Samstag, 30. April 2011

Steigt die Erwartung, sinkt der Schmerz

Opioide: Topwirkung dank Placebo

Selbst bei so potenten Schmerzmitteln wie Opioiden scheint ein Placeboeffekt im Spiel zu sein. In einer Studie hatten Forscher 22 gesunde Probanden mehrfach durch Hitze für einige Sekunden einem Schmerz ausgesetzt, der auf einer Skala von 0 bis 100 im Schnitt mit 70 bewertet wurde. Während des Versuchs erhielten die Probanden ein starkes Opioic iv.. Rechneten sie anfangs noch nicht mit der Verabreichung des Mittels, sank die Schmerzintensität durch die Behandlug auf etwa 60 von 100 Punkten. Wurde ihnen im nächsten Durchgang die Injektion im Voraus mitgeteilt, verdoppelte sich der schmerzlindernde Effekt. Die Schmerzintensität sank auf unter 50. Ganz anders verlief der Versuch, wenn den Probanden in der dritten Variante gesagt wurde, dass sie nun keine Therapie mehr erhielten und es gleich stärker schmerzen könnte. Trotz identischer Opioiddosierung stiegen die Schmerzen wieder auf den Ausgangswert an. 
Bingel U et al, Sci Transl Med 2011, 3:70ra14
aus: CME 4/11

Freitag, 29. April 2011

Müde Richter kennen keine Gnade

Nach der reinen Rechtslehre sollten sich Gerichte nur an Fakten und Gesetzen orientieren. Doch die Experten meinen, dass Richtersprüche auch von psychologischen, politischen und sozialen Faktoren beeinflusst werden.

Wissenschaftler der Ben Gurion University in Beer Sheva (Israel) analysierten 1112 Richterentscheidungen – zum größten Teil über Bewährungsanträge von Strafgefangenen. Sie prüften dabei, ob die Tageszeit bzw. die zwei Essenspausen einen Einfluss auf die Gewährung der Anträge hatten. Der Arbeitstag der Richter wurde durch zwei Essenspausen – eine rund halbstündige Frühstückspause und eine nahezu einstündige Mittagspause – in drei Abschnitte unterteilt.

Die Anzahl der positiven Entscheidungen für den Antrag nahm von rund 65% am Anfang kontinuierlich bis auf fast Null am Ende ab. Nach jeder Pause stieg die Zahl der positiven Richtersprüche wieder auf fast 65%, um danach wieder abzufallen.

S. Danzinger et al.
(Korrespondenz: J. Levav, Columbia Business School, Columbia University, NewYork, NY 10027, USA;
E-mail: jl2351@columbia.edu) PNAS
2011 Published ahead of print April 11, 2011,
doi:10.1073/pnas 1018033108

aus: MMW-Fortschr. Med. Nr.17/2011

Donnerstag, 14. April 2011

Partnerschaft: Teamwork oder Feindschaft

Mit dem Partner glücklich sein – ohne ihn zu ändern, wie geht das?

__________________
Von Martin Koschorke

Selig schaut sie ihn an. Er hat ihr gerade ein Schmuckstück um den Hals gelegt. Es steht ihr fantastisch. Es ist sein Geschenk. »Woher weißt du, dass genau das meine Lieblingsfarbe ist?«, fragt sie beglückt. Ihre Augen strahlen. Selig schaut er zurück. Seine Überraschung ist gelungen. Beide fühlen sich wie im siebten Himmel.
Ohne dass die frisch Verliebten es merken, haben sie soeben eine Vereinbarung getroffen: Sie haben sich darauf geeinigt, was sie unter Liebe verstehen. Liebe bedeutet jetzt und in Zukunft: Wir verstehen uns, wortlos. Wir lesen einander die Wünsche von den Augen ab. Gelingt dir das, so ist das Glück total und ich habe den Beweis, dass du mich liebst. Liebe bedeutet also: Wir erfüllen uns gegenseitig unsere Bedürfnisse, vielleicht sogar die geheimsten Sehnsüchte, ohne darüber auch nur ein Wort zu verlieren.



