Mittwoch, 13. April 2011

Grenzen der Machbarkeit

Das ewige Spiel von Begeisterung und Ernüchterung, fast erinnert es mich an die Bundesliga. Genauso ist es im Medizinbetrieb: es gibt immer neue Moden. Seit vielen Jahren hat sich auch die neurologische Forschung des Kernspintomographen bemächtigt und versucht, Aussagen über Gehirnaktivitäten mittels der Messung einer vermehrten Durchblutung zu treffen – denn nichts anderes tut der MR: er kann Durchblutungsveränderungen bildlich darstellen.

Von der Durchblutung auf Gehirnaktivität zu schließen ist gang und gebe – und hier rate ich seit Jahren zur Vorsicht. Ein Beispiel: jemand kommt mit Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule zum CT (oder auch zum Kernspin). Da wird dann eine Vorwölbung der Bandscheibe diagnostiziert (ich drücke das jetzt mal laienhaft aus), und das heißt dann: die Bandscheibe ist schuld. Was dabei nicht beachtet wird, ist, daß etwa 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung solche Bandscheibenvorwölbungen haben – ohne jegliche Beschwerden.
Die Frage ist also: Wie weit darf ich einen durch ein bildgebendes Verfahren dargestellten Befund interpretieren? Als die Chinesen Mitte der fünziger Jahre in Lhasa einmarschierten, standen die Bewohner der Stadt am Straßenrand und klatschten. Daß es in Tibet jahrhundertealter Brauch ist, böse Geister durch Klatschen zu vertreiben, wußten die Chinesen nicht.
Hier ein Artikel aus der FAZ, in der die Grenzen der Interpretierbarkeit neurologischer Kernspin-Befunde kritisch reflektiert wird: Grenzen der Deutungsmacht

Die Kernsätze aus dem Aufsatz von Matthias Müller-Jung:
- Mit einem typische "Voxel", einer Art Messpunkt, werden heute nämlich immer noch knapp fünfeinhalb Millionen Nervenzellen, mehr als zwanzig Milliarden Synapsen, rund 22 Kilometer Dendritenausläufer und 220 Kilometer Axone - "Hauptleitungskabel" - erfasst. Aber nur knapp drei Prozent (Unterstreichung von mir) in diesem erfassten Hirnvolumen werden von den Blutgefäßen eingenommen, deren Spur im Kernspintomographen verfolgt wird.

- Weit mehr Kopfzerbrechen bereiten Logothetis freilich die aufgefangenen Signale, die meist als "neuronale Aktivität" eines Hirnareals ausgelegt werden, in Wirklichkeit aber nur die Stoffwechselaktivität in jenem Gehirn spiegeln. Wie zahlreiche Experimenten nämlich nahelegen, feuern viele Neurone weniger auf einen bestimmten Reiz hin, sondern es laufen in den Mikronetzwerken erregende und hemmende Entladungen der Zellen ab, die zwar im Tomographen sichtbar werden, jedoch zu keiner oder nur unterschwelliger Beteiligung des jeweiligen Areals an der Verarbeitung des Reizes führen. Der Energieverbrauch wird also fälschlich mit Aktivität und neuronaler Verarbeitung gleichgesetzt.

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