Da ist mir doch grad nochmal eine Rede von Prof. Geyer in die Hände gefallen. Hier ein Ausschnitt, ziemlich lang, doch er dürfte sich für Psychotherapie-Interessierte lohnen:
… Als heilkundliche Disziplin trägt die Psychotherapie immer noch schwer an ihrer langen randständigen, um nicht zu sagen, exotischen Existenz außerhalb der medizinischen Wissenschaft und der dort geltenden ökonomischen Kreisläufe (Geyer 1996). Es ist naheliegend, daß angesichts begrenzter materieller Ressourcen jene Therapieformen, die nicht zu den etablierten gehören, unter Verweis auf nicht geklärte Effektivität (also ihre Eignung. ein gesetztes Behandlungsziel zu erreichen) und mangelnde Effizienz (also die Relation von Aufwand und Nutzen) von den Fleischtöpfen ferngehalten werden. Dieser ökonomisch begründete Zwang zur wissenschaftlichen Legitimierung einer vergleichsweise jungen Disziplin war zunächst für die Disziplin selbst vorteilhaft. Ihre Verfahren gehören hebe zu den um besten untersuchten in der Medizin überhaupt und das bezieht sich auch auf die ökono-mischen Aspekte der Psychotherapie (Lamprecht 1996). Die wissenschaftlichen Hauptverfahren der Psychotherapie – psychoanalytisch begründete Psychotherapie und Verhaltenstherapie – haben in über 4000 klinisch kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit bewiesen. Je nach Störungstyp rangieren die Heilungsraten zwischen 80 bis 95% bei funktionellen Störungen, zwischen 75 und 85% bei Neurosen und 60 bis 70% bei psychosomatischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen. Besserungen in Symptomatik und im Verhaltensbereich sind bei mehr als 85% der Patienten aller Störungsgruppen nachzuweisen. Vergleicht man Kosten und Nutzen von Psychotherapie auf der Wirksamkeitsebene (Break Even d = .22) liegt für ambulante Psychotherapie die Effektstärke bei d = .80 (Smith et al. 1980), bei der stationären Psychotherapie bei d = 1,20, d.h. das Ergebnis übersteigt den Kosteneinsatz bei stationärer Psychotherapie um das Fünffache (Wittmann 1996). Die von der BfA durchgeführten Untersuchungen bezüglich der poststationären Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben weisen auf respektable Langzeitergebnisse stationärer Psychotherapie hin. In dieser Statistik erreichten Patienten mit der Diagnose Neurose (n = 12.511 Patien-ten) in 85,1% ein vollschichtiges Leistungsbild im zuletzt ausgeübten Beruf. Von den Patienten mit funktionellen Syndromen (n = 4.438 Patienten) wurden 91,4% als vollschichtig leistungsfähig eingeschätzt. Die Rehabilitationsverlaufsstatistik (EU/BU – Berentung) bei psychischen Erkrankungen zeigt, daß von den behandelten Fällen mit funktionellen Syndromen als Erstdiagnose nur 7,9% und bei den Psychoneurosen 12 % der Patienten innerhalb von 5 Jahren vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden (Zielke 1993; 1999). Psychotherapie ist nicht nur eine der effektivsten Therapiemethoden in der Medizin. Sie gehört darüber hinaus zu den Maßnahmen mit der besten Kosten Nutzenrelation (Zielke 1999).