VERLIEBTE SIND WIE SÄUGLINGE

Eine bestimmte Zeit lang klappt das sogar. Deshalb wird das Stadium der ersten Verliebtheit oft als so beglückend erlebt. Deswegen sehnen sich viele in diese Zeit zurück.
Man kann sich jedoch nicht ein ganzes Leben lang wortlos verstehen, Warum das so ist? Überlegen Sie bitte: Wann in Ihrem Leben hat ein anderer Mensch Ihre Bedürfnisse und Wünsche befriedigt, ohne dass Sie sie geäußert haben? Als Sie Säugling waren. Wie lange hat diese Phase angedauert? Es stimmt: Zu Beginn einer Beziehung ist es oft nicht nötig, groß zu verhandeln. Auch Paare, die länger zusammen sind, verstehen sich meist ohne viele Worte. Nur: Wenn wir erwarten, dass unser Partner unsere Wünsche und Bedürfnisse erfüllt, ohne dass wir sie aussprechen, verhalten wir uns wie Säuglinge. Da ist der Schiffbruch der Beziehung nicht weit. Beweist sich wahre Liebe nämlich darin, dass ich dir deine Wünsche erfülle, ohne dass du sie benennst, dann liegt der Schluss nahe: Wenn ich dir nicht mehr alle ausgesprochenen und unausgesprochenen – Wünsche erfülle, ist keine Liebe mehr da.
Doch frisch Verliebte lassen sich durch derlei Sprüche nicht erschüttern. Sie haben ihre Erfahrungen mit dem Partner gemacht. Und Erfahrungen sind bekanntlich das, was uns am meisten überzeugt, vor allem, wenn sie so angenehm sind: Er müht sich um mich. Er wirbt um mich. Er möchte immer in meiner Nähe sein. Er lächelt mich an. Er redet mit mir. Er hört mir zu, wenn ich rede. Er ist zärtlich mit mir. Er hat Zeit für mich, und wenn wir nicht zusammen sind, schickt er mir per SMS die göttliche Botschaft: »Ich liebe dich so, wie du bist!«


ERFAHRUNGEN WERDEN ZU ERWARTUNGEN

Erfahrungen als Verliebte legen Spuren im Gehirn, besonders wenn sich diese Erfahrungen wiederholen. Ohne groß darüber nachzudenken, gehen wir davon aus: Es wird immer so weitergehen. Aus Erfahrungen mit dem Partner werden Erwartungen an den Partner. Was ich jetzt mit ihm erlebe, werde ich auch in Zukunft mit ihm erleben. Denn wie er oder sie sich heute zeigt, so ist sie oder er. Unter der Hand wird, ohne dass wir darüber reden, ohne dass uns das so recht bewusst wird, aus Erfahrungen und Erwartungen ein Anspruch an den Partner und sein Verhalten. An diesem Anspruch messen wir ihn, heute. An diesem Pakt werden wir ihn messen, auch in Zukunft.
Ich befriedige deine Bedürfnisse, du befriedigst meine Bedürfnisse. Du stehst mir jederzeit zur Verfügung. Du wirst mir auch in Zukunft jederzeit zur Verfügung stehen. Immer, wenn ich Zeit mit dir verbringen will, freust du dich darauf. Immer, wenn ich mit dir reden will, hörst du zu und willst auch mit mir reden. Immer, wenn ich nach Sex verlange, hast du genauso viel Lust darauf wie ich. Immer wenn ich meine Ruhe will, lässt du mich in Ruhe. Das alles hat ja problemlos geklappt, als wir verliebt waren. Es ist also kein Problem. So scheint es.


DIE SEELE FÜHRT BUCH

Mit dem Partnervertrag, den zwei Menschen »abschließen«, wenn sie ihr gemeinsames Leben starten, hängt noch etwas weiteres zusammen, worüber wir uns meistens nicht so richtig klar sind: Jeder der Partner eröffnet ein seelisches Konto. Dort wird Buch geführt. Jeder registriert genau, ob er im Zusammenleben mit dem anderen auf seine Kosten kommt. Hin und wieder wird Bilanz gezogen – es wird überschlagen: Erfüllen sich meine Erwartungen? Bekomme ich genug aus dieser Beziehung? Zu Beginn einer Partnerschaft ist das positive Konto in der Regel gut gefüllt. Es fällt nicht schwer, sich gegenseitig Bedürfnisse zu befriedigen und Wünsche zu erfüllen. Das Paar sagt sich nette Dinge, schenkt sich Wertschätzung und Zärtlichkeit, verbringt angenehme Zeit miteinander. Das alles schlägt positiv zu Buche.
Solange es uns mit dem anderen gut geht, nehmen wir nicht einmal zur Kenntnis, dass wir überhaupt solche Konten haben. Erst, wenn sich Mangel einstellt, wenn sich das positive Konto langsam, aber sicher leert, wenn sich zugleich auf dem Argerkonto immer mehr angesammelt hat, bilanzieren wit Abgerechnet wird in der Regel, wenn das Liebeskonto total leer und das negative Konto hoffnungslos überfüllt ist. Da stellen wir plötzlich fest: Rh komme nicht mehr auf meine Kosten.


