Krankheit
und Gesundheit sind ein Kontinuum. Krankheiten behandeln heißt deshalb auch
Gesundheit gestalten. Wie gehe ich gesund mit mir um? Achtsamkeit […] ist dabei
nicht nur Methode, also beispielsweise eine halbe Stunde meditieren, sondern
ganz wesentlich gelebte Achtsamkeit im Alltag. Da geht es um: Kontakt,
Berührung, im Moment sein, neugierig sein und – was ich sehr spannend finde –
nicht werten, also die eigenen unangenehmen Seiten nicht ablehnen.
Achtsamkeit bedeutet für mich, in meinem Alltag in
Kontakt mit mir und mit meiner Umwelt zu sein, beinhaltet die Fähigkeit, meine
inneren Wünsche, Werte und Ziele wahrzunehmen und diese in Verbundenheit mit
meiner Umwelt […] zu leben. In der Meditation bei mir zu sein ist häufig schwer
genug. Im Alltag achtsam wahrzunehmen, wie es mir in Verbindung mit anderen
geht, ist für mich persönlich immer wieder eine Übung. Mit mir im Kontakt zu
sein und zu spüren, was steckt da alles in mir, ist alleine schon eine
Herausforderung – und manchmal eine Überforderung. Aber darum geht es doch im
Alltag: Wie kann ich bei mir und mit anderen sein? Leben bedeutet Kontakt und
Beziehung, zu mir und zu anderen. Und dies bewusst im Hier und Jetzt zu erleben
heißt für mich, achtsam zu sein.
Wichtig
ist für mich auch, dass Achtsamkeit und Ethik zusammengehören. Sonst kann
Achtsamkeit missbraucht werden, im Sinne einer ausschließlichen Ausrichtung auf
Konzentration und Fokussierung, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Es gibt
Menschen, die zu uns kommen und durch Achtsamkeit wieder „funktionieren“
wollen. Achtsamkeit wird, ähnlich wie Medikamente, als eine Form von
„Neurodoping“ eingesetzt, um in der Leistungsgesellschaft noch besser zu
funktionieren.
Für
mich hat Achtsamkeit etwas damit zu tun, eine neue Form der Beziehung zu meinen
Gedanken, Gefühlen oder Wünschen zu entwickeln. Meine Gedanken und mein Verstand
sind nicht das Leben, sondern eine Vorstellung, die vor der Wirklichkeit steht.
Vor
allem aber ändert sich die Qualität, in der etwas gemacht wird.
Selbstfürsorge bezeichnet die Fähigkeit,
freundlich und annehmend mit sich zu sein. „Liebe deinen nächsten wie dich
selbst.“ – In diesem Zitat steckt eine ganz wichtige Botschaft. Wir müssen
lernen, uns selbst gegenüber freundlich und fürsorglich zu sein, so wie wir es
einem guten Freund, einer guten Freundin gegenüber wären. Das Erstaunliche ist,
dass die allermeisten Menschen anderen gegenüber sehr hilfsbereit und
freundlich sein können, sogar Fehler verzeihen können, gegenüber sich selbst
aber die größten Kritiker sind und sich selbst keine Fehler zugestehen. Daher
üben wir
Selbstfürsorge in der Meditation. Für mich
persönlich war es eine sehr hilfreiche und beeindruckende Erfahrung zu lernen,
mit offenem Herzen fürsorglich und annehmend mit mir selbst zu sein.
Die Selbstmitgefühl-Meditation hat mir ermöglicht,
eigene Schwächen und Fehler wohlwollend als ein Teil von mir anzunehmen. Nicht
im Sinne, dass die Fehler wiederholt werden, sondern als Teil einer Akzeptanz
und eines Nicht-Bewertens. Aus meiner Sicht ist dies eine wichtige Ergänzung,
wenn nicht gar Voraussetzung für Meditation.
Für
mich gehört zum Nach-innen-Schauen das Nach-draußen-Gehen. Wir dürfen unsere
Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen und der Gesellschaft nicht außen
vor lassen.
Prof. Dr. med. Götz Mundle, Facharzt für Psychiatrie und
Psychotherapie, ist Leiter des Zentrums für Seelische Gesundheit – Oberberg
City Berlin Kurfürstendamm. Von 2007 bis 2014 war er medizinischer
Geschäftsführer der Oberbergkliniken, von 2001 bis 2009 Chefarzt der
Oberbergklinik Schwarzwald in Hornberg. Zudem war er von 2004 bis 2011 im
Vorstand der Oberberg Stiftung Matthias Gottschaldt.
Er ist Mitglied der
medizinischen Fakultät der Universität Tübingen sowie Mitglied des Ausschusses
„Sucht und Drogen" der Bundesärztekammer. Sein besonderes Interesse gilt
neuen Therapiekonzepten achtsamkeitsbasierter Psychotherapie, individualisierter
Medizin, zieloffener Suchttherapie, Prinzipien der Resilienz und Salutogenese
als Basis für die Gestaltung von Gesundheit sowie transparenter Kommunikation
zwischen Patient und Therapeut auf Augenhöhe.
Nähere Informationen: www.zfsg-berlin.de
Zitate aus dem Interview mit Prof. Götz Mundle »Sich in der Stille wiederentdecken« in »Buddhismus
aktuell« 2/2016
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