Mittwoch, 24. Juni 2009
Körperkunde – Zeig mal her
Ist an der Vulva wirklich genug dran, um mit ihr ein ganzes Buch zu füllen? Mithu M. Sanyal versucht es.
Rezension von Sigrid Neudecker auf ZEIT-Online.
Dienstag, 23. Juni 2009
Sexuelle Verwahrlosung – Der Kampf um die Kinderseelen
Ein 11-jähriges Mädchen fragt, ob es noch normal ist:„Ich hatte noch nie Sex.’’
Auf dem Schulhof küssen sich Pärchen nicht mehr, weil sie das im Porno nicht gezeigt bekommen, Zwölfjährige haben Gruppensex, Partnerwechsel ist unter Teenagern eine sportliche Herausforderung.
Was Bernd Siggelkow, Jugendpastor und Gründer des Berliner Jugendwerks „Arche”, und der Sprecher der Einrichtung, Wolfgang Büscher gehört haben, ist erschütternd. Im Berliner Problem-Bezirk Hellersdorf sprachen die beiden Autoren mit mehr als 80 Jugendlichen über Pornografie, sexuelle Erfahrungen und die Begebenheiten im elterlichen Schlafzimmer. 30 Geschichten von Jugendlichen werden in dem Buch „Deutschlands sexuelle Tragödie” nacherzählt.
Die Arche ist eine Art Ersatzfamilie für viele Jugendliche in Berlin-Hellersdorf. Es gibt dort eine warme Mahlzeit, Platz zum Spielen, Aufmerksamkeit von Erwachsenen, die Möglichkeit, Gespräche zu führen. Das alles in einer Umgebung, die den Jugendlichen keine Perspektive bietet. Viele sind Schulabbrecher, selbst die mit einem Schulabschluss haben so gut wie keine Chance auf einen Ausbildungsplatz. Der Weg in das Erwachsenenleben führt für diese Jugendlichen über Sex. Andere Aufstiegsmöglichkeiten haben sie nicht.
Erschütternde Geschichten
Die Mutter einer 12-Jährigen erzählte, wie sie ihre Tochter regelmäßig los schickt, um Jungen mit nach Hause zu bringen. Gemeinsam haben sie dann mit den Jungs geschlafen und anschließend Partner getauscht. Bernd Siggelkow hat in der Arche einen Liebesbrief einer Neunjährigen an einen zehnjährigen Jungen gefunden, in dem sich das Mädchen mit allem anbietet, was sexuell möglich ist. Die alarmierten Eltern fanden nichts dabei: „Es ist doch nur Sex. Ist doch ganz normal” Wenn Kinder im emotionalen Notstandsgebiet aufwachsen, hat das Folgen: Ein Junge erzählt von einem Streich während der Love-Parade. Sämtliche Kondome, die er und seine Kumpels vom Wagen warfen, hatten sie vorher mit einer Nadel durchstochen. Der Junge fand das komisch. Am Ende erzählte er Siggelkow, dass er mit 15 Jahren mit seiner Mutter in ein Frauenhaus geflohen war und dort von einer anderen Mutter verführt worden war.
Elternhaus? Fehlanzeige!
Wenn Siggelkow mit den Eltern der Arche-Kinder spricht, dann fast immer mit Müttern. „Väter gibt’s hier nicht.” In der Unterschicht haben sich die Beziehungen längst verändert: Die Männer sind nicht mehr Ernährer der Familie, der Staat springt ein und macht es den Partnern leicht, sich zu trennen. Nur 30 % der Väter und 10 % der Mütter haben eine Berufsausbildung. Ohne Schulabschluss und ohne Berufsausbildung gibt es keine realistische Chance auf einen Job. Auf den ökonomischen Niedergang folgt die emotionale Verwahrlosung.
Wenn die Eltern nicht mehr Vorbilder ihrer Kinder sind, suchen sich die Jugendlichen andere Idole – im Internet oder unter Porno-Rappern.
Mädchen lernen von ihren Müttern: Es gibt keine Chance, Anerkennung zu erfahren, außer durch Sex. Pastor Siggelkow trifft Mütter, für die Sex das absolute Highlight ihres Lebens ist. Meistens das einzige. „Sex wird das, was für andere der Beruf ist, das Studium, der Sport oder das Spielen eines Instruments – die Möglichkeit, den eigenen Ehrgeiz auszuleben und zu befriedigen", schreibt das Magazin „Stern” im Artikel „Voll Porno!” im Februar 2007.
Der Stern-Artikel war Auslöser für die Autoren, das Buch zu schreiben. Die Jugendlichen aus Problembezirken, so Siggelkow und Büscher, sind durch das enthemmte Verhalten ihrer Eltern von „sexueller Verwahrlosung” bedroht. Viele Kinder, vor allem die der „sogenannten Unterschicht”, hätten schon früh ein Drehbuch zum Sex im Kopf: „Das Gefühl, nichts wert zu sein, führt diese Menschen schnurgerade dahin, Bestätigung in der Sexualität zu suchen”, erläutert Siggelkow.