ERWACHSENE PARTNERSCHAFT

Gib es einen Ausweg aus der Zwangsjacke: Ich muss dem anderen jederzeit zu Willen sein? Ja. Man nennt das »erwachsene Partnerschaft«. Erwachsen sein, was heißt das? Woran erkenne ich, dass jemand nicht bloß volljährig ist, sondern sich auch erwachsen verhält? Die einfachste Definition lautet: Ein Mensch ist erwachsen, wenn er für sich selber sorgen kann und das auch tut. Erwachsenes Verhalten in der Paarbeziehung wäre also: Ich selbst übernehme die Verantwortung für mich, ich sorge für mich. Ich bin in der Lage, mir darüber klar zu werden, was ich brauche, welche Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen ich habe. Auch mein Partner weiß, was ihm wichtig ist, welche Wünsche und Erwartungen er hat. Er kann sie angemessen mitteilen, ich kann das ebenfalls. Wenn sich unsere Wünsche treffen, ist es gut. Wenn der andere nicht bereit ist zu tun, was ich mir wünsche, dann bin ich weder gekränkt noch beleidigt oder enttäuscht. Vielmehr werde ich nun verhandeln. So, wie ich es normalerweise mit anderen Menschen auch tun würde.
Sie möchten mit Ihrem Partner reden. Sie möchten ihm etwas mitteilen, was Sie bewegt. Sie machen sich Sorgen wegen eines der Kinder. Was tun Sie? Drei Schritte haben sich bewährt: Zunächst erfragen Sie seine Bereitschaft: »Passt es dir, wenn wir jetzt (oder heute Abend) miteinander reden?« Als Nächstes benennen Sie Ihr Anliegen, einen konkreten Wunsch, fügen eine Begründung hinzu und schlagen eine zeitliche Begrenzung vor. Zum Beispiel: «Ich würde gerne mit dir über Ilona/Marc reden. Ich brauche deine Hilfe. Ich denke, das wird eine halbe Stunde dauern.« Drittens: Ist Ihr Partner nicht sofort bereit, vereinbaren Sie einen passenden Termin. Sie fragen: »Gut, ich merke, im Augenblick passt es dir nicht. Wann würde es dir passen?« Oder Ihr Partner macht einen Vorschlag: »Jetzt nicht, ich wollte noch Fritz anrufen. Können wir uns nach dem Abendessen für eine Stunde treffen?«
Gerade im Alltag passiert es häufig, dass Sie Ihren Partner und seine Bedürfnisse überfahren. Jeder ist so mit seinen Dingen beschäftigt, dass er oft gar nicht mitbekommt, was der andere vorhat. Außerdem sind die meisten Paare immer noch mehr von der Verliebtheitsideologie geprägt: »Du stehst mir selbstverständlich jederzeit fraglos zur Verfügung«, als in der Kunst geübt, auch im Alltag dem anderen und seinen Erwartungen Raum zu geben.

KEINEN ÜBERFALL

Monica möchte mit ihrem Frank zusammen einen angenehmen Abend verbringen. Sie möchte ihren Partner nicht überfallen, sie weiß aus Erfahrung: Er reagiert dann unwillig. Sie weiß auch: Ich habe nicht das Recht, über die Zeit meines Partners zuverfügen, denn ich habe kein Recht, über meinen Partner zu verfügen. Darum, erstens, »klopft sie bei ihm an« und fragt, ob er bereit ist. Zweitens nennt sie ihren Wunsch und begründet ihr Anliegen. Das ist wichtig: Denn damit teilt sie etwas von sich mit, von ihren Gefühlen, von ihren Bedürfnissen. Ohne Begründung erlebt er ihr Anliegen eher als Forderung. Indem sie etwas von sich offenlegt, bekommt es den Charakter einer Bitte. Bitten haben mehr Chancen, gehört und erfüllt zu werden, als Forderungen. Drittens: Sie ist nicht gekränkt oder empört, wenn ihr Partner sagt: »Heute Abend nicht.« Sie weiß: Ich kann nicht erwarten, dass mein Partner meine Bedürfnisse genau dann erfüllt, wann ich das möchte. Aber ich kann erwarten, dass er meine Wünsche anhört. Daher fragt sie: »Wann würde es dir passen?« Und beide vereinbaren einen Termin. Sie kann auch fragen: »Warum passt es dir nicht?« (Bei dieser Frage kommt es allerdings sehr auf den Ton an.) Damit sie seine Gründe versteht und nicht den Eindruck bekommt, er wolle sich drücken und sei nicht an ihr interessiert. Sie möchte ihn nicht bedrängen, und er hat gelernt, ihr eine Antwort zu geben, selbst wenn ihm das bisweilen lästig ist. Denn wenn ich möchte, dass mein Partner mich nicht bedrängt, darf ich ihn auch nicht zappeln lassen.
Im Stadium erwachsener Partnerschaft erwarte ich nicht mehr selbstverständlich, dass mein Partner mir meine Bedürfnisse befriedigt, ohne dass ich sie benenne. Denn ich bin kein Säugling mehr, und mein Partner ist nicht meine Mama oder mein Papa. Mein Partner ist auch nicht meine Sklavin oder mein Sklave, der mir immer zur Verfügung zu sein hat, wenn ich ein Verlangen verspüre. Wenn Partner sich gegenseitig als Sklaven behandeln, ist es mit Liebe, Lust und Leidenschaft bald vorbei.
Dagegen hilft, den anderen und seine Wünsche ernst zu nehmen und erwachsen mit ihm zu verhandeln.