Trotzdem betrachten nicht nur ihre direkten Konkurrenten die Psychotherapie als ein Ort, von dem aus sich epidemisch der Virus ungezügelter Ansprüchlichkeit ausbreitet. Der ungehinderte, d.h. unmittelbare Zugang zur Psychotherapie war auch in besseren Zeiten nicht einmal Privatversicherten erlaubt. Wer dieses Luxusgut direkt und ungeprüft konsumieren will, wie es mit Leistungen lang etablierter Fächern selbstverständlich ist, soll es gefälligst selbst bezahlen. Die moderne Psychotherapie hat es also bislang weder in der Medizin noch der übrigen Gesellschaft geschafft, wenigstens die offensichtlichen und greifbaren Mißverständnisse auszuräumen, die ihre bessere Behandlung in der Öffentlichkeit behindern. Ich möchte nur zwei Fehleinschätzungen nennen, die sich in folgenden landläufigen Meinungen zeigen. 1 . Die Notwendigkeit von Psychotherapie entstehe – so heißt es – erst in Gesellschaften, die wohlhabend sind, entsprechend auch erst in Bevölkerungsgruppen, deren existentielle Grundsicherung nicht mehr in Frage steht. 2. Psychotherapie sei eine teure und – vom Nutzen her betrachtet – eher unsichere Behandlungsmethode, die sich auch nur reiche Gesellschaften bzw. Bevölkerungsgruppen leisten können bzw. sollten. Kurz: Psychotherapie habe mit der medizinischen Grundversorgung nichts zu tun und sei eher eine zusätzliche Methode.
Betrachten wir die Fakten, die dem widersprechen. Von der nachgewiesenen Wirksamkeit der wissenschaftlichen Methoden habe ich schon gesprochen. Glücklicherweise gibt es aber inzwischen auch wissenschaftlich aussagekräftige epidemiologische Studien über die weltweite Verbreitung psychotherapiebedürftiger Störungen und Krankheiten. Im Gegensatz zu dem, was die meisten Politiker und Ärzte glauben, gehören über 90% der Störungen, die uns beruflich beschäftigen – also Neurosen, Somatisierungsstörungen, Psychosen etc. – offensichtlich zu den Universalien menschlicher Existenz und sind demzufolge nicht nur kulturunspezifisch, sondern auch schichtunspezifisch. Sie kommen also gleichermaßen in armen wie in reichen Ländern, in armen wie in reichen Bevölkerungsschichten, in allen Kulturen und auf allen zivilisatorischen Entwicklungsniveaus in etwa der gleichen Häufigkeit vor (Sartorius et al. 1996). Nur wenige psychogene Störungen – z.B. die Bulimie – zeigen eine gewisse kulturelle Spezifität. Es gibt zwar zwischen Erdteilen manche deutliche Unterschiede in der Häufigkeit einzelner Diagnosen, andererseits aber auch bemerkenswerte Übereinstimmungen.
Die Übersichten (Sartorius et al. 1998) zeigen schlüssig, daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß psychotherapiebedürftige Krankheiten etwas mit dem Wohlstand von Bevölkerungen zu tun haben. Man kann aus diesen Ergebnissen der weltweiten epidemiologischen Forschungen schlußfolgern, daß nicht der Psychotherapiebedarf, sondern allein die Zugänglichkeit zur Psychotherapie von ökonomischen Faktoren abhängig ist. Ein zweites gesundheitspolitisches Grundmißverständnis von Psychotherapie betrifft deren Kosten. In manchen Regionen Deutschlands bekommt ein Patient unkomplizierter ein neues Herz implantiert als daß er eine Psychotherapie erhält. Dabei stehen die Kosten der Psychotherapie als Versorgungsleistung – sei diese ambulant oder stationär – in einem geradezu idealen Verhältnis zu ihrem Nutzen. Betrachten wir zunächst die Kosten: Die durchschnittliche ambulante Psychotherapie, die in Deutschland um 40 – 50 Stunden dauert, kostet je nach Punktwert zwischen 1.200,– und 6.000,– DM. Für die stationäre Psychotherapie bezahlen die Kassen im Reha–Bereich und der Akutversorgung zwischen 11.000 und 25.100 DM. Diese Ausgaben könnten von den Kassen als Rationalisierungsausgaben verbucht