Hintergrundmusik zur Verwahrlosung
Es gibt aber noch mehr Faktoren: Der Nachmittagsmüll im Privatfernsehen, Talkshows mit Live-Vaterschaftstests, dazu leicht zugängliche Pornos im Internet und Musik, mit der etwa das Label „Aggro Berlin” die Welt verseucht hat. Bushido, Sido und Frauenarzt – das sind Porno-Rappen, die Idole von Jugendlichen sind, weil viele ihrer Titel nicht im Radio gespielt werden, weil sie auf dem Index stehen. Sido beschreibt in dem Song, der ihn bekannt machte, die anale Vergewaltigung eines Mädchens, der Text von Bushidos „Gang-Bang” ist hier nicht zitierbar, Frauenarzt brüllt Vergewaltigungsphantasien ins Micro. Die Kinder hören so etwas dennoch, auf dem Schulhof wird mit Bluetooth-Technik von Handy zu Handy getauscht. Das Label „Aggro Berlin” hat seine Aktivitäten im April 2009 eingestellt, aber nicht aus Einsicht: „Heute, neun Jahre später, haben die Gründer und Künstler von Aggro Berlin alles erreicht, was in diesem Rahmen möglich ist”, ist auf der Internetseite nachzulesen.
Bernd Siggelkow hat durch seine langjährige Arbeit mit Jugendlichen und Kindern in den Problembezirken das nötige Vertrauen erworben, um solche Gespräche zu führen, die in dem Buch aufgezeichnet sind. Der Pastor Siggelkow und der Journalist Büscher beschreiben die Lebenswelt der Kinder und die Verhältnisse in den Elternhäusern. Aber Lösungsvorschläge zielen nur auf die Kinder ab. Die Mütter und Väter in den sozialen Brennpunkten haben die Autoren bereits aufgegeben.
Stefan Lummer ■
aus Der Allgemeinarzt 10/2009
Dazu auch ein Artikel in der Augsburger Allgemeinen
Mittwoch, 17. Juni 2009
Mimik löst Gefühle aus
Eine Münchener Arbeitsgruppe suchte nach einer morphologisch-physiologischen Basis für das »faziale Feedback«. Bekannt war bereits gewesen, dass die gewollte Imitation eines ärgerlichen Gesichtsausdrucks limbische Regionen wie die Amygdala, ein Gefühlszentrum, aktiviert. Die Forscher behinderten nun bei Probanden die Aktivierung des Gesichtsausdrucks mit Injektionen von Botulinumtoxin in Muskeln, mit denen man die Stirn runzelt. Mittels funktioneller Kernspintomographie wurde tatsächlich gezeigt, dass bei reduzierter Mimik diese Aktivierung schwächer ausfällt, der afferente Input also vermindert wird. Mimik macht Gefühle.
Menschen neigen dazu, unbewusst die Mimik ihres Gegenübers zu imitieren. Dadurch werden offenbar auch die zugehörigen Emotionen übertragen. Es findet also ein sozialer Transfer von Gefühlen statt ganz ohne Worte. WE
HennenlotterA et al.: The link between facial feedback and neural activity within central circuitries of emotion – new insights from botulinum toxin-induced denervation of frown muscles. Cereb Cortex 19 (2009) 537 -542
Dienstag, 16. Juni 2009
Sexualität von Frauen in mittleren Jahren – Lieber ein junger Liebhaber
Teilnehmer waren in Brasilien geborene Frauen im Alter zwischen 40 und 65 Jahren. Von 378 ursprünglichen Teilnehmerinnen erteilten 219 die nötigen Auskünfte. Beurteilungsinstrument war das Short Personal Experiences Questionnaire. Der mittlere Score betrug 9. Werte darunter registrierte man bei Frauen, die mit ihrem Partner zusammenlebten, die sich in den Wechseljahren oder in der Postmenopause befanden und die eine Hypertonie hatten.
Der Aspekt des Zusammenlebens konnte weiter aufgeschlüsselt werden. Er spielte dann keine Rolle, wenn der Partner selbst keine sexuellen Probleme hatte und wenn es sich bei dem Partner um einen Liebhaber handelte, mit dem Sex Spaß machte und für den positive Gefühle bestanden. Abträglich waren Alter des Partners über 50 und Dauer der Partnerschaft von mehr als 20 Jahren.
Dass die Routine, die sich nach langem Zusammenleben einstellt, die Sexualität beeinträchtigt, hatten auch schon andere Autoren gefunden. WE
Valadares AL et al.: The sexuality of middleaged women with a sexual partner: a populationbased study. Menopause 15 (2008) 706-713