SEELISCHE TIEFKÜHLTRUHE

Frank etwa hat Lust auf Sex mit Monica. Er sagt: »Ich möchte mit dir schlafen.« Früher hat das automatisch funktioniert, inzwischen ist es nicht mehr so. Vielleicht hat sie nicht mehr so oft Lust oder ihr fehlt das nette Gespräch vorher, wer weiß. Vielleicht haben Männer und Frauen auch einfach unterschiedliche Bedürfnisse. Frauen sehnen sich häufig danach, dass Sex in einer Atmosphäre von Zärtlichkeit stattfindet. Für viele Männer ist Zärtlichkeit erst einmal ein körperliches Verlangen. Anders ausgedrückt: Frauen möchten gerne vor dem Sex mit dem Partner reden. Männer sind dazu eher nach dem Sex bereit – nur sind sie dann meist schon eingeschlafen.
Das Paar hat nun verschiedene Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Etwa: Er setzt sich durch, sie gibt sich auf und wird dann seine Sklavin. Oder: Sie setzt ihre Machtmittel ein. Die sind auch nicht ohne: ein bisschen Verweigern, ein bisschen Rückzug, »es geht mir nicht so gut«, »ich habe eine kleine Migräne«. Das sind recht wirksame Machtmittel, die ihn ziemlich ohnmächtig (frustriert und wütend) machen können. Bei diesen »Problemlösungen« fühlen sich beide nicht wirklich wohl. Beide sammeln insgeheim Ärger und Groll in ihrer seelischen Tiefkühltruhe an.
Erwachsen sein wäre zu schauen: Wann geht es, unter welchen Bedingungen geht es, wie kann ich dir entgegenkommen und wie du mir? Wir können den anderen nicht zwingen, aber wir können ihn bitten. Und wenn wir um etwas bitten, ist es günstig, auch etwas anzubieten. »Bitten und bieten« heißt die Verhandlungsformel erwachsener Partnerschaft.