werden, denn Psychotherapie ist in den meisten Fällen keine Maßnahme, die eine zusätzliche Leistung darstellt, sondern die andere und zwar meist teurere medizinische Leistungen, verdrängt bzw. ersetzt. Entsprechende volkswirtschaftliche Untersuchungen und Berechnungen zeigen nämlich, daß z.B. durch eine stationäre Psychotherapie je nach Berechnungsweise zwischen 13.000,– DM und 42.240,– DM volkswirtschaftlicher Nettonutzen entsteht, d.h. für eine durchschnittlich 15.000,– DM kostende Therapie werden Kosten für Medikamente, Operationen, Pflegeleistungen, Produktivitätsverluste und Arbeitsunfähigkeit gespart, die über das Doppelte der Therapiekosten hinausgehen (Wittmann 1996, Zielke 1999). Betrachtet man nüchtern diesen unabweisbaren Sachverhalt, wird unverständlich, warum der allgemeine Rationalisierungsdruck im Gesundheitswesen sich besonders stark auf psychotherapeutische Leistungen auswirkt. Wäre es nicht volkswirtschaftlich wie versicherungsökonomisch vernünftig, Psychotherapie in der Medizin in großem Umfang als Kostendämpfungsfaktor zu nutzen? Diese Frage wird uns beschäftigen müssen, weil sie uns zu den realen Machtverhältnissen in Medizin und Gesellschaft führt. Die derzeitige Situation in den USA führt uns teilweise groteske Auswirkungen eines Rationalisierungsprozesses vor Augen, der Krankheitskosten dämpfen soll, in Wirklichkeit aber den Versicherungskonzernen dazu verhilft, auf Kosten von Ärzten und Patienten enorme Gewinne zu erwirtschaften. Die Versicherer bzw. die als Kostenträger auftretenden Gesellschaften, die in den USA die sogenannte Managed care – Medizin betreiben, also sich die billigsten Leistungsanbieter suchen und ihre Mitglieder zwingen, nur diese Angebote zu nutzen, genehmigen Psychotherapie in maximal 3 Stundenpaketen. Nach jeweils 3 Stunden wird erneut die Frage der Notwendigkeit und Nützlichkeit diskutiert, was im positiven Falle zur Gewährung weiterer 2 bis 3 Stunden führt und generell bei einem Kontingent von 20 Stunden aufhört. Vereinzelt werden Kontrolleure der Nützlichkeit und Notwendigkeit direkt in die psychotherapeutischen Sitzungen plaziert (Iglehart 1994). Diese Restriktionen verweisen auf die Ohnmacht der Psychotherapeuten als Leistungsanbieter und die Macht der sogenannten Kostenträger. Sie sind jedoch nicht nur mit Demütigungen der Psychotherapeuten und ihrer Patienten verbunden. Wie die große Consumers Report–Studie (Seligman 1995) deutlich ausweist, sind die im Rahmen des Managed care durchgeführten Psychotherapien deutlich weniger effektiv als die Psychotherapien anderer Versicherer ohne diese Restriktionen. Hier haben wir den eher seltenen Fall einer direkten gesundheitsschädlichen Auswirkung einer von bestimmten ökonomischen Interessen gesteuerten Versorgungspraxis. Wie in der Industrie, so gelingt auch in der Medizin die Rationalisierung am schnellsten über den Abbau der menschlichen Arbeitskraft. Das gibt den Care Managern zunächst einmal recht. Kurzfristig wird Geld gespart. Diese Gesellschaften werden auf diese Weise sehr profitabel. Aber es existiert noch ein anderer ökonomischer Effekt: Die rigorose Verdrängung der Psychotherapie aus der Grundversorgung sichert die Pfründe des medizinischindustriellen Komplexes, also der Pharmaindustrie und Medizintechnik. Deren Wachstum muß und darf Medizin immer teurer machen. Ihre Aktien kann man mit der sicheren Erwartung auf etwa doppelt so hohe Wertsteigerungen kaufen wie alle anderen.
Aus einem Vortrag von Prof. Michael Geyer auf den Lindauer Psychotherapiewochen, 25. 30.4.1999 Lindau. Seit 1990 ist Michael Geyer er Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Direktor der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Universität Leipzig.
