Mittwoch, 17. Februar 2016

Über die Notwendigkeit der Entdämonisierung von Macht

Der Begriff der Macht ist, nach einer bekannten Formulierung Max Webers, »soziologisch amorph« (Weber 1972, S. 28). Anders als die enger definierten Verhältnisse der Herrschaft, der Autorität oder der Gewalt umfasst er ein großes Spektrum asymmetrischer gesellschaftlicher Phänomene und Konstellationen. Weder der Begriff noch die Sache lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen. Andererseits wird solche Einfachheit heutzutage durch die allgegenwärtige moralische Aufladung des Begriffs geradezu ersehnt und gefordert: Wann immer die Rede auf Macht und Machtverhältnisse kommt, müssen wir aufpassen, was wir sagen. 

Wir bewegen uns also auf schwierigem Terrain. Wo die Entrüstung lauert, ist jedes Argumentieren verdächtig. Sie lebt ja geradezu davon, keine Unterschiede zu machen und alles analytische Bemühen einzuebnen. Sachlichkeit ist Verharmlosung und entschuldet die Täter. Tatsächlich ist natürlich das Gegenteil der Fall: Erst die materiale Untersuchung und Ausdifferenzierung der Tatbestände, Perspektiven, Handlungsdynamiken und Interessen erlaubt es, die moralischen Fragen nach Schuld, Legitimität, Gründen und Verallgemeinerbarkeit überhaupt aufzuwerfen und auf dieser Grundlage nach angemessenen Antworten zu suchen. Wirkliche Moralität interessiert sich vor allem für Dilemmata und Tragik, anstatt im Schisma von Gut und Böse von vornherein auf der rich- tigen Seite zu stehen. 

Gerade wenn es darum geht, zwischen positiven und zerstörerischen Aspekten, zwischen legitimer und missbräuchlicher Verwendung der Macht zu unterscheiden und darüber hinaus nach Möglichkeiten ihrer Bändigung, ihrer Begrenzung und Eindämmung, zu fragen, ist jede Übermoralisierung schädlich. Macht hat sehr verschiedene Formen und Ausprägungen, mit denen sich höchst unterschiedliche Motive, Auswirkungen und Leidensqualitäten verbinden. Der erste Grundsatz der hier vorgelegten Machtanalysen lautet daher, dass die Untersuchung und Kritik der Macht, theoretisch wie praktisch, ihre Entdämonisierung zur Voraussetzung hat.
mehr:
- Macht als Interaktion (Einleitung zu Rainer Paris, Der Wille des Einen ist das Tun des Anderen, Velbrück, 2015, PDF)

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