DIE SPRACHE DES ANDEREN

Sich erwachsen verhalten ist natürlich etwas anstrengender als den Säugling zu spielen. Man muss selber aktiv werden. Man muss verhandeln. Zum Verhandeln muss man reden können. Da hapert es in unserer Kultur.
Lisa möchte ganz viel mit Hans reden. Er hält das nur fünf Minuten lang aus, dann ist es ihm genug. Das versteht sie nicht. Hans möchte gerne etwas mit ihr machen, Lisa will aber immer zuerst reden, stundenlang, wie ihm scheint. Das versteht er nicht.
Frauen neigen zu Beziehungsreden, Männer neigen zu Lösungsreden. Das heißt natürlich nicht, dass Frauen keine Lösungen finden können und Männer keine Beziehung brauchen. Nur werden Frauen in unserer Kultur von Kind an mehr darin trainiert, sich für Beziehung zu interessieren, und Männer eher darin, für Lösungen zu sorgen. Darum reagieren Frauen und Männer bisweilen sehr unterschiedlich. Wenn die Verliebtheit vorbei ist, wird es Zeit, die Sprache des Partners zu lernen. Missverständnisse entstehen oft, weil man die Sprache des anderen weder versteht noch spricht. Es ist so, als ob der eine sich nur auf Chinesisch ausdrücken kann und der andere nur auf Spanisch. Sie können die Ohren Ihres Partners jedoch nicht ändern. Was Sie dagegen tun können, ist Worte finden, die besser in die Ohren Ihres Partners passen.
Jana möchte Thomas am Abend mitteilen, was sie am Tag erlebt hat, wie es auf der Arbeit war, wie es ihr geht. Doch die Abendgespräche der beiden verlaufen immer nach demselben Muster. Jana erzählt, Thomas hört eine Weile zu, dann platzt es aus ihm heraus: »Mach doch das…« – und schon ist der schönste Streit da. Sie will nämlich überhaupt keine Lösungen von ihm. Sie will einfach nur etwas loswerden, bloß erzählen, wie blöd der Chef war, wie fies die Kollegin. Jana versteht Thomas nicht. Er soll bloß zuhören, weiter nichts. »Das ist doch ganz einfach!«, denkt sie.
»Das ist doch ganz einfach!« ist ein schrecklicher Satz in Paarbeziehungen. Was Jana nicht weiß: Was für sie seiber einfach ist, ist für Thomas noch lange nicht einfach. Thomas ist auch nicht imstande, das mitzuteilen, denn er weiß es selber nicht. So unterstellt Jana Thomas böse Absichten: Thomas tue es nicht, weil Thomas nicht wolle, keine Lust habe. Oder weil Thomas sie angeblich nicht mehr liebe.
Jana ist eine Frau. Wie viele andere Frauen braucht sie das Reden. Reden löst nicht immer Probleme. Aber Reden erleichtert. Und Reden schafft Kontakt. Frauen haben oft mehr Übung darin, unlösbare Situationen auszuhalten. Hat eines der Kinder Kummer oder bekommt einen Zahn und hat Schmerzen, dann ist das erst einmal nicht zu ändern. Vielleicht ist das Einzige, was die Mutter tun kann, trösten und gut zureden.
Männer sind im Allgemeinen anders gestrickt. Traditionell werden sie in unserer Gesellschaft so erzogen, dass sie nach Auswegen suchen. Sie leben häufig nach der Devise: »Männer haben keine Probleme, Männer lösen Probleme.« Das ist das Problem.
Thomas weiß genau, was sich Jana am sehnlichsten wünscht: Sie will nur reden, er soll nur zuhören. Seine Vorschläge mag sie nicht. Darum hält er sich zurück. Er hört zu: zwei Minuten, fünf Minuten acht Minuten. Während dieser ganzen – unerträglich langen – Zeit fallen ihm ständig Lösungen ein. Denn in seinem Inneren springt, während sie redet, automatisch eine Suchmaschine an, die nach praktischen Lösungen fahndet. Bloß reden und nicht zugleich überlegen, wie die Aufgabe angepackt werden könnte, ist für viele Männer fast unerträglich. Da sie aber spüren, dass die Partnerin keine Lösungsvorschläge will, sondern nur ihr Ohr, suchen viele Männer Beziehungsgespräche grundsätzlich zu vermeiden. Denn auf solche Gespräche sind sie nicht vorbereitet. Da fühlen sie sich unterlegen. Wer geht schon freiwillig in eine Situation hinein, in der er verlieren wird? Wer ist schon gerne ein »Loser«? Hier liegt eine Quelle endloser Missverständnisse. Weil die Paare es nicht verstehen: Es ist meist nicht böser Wille, wenn einer der Partner dem anderen einen oft genannten Wunsch nicht erfüllt. Was der eine vom anderen erwartet, ist für den, der es wünscht, leicht, für den anderen jedoch das Schwerste, was man von ihm verlangen kann.
Sie haben nun die Wahl: Entweder Sie beharren darauf, die Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Partner nicht zur Kenntnis zu nehmen nach dem Prinzip: »Wenn er mich wirklich liebt, dann muss er so handeln, wie ich das erwarte. Er muss so sein wie ich!« Dann wird es immer wieder zu ärgerlichen Missverständnissen kommen. Oder Sie akzeptieren, dass Sie unterschiedlich sind und unterschiedlich reagieren. Sie haben verstanden: Mein Partner drückt seine Liebe anders aus als ich, mit anderen Worten oder auch ohne Worte. Dann können Sie ihn bitten: »Lerne, aus Liebe zu mir, dich auch in meiner Sprache auszudrücken, damit ich dich besser verstehe. Ich meinerseits will mir Mühe geben, deine Sprache zu lernen, auch wenn es mir schwerfällt.« Sie haben die Wahl.


