Montag, 4. Februar 2013

Meditation 2005

Zu dem Post übers Meditieren von Ende Dezember des letzten Jahres ist mir zufällig ein Artikel aus der FAZ aus dem Jahr 2005 in die Hände gefallen. Viel passiert!?





Meditation
Wundersames Meditieren
Von Martina Lenzen-Schulte


06. Juni 2005 Wer zweimal zwanzig Minuten am Tag meditiert, scheint fein heraus zu sein. Er verringert sein Risiko, einem Herz-Kreislauf-Leiden zu erliegen, um 30 Prozent, an Krebs zu sterben, um 49 Prozent und die Sterberate überhaupt um 23 Prozent – gemessen an anderen Maßnahmen. Mit derart hoffnungsvollen Aussagen wartete unlängst eine Veröffentlichung aus den Vereinigten Staaten auf, die über einschlägige Presseagenturen Verbreitung fand. 



Die heilsame Wirkung wurde einer speziellen Entspannungstechnik nachgesagt, der Transzendentalen Meditation. Sie leitet sich von alten indischen Yoga-Traditionen ab und soll in einen Bewußtseinszustand versetzen, der den von Schlafen, Wachen und Träumen übersteigt und schlicht der „Vierte Zustand” oder der „Zustand des reinen Bewußtseins” genannt wird. Neben den vielfältigen beruhigenden Effekten wird dieser Meditation vor allem eine blutdrucksenkende Wirkung zugesprochen. Dies gilt in der jetzt vorgelegten Analyse als Haupterklärung für den spektakulären lebensverlängernden Einfluß.

Lebensverlängernde Wirkung nicht bewiesen

Wer im Verlauf einer herkömmlichen Blutdruckbehandlung mühevoll um eine Änderung krankmachender Lebensstile – zuwenig Bewegung und zuviel Gewicht – oder um eine optimale Einstellung der Medikamente ringt, dürfte neidvoll auf eine derart leicht erzielbare Erfolgsbilanz schauen. Daß die Arbeit in einer renommierten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, dem „American Journal of Cardiology” (Bd.95, S.1060), und prestigeträchtige Einrichtungen wie die Harvard Medical School beteiligt sind, weist auf Seriosität hin. Wer indes genauer nachfragt, wird immer skeptischer. Augenfällig ist schon beim ersten Lesen, daß die werbewirksam verbreitete Verringerung der Krebstodesrate von fast 50 Prozent einem statistischen Härtetest nicht standhält. Es könnte sich um einen Zufallsbefund handeln, was auch gar nicht abgestritten wird.

Schon die Frage, gegenüber welcher Vergleichsgruppe denn die besseren Überlebensraten erzielt wurden, führt in weitere methodische Untiefen. Zwei alte Studien – eine an 77 weißen Amerikanern aus einem Altersheim in der Gegend von Boston, eine zweite an 125 schwarzen Amerikanern aus Kalifornien – wurden hier miteinander verrechnet. Die Transzendentale Meditation wurde dabei jeweils unterschiedlichen Verfahren gegenübergestellt, etwa mentaler Relaxation, progressiver Muskelrelaxation, einer Unterweisung in gesundheitsförderndem Verhalten sowie herkömmlicher, zum Teil auch medikamentöser Behandlung. Unklar bleibt, über wie viele Jahre die Probanden die Meditation und die anderen Maßnahmen überhaupt durchhielten.

Verschweigen von Nebenwirkungen

Als Mißachtung üblicher Qualitätsstandards muß die Tatsache bewertet werden, daß bei einer der beiden Studien die Gruppe der meditierenden Patienten ein statistisch ins Gewicht fallendes niedrigeres Durchschnittsalter aufwies als die anderen Vergleichsgruppen, dies aber nicht erwähnt wird. Denn allein in dieser Unterstudie zeigten sich die Überlebensvorteile. Schon ein wissenschaftlicher Laie würde erwarten, daß in einer von vorneherein jüngeren Gruppe bis zum Endpunkt der Untersuchung mehr Probanden überleben als von den älteren, zum Vergleich herangezogenen Kontrollpersonen. In der zweiten der beiden vermischten Studien hat die Transzendentale Meditation sogar einen deutlich lebensverkürzenden Effekt, wenn man sie mit einer herkömmlichen Behandlung vergleicht.

Das sind nur einige der allfälligen Ungereimtheiten, die dazu führen, daß die Veröffentlichung in eine Reihe mit anderen Untersuchungen zur Transzendentalen Meditation gestellt werden muß: der postulierte Vorteil ist keinesfalls bewiesen. Peter Canter und Edzard Ernst, die an der Universität von Exeter in England alternative Heilverfahren auf ihren Nutzen überprüfen, haben das in einer umfangreichen Analyse aller verfügbaren Studien zur Transzendentalen Meditation Ende des vergangenen Jahres im „Journal of Hypertension” (Bd.22, S.2049) unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Sie verwiesen außerdem darauf, daß in den Arbeiten jegliche Hinweise auf ungünstige Nebenwirkungen der Meditation fehlen. Man weiß indes, daß schon bestehende psychische Labilitäten durch meditative Techniken verschlimmert werden können, etwa Depressionen, Ängste oder suizidale Gedanken.

Schulmedizinisch nicht vertretbar

Die Forscher aus Exeter rügten vor allen Dingen, daß die Studien von Personen vorgenommen worden waren, an deren Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit man zweifeln müsse. Ihre Mitgliedschaft und Nähe zu den kommerziellen Zentren Transzendentaler Meditation, in denen das Verfahren gegen Entgelt gelehrt wird, lege das jedenfalls nahe. Das brachte ihnen wiederum von den Verteidigern der Meditationstechniken den Vorwurf ein, das Institut in Exeter sei eine indirekt von der Pharmaindustrie bezahlte Einrichtung.

Die stichhaltige Widerlegung der methodischen Mängel dieser Studien steht allerdings immer noch aus. Wenn mithin eindeutige Beweise für die blutdrucksenkende Wirkung der Meditation fehlen, so sollte man bei der werbewirksamen Wiedergabe solcher Meldungen an die gefährliche Suggestivwirkung denken, die von den Berichten ausgeht. Allzu leicht könnten sich Patienten mit Bluthochdruck von der zweifellos attraktiven Vorstellung verführen lassen, die psychische Entspannung im Fernsehsessel würde ihr Leben ebenso verlängern wie die körperliche Anspannung durch Sport und Bewegung.

Der Wunsch von Vertretern alternativer Heilverfahren, ihren vermeintlichen oder tatsächlichen Erfolgen über eine Veröffentlichung in renommierten medizinischen Zeitschriften die gebührende Reputation zu verschaffen, ist verständlich und unübersehbar. Man wirbt einerseits damit, eine unkonventionelle, natürliche Alternative zur Schulmedizin zu sein, will anderseits aber auf deren allseits geschätztes Gütesiegel wissenschaftlicher Evidenz nicht verzichten. Daß der Passierschein in ein Qualitätsblatt offenbar so leicht zu bekommen ist, ist das eigentlich Beunruhigende. Bislang ist die Annahme, daß in den besten medizinischen Fachzeitschriften nur einwandfreie Nachrichten zu finden seien, noch ein erlernter Reflex. Er funktioniert bald nicht mehr, wenn die Versuchsgruppe – die Leserschaft – nicht weiterhin mit den richtigen Reizen stimuliert wird.

Text: F.A.Z., 07.06.2005, Nr. 129 / Seite 40
Bildmaterial: picture-alliance / dpa

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