… Als heilkundliche Disziplin trägt die Psychotherapie immer noch schwer an ihrer langen randständigen, um nicht zu sagen, exotischen Existenz außerhalb der medizinischen Wissenschaft und der dort geltenden ökonomischen Kreisläufe (Geyer 1996). Es ist naheliegend, daß angesichts begrenzter materieller Ressourcen jene Therapieformen, die nicht zu den etablierten gehören, unter Verweis auf nicht geklärte Effektivität (also ihre Eignung. ein gesetztes Behandlungsziel zu erreichen) und mangelnde Effizienz (also die Relation von Aufwand und Nutzen) von den Fleischtöpfen ferngehalten werden. Dieser ökonomisch begründete Zwang zur wissenschaftlichen Legitimierung einer vergleichsweise jungen Disziplin war zunächst für die Disziplin selbst vorteilhaft. Ihre Verfahren gehören hebe zu den um besten untersuchten in der Medizin überhaupt und das bezieht sich auch auf die ökono-mischen Aspekte der Psychotherapie (Lamprecht 1996). Die wissenschaftlichen Hauptverfahren der Psychotherapie – psychoanalytisch begründete Psychotherapie und Verhaltenstherapie – haben in über 4000 klinisch kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit bewiesen. Je nach Störungstyp rangieren die Heilungsraten zwischen 80 bis 95% bei funktionellen Störungen, zwischen 75 und 85% bei Neurosen und 60 bis 70% bei psychosomatischen Krankheiten und Persönlichkeitsstörungen. Besserungen in Symptomatik und im Verhaltensbereich sind bei mehr als 85% der Patienten aller Störungsgruppen nachzuweisen. Vergleicht man Kosten und Nutzen von Psychotherapie auf der Wirksamkeitsebene (Break Even d = .22) liegt für ambulante Psychotherapie die Effektstärke bei d = .80 (Smith et al. 1980), bei der stationären Psychotherapie bei d = 1,20, d.h. das Ergebnis übersteigt den Kosteneinsatz bei stationärer Psychotherapie um das Fünffache (Wittmann 1996). Die von der BfA durchgeführten Untersuchungen bezüglich der poststationären Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben weisen auf respektable Langzeitergebnisse stationärer Psychotherapie hin. In dieser Statistik erreichten Patienten mit der Diagnose Neurose (n = 12.511 Patien-ten) in 85,1% ein vollschichtiges Leistungsbild im zuletzt ausgeübten Beruf. Von den Patienten mit funktionellen Syndromen (n = 4.438 Patienten) wurden 91,4% als vollschichtig leistungsfähig eingeschätzt. Die Rehabilitationsverlaufsstatistik (EU/BU – Berentung) bei psychischen Erkrankungen zeigt, daß von den behandelten Fällen mit funktionellen Syndromen als Erstdiagnose nur 7,9% und bei den Psychoneurosen 12 % der Patienten innerhalb von 5 Jahren vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden (Zielke 1993; 1999). Psychotherapie ist nicht nur eine der effektivsten Therapiemethoden in der Medizin. Sie gehört darüber hinaus zu den Maßnahmen mit der besten Kosten Nutzenrelation (Zielke 1999).