ACHTZEHN SABOTAGE-TIPPS

Nun mag Ihnen, was ich erzählt habe, zwar vernünftig vorkommen, Sie haben aber trotzdem keine Lust dazu. Sie wollen lieber Ihren Partner provozieren oder Ihre Beziehung in die Luft jagen. Dazu gebe ich Ihnen hier zwanzig heiße Sabotage-Tipps. Wenn Sie nur ausreichend beharrlich sind, garantiere ich Ihnen hundert Prozent Erfolg.

1 Gib nie die Hoffnung auf, den anderen zu ändern.

2 Höre nie auf, den anderen von deiner Meinung zu überzeugen. Gib nie auf, sie oder ihn zu überreden. Das ist ein todsicheres Mittel, sich nicht zu nahe zu kommen.

3 Höre nicht hin, wenn der andere dir etwas sagen will,

4 Spare nicht mit Vorwürfen. Du hast ja genug davon.

5. Vermeide strikt, dem Partner etwas Nettes zu sagen.

6. Wenn dein Partner etwas Nettes sagt oder dir eine Gefälligkeit erweist – übersieh es geflissentlich. Sag niemals »Danke!«

7. Setze den anderen auf die Anklagebank, nimm ihn ins Kreuzverhör und gib die Hoffnung nicht auf, dass du Fehler findest. Fehler finden sich immer. Auch wenn du keine Fehler findest, lass nicht ab. Irgendwann wird der andere sich in Widersprüche verwickeln, und dann hast du ihn doch envischt.

8. Höre nicht auf, zu klagen und zu jammern. Du hast recht, es gibt immer etwas zu beklagen.

9. Jeden Tag eine Verletzung: Du kannst sicher sein, dass keine liebevolle Atmosphäre aufkommt.

10. Du hast immer recht, und der andere hat immer unrecht. Das ist ein sehr wichtiger Satz, Männer haben in der Regel weniger Probleme ihn zu beherzigen als Frauen. Aber auch Frauen sollten lernen: Lass dich auf keinen Fall vom Gegenteil überzeugen.

11. Weise Versöhnungsgesten zurück. Sonst könnte es ja sein, dass ihr euch wieder versteht.

12. Vergiss grundsätzlich den Geburtstag deiner Frau. Damit landest du mit Sicherheit einen Volltreffer, denn sie hat schon darauf gewartet.

13. Vergiss grundsätzlich euren Hochzeitstag. Lege Dienstreisen, Dienstessen oder Dienstbesprechungen nach Möglichkeit auf dieses Datum.

14. Wenn deine Frau Einkauf und Wäsche, Essen und Abwasch gemacht, die Wohnung geputzt und die Kinder versorgt hat, frage sie: »Was machst du eigentlich den ganzen Tag?!« Sie wird dir zutiefst dankbar sein.

15. Wenn sich dein Mann mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher eingerichtet hat, weil er Fußball oder Formel 1 sehen will, nimm genau dann den Staubsauger zur Hand und flöte unschuldig: »Ich will nur mal schnell durchsaugen!«

16. Wenn dein Mann nervös vor dem Computer sitzt, weil das Programm abgestürzt ist, dann solltest du ihm vorschlagen, über eure Paarbeziehung zu reden.

17. Wenn du dich über deinen Mann geärgert hast, lass dich von den Kindern trösten. Erzähle ihnen ausführlich, wie unmöglich ihr Vater ist. Das wird er dir nicht so schnell vergessen.

18. Wenn ihr euch streitet, verwendet möglichst häufig das Wort »typisch!« Etwa: »Typisch Mann!«, »Typisch Frau!« Oder: »Typisch! Genau wie deine Mutter, dein Vater, deine Familie!« Der andere kann sagen, was er will. Er hat immer unrecht.

Martin Koschorke ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er ist Eheberater, Familientherapeut, Soziologe, Theologe und freier Mitarbeiter am Evangelischer Zentralinstitut für Familienberatung in Berlin und Mitglied der Internationalen Kommission für Paar- und Familienbeziehungen des Weltfamilienverbandes sowie verschiedener Fachverbände. Er lebt derzeit in Frankreich.


Zum Weiterlesen:
Martin Koschorke: Wie Sie mit Ihrem Partner glücklich werden, ohne ihn zu ändern.
Führerschein für Paare, Kreuz-Verlag, Freiburg 2011, 14,95€
Publik-Forum Shop Best-Nr. 8700

aus Publik-Forum 7/2011

Mittwoch, 13. April 2011

Grenzen der Machbarkeit

Das ewige Spiel von Begeisterung und Ernüchterung, fast erinnert es mich an die Bundesliga. Genauso ist es im Medizinbetrieb: es gibt immer neue Moden. Seit vielen Jahren hat sich auch die neurologische Forschung des Kernspintomographen bemächtigt und versucht, Aussagen über Gehirnaktivitäten mittels der Messung einer vermehrten Durchblutung zu treffen – denn nichts anderes tut der MR: er kann Durchblutungsveränderungen bildlich darstellen.

