier Tage später kam sein Pflegevater, dem es gelungen war, den Ort, an dem sich der Junge aufhielt, ausfindig zu machen, ihn in Osaka abholen mit der Begründung, er brauche ihn für sein Geschäft. Durch dieses Mißgeschick keineswegs entmutigt, faßte der Junge einen neuen Plan. Er hatte nur diese Hoffnung, sonst kümmerte es ihn wenig, ob er auf dem Weg sterben würde. Bevor er sein Dorf verließ, hatte er eine Unterredung mit dem Priester des Shinshu-Tempels. Dieser riet ihm, Zen-Mönch zu werden, da diese Sekte die Mönche nicht dazu zwang, zu heiraten. Sie waren frei zu wählen. Dies war für die Shjnshu-Mönche nicht der Fall, sie waren verpflichtet zu heiraten.
Mit siebzehn verließ Meister Sawakj endgültig seine Familie und unternahm eine lange Reise zu Fuß nach Eihei-Ji[1], einem Tempel, der weit genug entfernt war, damit man ihn nicht wieder abholen konnte. Sein Gepäck war leicht: eine oder zwei Rationen Reis und einige Yen, die ein Freund ihm hatte verschaffen können. Er lief so schnell seine Beine es ihm erlaubten fort. Auf dem Weg sandte er seiner Familie eine Postkarte, auf der er ihnen ohne große Umschweife seinen Entschluß mitteilte.
Nachdem er vier Tage und vier Nächte unter freiem Himmel verbracht hatte, kam er endlich mit leerem Magen in Eihei-ji an. Er mußte aber zwei volle Tage ohne Essen und Trinken innerhalb der Tempelmauern ausharren, da die Mönche, die ihn für einen Bettler hielten, sich sträubten, ihn anzuhören. Nach längerem Zögern war der Vorsteher endlich einverstanden, ihn als Tempeljungen anzustellen. Der Junge war so dankbar, daß er in der folgenden Nacht nicht schlafen konnte. Selbst im Alter erinnerte er sich gelegentlich an die Überraschung und die Freude, die er damals empfunden hatte. Die Bauern aus der Nachbarschaft verfertigten ihm eine Mönchskutte, indem sie Stücke von gebrauchten Kleidern zusammennähten.
aus Teisen Deshimaru, Autobiographe eines Zen-Mönchs, Theseus Verlag Zürich, 2. Aufl. 1990, S. 148ff.
[1] Von Dogen gegründeter Tempel.
Dogen hat das Soto Zen in Japan eingeführt.
Feuerpause! Sprüche des ZEN Meisters Kodo Sawaki - Eine audiovisuelle Meditation {40:00}
Feuerpause! Sprüche des ZEN Meisters Kodo Sawaki - Eine audiovisuelle Meditation {40:00}
alpavaria
Am 18.07.2018 veröffentlicht
Am 18.07.2018 veröffentlicht
Kôdô Sawaki Rôshi (1880-1965)
gilt als einer der wichtigsten
Zen-Meister des 20. Jahrhunderts.
Sein Tempel Antaiji wird heute
vom deutschen Abt Muhô geleitet.
Diese audiovisuelle Meditation, unterlegt mit Naturgeräuschen und Klangschalen-Sounds enthält eine kleine Auswahl der ZEN-Sprüch des Meisters Kodo Sawaki.
xgilt als einer der wichtigsten
Zen-Meister des 20. Jahrhunderts.
Sein Tempel Antaiji wird heute
vom deutschen Abt Muhô geleitet.
Diese audiovisuelle Meditation, unterlegt mit Naturgeräuschen und Klangschalen-Sounds enthält eine kleine Auswahl der ZEN-Sprüch des Meisters Kodo Sawaki.
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