Trotzdem betrachten nicht nur ihre direkten Konkurrenten die Psychotherapie als ein Ort, von dem aus sich epidemisch der Virus ungezügelter Ansprüchlichkeit ausbreitet. Der ungehinderte, d.h. unmittelbare Zugang zur Psychotherapie war auch in besseren Zeiten nicht einmal Privatversicherten erlaubt. Wer dieses Luxusgut direkt und ungeprüft konsumieren will, wie es mit Leistungen lang etablierter Fächern selbstverständlich ist, soll es gefälligst selbst bezahlen. Die moderne Psychotherapie hat es also bislang weder in der Medizin noch der übrigen Gesellschaft geschafft, wenigstens die offensichtlichen und greifbaren Mißverständnisse auszuräumen, die ihre bessere Behandlung in der Öffentlichkeit behindern. Ich möchte nur zwei Fehleinschätzungen nennen, die sich in folgenden landläufigen Meinungen zeigen. 1 . Die Notwendigkeit von Psychotherapie entstehe – so heißt es – erst in Gesellschaften, die wohlhabend sind, entsprechend auch erst in Bevölkerungsgruppen, deren existentielle Grundsicherung nicht mehr in Frage steht. 2. Psychotherapie sei eine teure und – vom Nutzen her betrachtet – eher unsichere Behandlungsmethode, die sich auch nur reiche Gesellschaften bzw. Bevölkerungsgruppen leisten können bzw. sollten. Kurz: Psychotherapie habe mit der medizinischen Grundversorgung nichts zu tun und sei eher eine zusätzliche Methode.
Betrachten wir die Fakten, die dem widersprechen. Von der nachgewiesenen Wirksamkeit der wissenschaftlichen Methoden habe ich schon gesprochen. Glücklicherweise gibt es aber inzwischen auch wissenschaftlich aussagekräftige epidemiologische Studien über die weltweite Verbreitung psychotherapiebedürftiger Störungen und Krankheiten. Im Gegensatz zu dem, was die meisten Politiker und Ärzte glauben, gehören über 90% der Störungen, die uns beruflich beschäftigen – also Neurosen, Somatisierungsstörungen, Psychosen etc. – offensichtlich zu den Universalien menschlicher Existenz und sind demzufolge nicht nur kulturunspezifisch, sondern auch schichtunspezifisch. Sie kommen also gleichermaßen in armen wie in reichen Ländern, in armen wie in reichen Bevölkerungsschichten, in allen Kulturen und auf allen zivilisatorischen Entwicklungsniveaus in etwa der gleichen Häufigkeit vor (Sartorius et al. 1996). Nur wenige psychogene Störungen – z.B. die Bulimie – zeigen eine gewisse kulturelle Spezifität. Es gibt zwar zwischen Erdteilen manche deutliche Unterschiede in der Häufigkeit einzelner Diagnosen, andererseits aber auch bemerkenswerte Übereinstimmungen.
Die Übersichten (Sartorius et al. 1998) zeigen schlüssig, daß nicht davon ausgegangen werden kann, daß psychotherapiebedürftige Krankheiten etwas mit dem Wohlstand von Bevölkerungen zu tun haben. Man kann aus diesen Ergebnissen der weltweiten epidemiologischen Forschungen schlußfolgern, daß nicht der Psychotherapiebedarf, sondern allein die Zugänglichkeit zur Psychotherapie von ökonomischen Faktoren abhängig ist. Ein zweites gesundheitspolitisches Grundmißverständnis von Psychotherapie betrifft deren Kosten. In manchen Regionen Deutschlands bekommt ein Patient unkomplizierter ein neues Herz implantiert als daß er eine Psychotherapie erhält. Dabei stehen die Kosten der Psychotherapie als Versorgungsleistung – sei diese ambulant oder stationär – in einem geradezu idealen Verhältnis zu ihrem Nutzen. Betrachten wir zunächst die Kosten: Die durchschnittliche ambulante Psychotherapie, die in Deutschland um 40 – 50 Stunden dauert, kostet je nach Punktwert zwischen 1.200,– und 6.000,– DM. Für die stationäre Psychotherapie bezahlen die Kassen im Reha–Bereich und der Akutversorgung zwischen 11.000 und 25.100 DM. Diese Ausgaben könnten von den Kassen als Rationalisierungsausgaben verbucht werden, denn Psychotherapie ist in den