Von der Durchblutung auf Gehirnaktivität zu schließen ist gang und gebe – und hier rate ich seit Jahren zur Vorsicht. Ein Beispiel: jemand kommt mit Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule zum CT (oder auch zum Kernspin). Da wird dann eine Vorwölbung der Bandscheibe diagnostiziert (ich drücke das jetzt mal laienhaft aus), und das heißt dann: die Bandscheibe ist schuld. Was dabei nicht beachtet wird, ist, daß etwa 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung solche Bandscheibenvorwölbungen haben – ohne jegliche Beschwerden.
Die Frage ist also: Wie weit darf ich einen durch ein bildgebendes Verfahren dargestellten Befund interpretieren? Als die Chinesen Mitte der fünziger Jahre in Lhasa einmarschierten, standen die Bewohner der Stadt am Straßenrand und klatschten. Daß es in Tibet jahrhundertealter Brauch ist, böse Geister durch Klatschen zu vertreiben, wußten die Chinesen nicht.
Hier ein Artikel aus der FAZ, in der die Grenzen der Interpretierbarkeit neurologischer Kernspin-Befunde kritisch reflektiert wird: Grenzen der Deutungsmacht

Die Kernsätze aus dem Aufsatz von Matthias Müller-Jung:
- Mit einem typische "Voxel", einer Art Messpunkt, werden heute nämlich immer noch knapp fünfeinhalb Millionen Nervenzellen, mehr als zwanzig Milliarden Synapsen, rund 22 Kilometer Dendritenausläufer und 220 Kilometer Axone - "Hauptleitungskabel" - erfasst. Aber nur knapp drei Prozent (Unterstreichung von mir) in diesem erfassten Hirnvolumen werden von den Blutgefäßen eingenommen, deren Spur im Kernspintomographen verfolgt wird.

- Weit mehr Kopfzerbrechen bereiten Logothetis freilich die aufgefangenen Signale, die meist als "neuronale Aktivität" eines Hirnareals ausgelegt werden, in Wirklichkeit aber nur die Stoffwechselaktivität in jenem Gehirn spiegeln. Wie zahlreiche Experimenten nämlich nahelegen, feuern viele Neurone weniger auf einen bestimmten Reiz hin, sondern es laufen in den Mikronetzwerken erregende und hemmende Entladungen der Zellen ab, die zwar im Tomographen sichtbar werden, jedoch zu keiner oder nur unterschwelliger Beteiligung des jeweiligen Areals an der Verarbeitung des Reizes führen. Der Energieverbrauch wird also fälschlich mit Aktivität und neuronaler Verarbeitung gleichgesetzt.

Samstag, 9. April 2011

»Tätlicher Angriff« – Wie Sprache Realität herstellt

Das jetzige Opferentschädigungsgesetz (OEG) trat am 7. Januar 1985 in Kraft. Es löste das bisherige OEG vom 15. Mai 1976 ab.
Der Leitgedanke des Gesetzes ist die Verantwortung des Staates, seine Bürger vor Gewalttaten und Schädigungen durch kriminelle Handlungen zu schützen, da er der Träger des Gewaltmonopols und der Verbrechensverhütung und -bekämpfung sei. Versagt dieser Schutz, so haftet der Staat.
Wenn die Opfer von Gewaltdelikten erwerbsunfähig, hilflos oder pflegebedürftig werden, so muss ihnen der Staat Schutz gewähren.
Wichtigste Regelung ist die Anspruchsklausel in § 1 Abs. 1 OEG. Anspruch auf Versorgung hat demnach, wer durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff an der Gesundheit geschädigt ist. (Genaueres bei Wikipedia)

»Der Begriff des tätlichen Angriffs ist dem Strafrecht entliehen und wird dort in den §§ 113, 121 StGB sinngleich mit dem in § 125 StGB benutzten Begriff der "Gewalttätigkeit" verwendet. Enger als der allgemeine Gewaltbegriff bezeichnet dieser die Entfaltung, also das Inbewegungsetzen physischer Kraft unmittelbar gegen eine Person, und zwar als aggressives Handeln.
Ein Angriff erfordert bestimmungsgemäß daher eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung.« (Unterstreichung von mir, Quelle: Global Help)

Der aktuelle Fall
- im Sozialticker
- auf der Internetpräsenz der Anwaltskanzlei Ferner-Alsdorf

