Tendenz: Je seriöser die mit Gehirnforschung befassten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten, desto zurückhaltender sind sie mit ihren Äußerungen. Als zunehmend problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang die ‚Ver- betriebswirtschaftlichung’ (auch) der Wissenschaften.
Die ‚Verbetriebswirtschaftlichung’ weiter Lebensbereiche nimmt zu: Gewinnorientie- rung, Nachfragepräferenzen und das Streben nach Effizienz erfassen immer mehr Lebensbereiche und unterwerfen sie einem Nützlichkeitskalkül. Diese Funktionalisie- rung hat auch die (Neuro-)Wissenschaften erfasst und bewirkt einen zunehmenden Erfolgsdruck. Nicht, ob etwas sinn-, wertvoll oder wünschenswert ist, entscheidet
i. d. R., sondern ob es
• machbar oder
• durchsetzbar ist.
Das Sollen verblasst neben dem Können. Erfolg zählt vor allem – nicht Leistung. Und Erfolg wird einem Kosten-Nutzen-Kalkül unterworfen: Ist, was geleistet wird,
• vermarktbar (im Sinne von: verkäuflich)?
• lässt es sich öffentlichkeitswirksam präsentieren?
• stimmen Quote, Kurs oder Bilanz?
Die Konsequenzen bedauern vor allem seriöse Wissenschaftler selbst: Wer gezwun- gen wird, immer mehr Dritt- oder Projektmittel einzuwerben, muss sich zwangsläufig Marktmechanismen unterwerfen, Marketingaspekte berücksichtigen und feststellen, dass Zuschüsse – zu – häufig nach dem amerikanischen Sprichwort vergeben werden:
„Das Rad, das am lautesten quietscht, wird zuerst geschmiert.“
Das allerdings führt häufig dazu, dass notwendige Grundlagenforschung zu Gunsten marktfähiger, spektakulärer, öffentlichwirksamer Projekte vernachlässigt wird.
Seriöse Gehirnforscher bemühen sich, hinreichend deutlich zu differenzieren zwischen dem
a) was mit großer Sicherheit feststeht (z. B. die Plastizität des Gehirns),
b) was vermutlich zutrifft (z. B. die sensiblen Phasen),
c) wasHypothesen,intelligenteSpekulationenu.a.sind(z.B.begünstigende Faktoren für das Lernen),
d) was als Mythos entlarvt worden ist bzw. werden sollte (z. B. "Hemisphären"-
Rezeptologien).
Wichtiger Hinweis:
Wenn im Folgenden – ausschließlich im Interesse besserer Lesbarkeit! –
‚dem’ Gehirn bestimmte Aktivitäten zugeschrieben werden („das Gehirn strebt an“, „entscheidet“...), bedeutet das nicht etwa eine Neurobiologisierung der Sprache:
Es handelt sich lediglich um eine Metapher bzw. um eine ‚Personifikation’! Eine an jeder Stelle hinreichend differenzierte Darstellung würde diese thesenartige Zusammenfassung stark verkomplizieren.
Inhaltlich korrekt:
→ Nicht etwa „das Gehirn“ strebt an, entscheidet oder wägt ab,
sondern immer nur eine bestimmte Person entscheidet, denkt o. a.
kraft ihres Gehirns.
Es ist unangemessen, dem biologische Organ Gehirn eine spezifische Subjektqualität zuzuschreiben. Leider gibt es immer noch zu viele Hirnforscher, die eine derartige Anthropomorphisierung („das Gehirn möchte...“) betreiben.
Also: ‚Das Gehirn’ denkt nicht – es funktioniert!
[…]
Das Gehirn hat keinen direkten Kontakt zur Umwelt. Damit die Nervenzellen des Gehirns erregt werden können, müssen elektromagnetische, mechanische, chemische u.a. Reize durch die Sinnesrezeptoren in neuroelektrische oder neurochemische Signale umgewandelt werden.
Im Gehirn existieren Nervenzellen unterschiedlichster Art. Aber alle haben dieselbe Funktion: Erregungen werden aufgenommen, verarbeitet und weitergeleitet (oder auch nicht!).
Mit der Transformation von Umweltreizen in neuronale Erregungen verschwinden alle spezifischen Eigenschaften, die diese Reize haben: Man kann nicht erkennen, ob die Erregung einer Nervenzelle im Gehirn von einer Licht- oder Schalldruckwelle o.ä. her- rührt. Alle Nervenzellerregungen sind im Prinzip gleich und können im Gehirn parallel miteinander verarbeitet werden.
Auch in diesem Zusammenhang gilt: Das „Lernen mit allen Sinnen“ ist auch evolutionsbiologisch notwendig, damit möglichst viele Sinnesreize verarbeitet werden und möglichst viele Kanäle, Seitenwege und Trampelpfade gebahnt werden können.
Modalitäten und Qualitäten von Sinnesreizen werden durch den Ort ihrer Verarbeitung im Gehirn festgelegt – unabhängig davon, woher die Erregung stammt.
Herkunft und Bedeutung der eintreffenden Erregungen erschließt das Gehirn auf der Basis komplizierter angeborener und erworbener Fähigkeiten.
Damit ein Reiz überhaupt als bedeutungstragendes Zeichen erkannt werden kann, muss das Gehirn entsprechend disponiert sein: Bedeutungen können nicht unmittelbar aufgenommen oder übertragen werden, sondern werden von jedem Gehirn individuell erzeugt und existieren nur innerhalb kompliziert interagierender Systeme
mehr:
- Prinzipielles zum menschlichen Gehirn, Vorbemerkung zum Kenntnisstand und zur Erkenntnisgewinnung (aus: Günther Behrens, Wie kommt die Welt in den Kopf? Prinzipielles zur Gehirnforschung nebst einigen Konsequenzen für das ‚gehirngerechte’ Lehren und Lernen in der vhs, Volkshochschulbverband Baden-Württemberg, 2009, PDF)
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