meisten Fällen keine Maßnahme, die eine zusätzliche Leistung darstellt, sondern die andere und zwar meist teurere medizinische Leistungen, verdrängt bzw. ersetzt. Entsprechende volkswirtschaftliche Untersuchungen und Berechnungen zeigen nämlich, daß z.B. durch eine stationäre Psychotherapie je nach Berechnungsweise zwischen 13.000,– DM und 42.240,– DM volkswirtschaftlicher Nettonutzen entsteht, d.h. für eine durchschnittlich 15.000,– DM kostende Therapie werden Kosten für Medikamente, Operationen, Pflegeleistungen, Produktivitätsverluste und Arbeitsunfähigkeit gespart, die über das Doppelte der Therapiekosten hinausgehen (Wittmann 1996, Zielke 1999). Betrachtet man nüchtern diesen unabweisbaren Sachverhalt, wird unverständlich, warum der allgemeine Rationalisierungsdruck im Gesundheitswesen sich besonders stark auf psychotherapeutische Leistungen auswirkt. Wäre es nicht volkswirtschaftlich wie versicherungsökonomisch vernünftig, Psychotherapie in der Medizin in großem Umfang als Kostendämpfungsfaktor zu nutzen? Diese Frage wird uns beschäftigen müssen, weil sie uns zu den realen Machtverhältnissen in Medizin und Gesellschaft führt. Die derzeitige Situation in den USA führt uns teilweise groteske Auswirkungen eines Rationalisierungsprozesses vor Augen, der Krankheitskosten dämpfen soll, in Wirklichkeit aber den Versicherungskonzernen dazu verhilft, auf Kosten von Ärzten und Patienten enorme Gewinne zu erwirtschaften. Die Versicherer bzw. die als Kostenträger auftretenden Gesellschaften, die in den USA die sogenannte Managed care – Medizin betreiben, also sich die billigsten Leistungsanbieter suchen und ihre Mitglieder zwingen, nur diese Angebote zu nutzen, genehmigen Psychotherapie in maximal 3 Stundenpaketen. Nach jeweils 3 Stunden wird erneut die Frage der Notwendigkeit und Nützlichkeit diskutiert, was im positiven Falle zur Gewährung weiterer 2 bis 3 Stunden führt und generell bei einem Kontingent von 20 Stunden aufhört. Vereinzelt werden Kontrolleure der Nützlichkeit und Notwendigkeit direkt in die psychotherapeutischen Sitzungen plaziert (Iglehart 1994). Diese Restriktionen verweisen auf die Ohnmacht der Psychotherapeuten als Leistungsanbieter und die Macht der sogenannten Kostenträger. Sie sind jedoch nicht nur mit Demütigungen der Psychotherapeuten und ihrer Patienten verbunden. Wie die große Consumers Report–Studie (Seligman 1995) deutlich ausweist, sind die im Rahmen des Managed care durchgeführten Psychotherapien deutlich weniger effektiv als die Psychotherapien anderer Versicherer ohne diese Restriktionen. Hier haben wir den eher seltenen Fall einer direkten gesundheitsschädlichen Auswirkung einer von bestimmten ökonomischen Interessen gesteuerten Versorgungspraxis. Wie in der Industrie, so gelingt auch in der Medizin die Rationalisierung am schnellsten über den Abbau der menschlichen Arbeitskraft. Das gibt den Care Managern zunächst einmal recht. Kurzfristig wird Geld gespart. Diese Gesellschaften werden auf diese Weise sehr profitabel. Aber es existiert noch ein anderer ökonomischer Effekt: Die rigorose Verdrängung der Psychotherapie aus der Grundversorgung sichert die Pfründe des medizinischindustriellen Komplexes, also der Pharmaindustrie und Medizintechnik. Deren Wachstum muß und darf Medizin immer teurer machen. Ihre Aktien kann man mit der sicheren Erwartung auf etwa doppelt so hohe Wertsteigerungen kaufen wie alle anderen.
Aus einem Vortrag von Prof. Michael Geyer auf den Lindauer Psychotherapiewochen, 25. 30.4.1999 Lindau. Seit 1990 ist Michael Geyer er Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Direktor der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin der Universität Leipzig.
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