Ich zitiere aus kostenlose-Urteile.de

»Im zugrunde liegenden Fall hatte die inzwischen 60-jährige Klägerin mehrere Monate mit einem alkoholkranken Mann zusammengelebt. Ab Oktober 2001 versuchte sie, diese Beziehung zu beenden. Der Mann akzeptierte dies nicht und stellte der Klägerin über zwei Jahre lang nach. Er lauerte ihr immer wieder auf, um sie zu verfolgen und mit ihr zu sprechen, rief sie häufig zu jeder Tages- und Nachtzeit an und sandte ihr SMS, Briefe, Postkarten und "Geschenke". Darüber hinaus veranlasste er missbräuchlich u.a. Einsätze von Polizei, Notarzt und Feuerwehr zur Wohnung der Klägerin. Wiederholt kam es zu Bomben- oder Todesdrohungen des Mannes gegenüber der Klägerin und ihren Familienangehörigen. Obwohl gegen ihn zwei gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz ergangen waren, ließ er nicht von der Klägerin ab, bis er schließlich wegen Bedrohung und mehrfachen Verstoßes gegen die Schutzanordnungen zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Über den gesamten Zeitraum der Nachstellungen kam es – abgesehen von einem Griff an den Arm mit Herumreißen der Klägerin vor einem Geschäft – nicht zu körperlichen Übergriffen.
[..]
Die Klägerin wechselte infolge der jahrelangen Nachstellungen zweimal ihre Wohnung und ließ Auskunftssperren (Adresse, Telefonnummer) einrichten. Sie erkrankte schließlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen; diese Erkrankung führte bei ihr zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft.«

Man wird, wenn man den Sachverhalt kennt, erst einmal den Kopf schütteln. Aber es ist nun einmal in der deutschen Rechtsprechung so, daß sich der Begriff »tätlicher Angriff« nur auf den Körper bezieht.

Ich zitiere aus Goleman, Emotionale Intelligenz:

»Wer Opfer eines verheerenden Traumas geworden ist, ist biologisch nicht mehr derselbe wie vorher«, erklärte mir Dr. Dennis Charney. Charney, ein Yale Psychiater, ist Direktor der klinischen Neurowissenschaft am National Center. »Ob es der endlose Schrecken des Gefechts war, ob Folterung oder wiederholte Mißhandlung in der Kindheit oder ein einmaliges Erlebnis wie etwa, daß man in einem Hurrikan gefangensaß oder bei einem Autounfall beinahe gestorben wäre, spielt keine Rolle. Jeder unkontrollierbare Stress kann dieselbe biologische Wirkung haben.«
Das entscheidende Wort ist »unkontrollierbar«. Wenn man in einer Katastrophensituation etwas tun, eine gewisse, noch so geringe Kontrolle ausüben kann, geht es einem emotional weit besser, als wenn man völlig hilflos ist. Es liegt an der Hilflosigkeit, wenn man sich von einem Ereignis subjektiv überwältigt fühlt. Dr. John Krystal, Direktor des Laboratoriums für klinische Psychopharmakologie am National Center, erklärte mir: »Angenommen, jemand wird mit einem Messer angegriffen, weiß sich aber zu verteidigen und tut etwas, während ein anderer in derselben Situation denkt: ›jetzt ist es aus mit mir‹. Der Hilflose ist hinterher anfälliger für PTSD. Man hat das Gefühl, daß das eigene Leben in Gefahr ist und man nichts tun kann, um ihr zu entrinnen – in diesem Moment setzt die Veränderung des Gehirns ein.«
Daß PTSD vor allem durch Hilflosigkeit ausgelöst wird, wurde in Laborversuchen mit Ratten gezeigt. Zwei Ratten sitzen in getrennten Käfigen und erhalten schwache, für Ratten aber sehr belastende Elektroschocks von gleicher Stärke. Nur in einem Käfig befindet sich ein Hebel; wird er von der Ratte gedrückt, hört der Schock für beide Ratten auf. Tage und wochenlang erhalten beide genau die gleiche Menge an Schocks. Doch die Ratte, die sie ausschalten kann, kommt ohne bleibende Zeichen von Stress durch. Nur bei der hilflosen treten die stressbedingten Gehirnveränderungen auf.

Freitag, 8. April 2011

Diagnostik und Therapie der Lese-­Recht­schreib-Störung

Zur Diagnostik und Therapie der Lese-­Recht­schreib-Störung gibt es im Deutschen Ärzteblatt einen Artikel von Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne (DÄ 41/2010)