Sonntag, 13. April 2008

Freuds strukturelles Modell

Bekannter als das jungianische Persönlichkeitsmodell ist das psychoanalytische Modell nach Sigmund Freud: es wird als strukturelles Modell bezeichnet und besteht aus den drei Instanzen Es, Ich, und Über-Ich.

Der Bereich der primären Impulse, der triebhaften Grundbedürfnisse wird als Es bezeichnet. Neben den körpernahen Bedürfnissen wie Hunger, Durst, Ausscheidung sind hier vor allem die emotionalen Grundbedürfnisse nach Abhängigkeit und nach Autonomie, die sexuellen und aggressiven Bedürfnisse sowie die narzißtischen Bedürfnisse (nach stabiler und akzeptabler Identität) maßgeblich. Das Es wird regiert durch das Lustprinzip, es ist auf Lustgewinn und Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet, ohne die Barrieren zu beachten, die die Realität oder die Moral setzen. Die Inhalte des Es sind unbewußt und lassen sich beim Erwachsenen nur indirekt erschließen. Sie entstammen teilweise den körperlichen und angeborenen Quellen, teilweise sind sie über Verdrängung erworben. Anschaulich gemacht werden können die Inhalte des Es im Verhalten des Kleinkindes, sofern es seine elementaren Bedürfnisse noch relativ unzensiert ausleben darf. Beim Erwachsenen zeigen sie sich vorwiegend in seinen Träumen, Phantasien, Erinnerungen, Fehlleistungen („Freud’scher Versprecher“) oder in der spezifischen neurotischen Symptomatik.


Das Über-Ich umfaßt den normativen Bereich des Menschen, die - meist durch die Eltern vermittelten - Normen und Wertvorstellungen. Es enthält auch das Ich-Ideal, also die Werte und Ziele der individuellen Persönlichkeitsentwicklung, das innere Vorbild. Diese Normen und Ideale wirken teils bewußt, teils unbewußt (z. B. unbewußte Schuldgefühle).


Das Ich hat den Kompromiß zwischen den emotionalen Grundbedürfnissen (Es), den Einschränkungen durch die eigene Moral (Über-Ich) und den Erfordernissen und Realitäten der sozialen und materiellen Umwelt zu leisten. Es stellt den Brückenbauer zwischen den Gegensätzen dar, findet sich aber auch in der Schraubzwinge zwischen Es und Über-Ich wieder. Das Ich ist am Realitätsprinzip orientiert, das heißt es wählt solche Handlungen aus, die unter den gegebenen Bedingungen ein möglichst hohes Ausmaß an Lust und möglichst minimale Unlust (z. B. als schlechtes Gewissen) versprechen, um so die Impulse des Es befriedigen zu können. Weitere Funktionen des Ich sind die Kontrolle der körperlichen Funktionen (speziell der Motorik) und das Denken. Das Ich ist dabei überwiegend bewußt oder vorbewußt, in Bezug auf die Abwehr dagegen meist unbewußt. Die Impulse des Es werden durch das Ich an den Wertmaßstäben des Über-Ich bewertet und zensiert, wenn sie als zu fremdartig, bedrohlich oder ängstigend erscheinen, müssen sie vom Ich abgewehrt werden.


Diese Abwehr findet in jedem Menschen tagtäglich statt und ist per se nicht als krankhaft zu bezeichnen. Bei einer neurotischen Erkrankung wird man allerdings eine stark verfestigte, rigide und lebenseinschränkende Abwehr vorfinden. Verschieden Formen der Abwehr werden als unbewußte Abwehrmechanismen bezeichnet, einige sollen hier beschrieben werden: der wohl bekannteste Abwehrmechanismus ist der der Verdrängung: eine innere angstmachende Vorstellung, Trieb- oder Affektregung wird ins Unbewußte abgewehrt (z. B. werden Haßgefühle gegenüber den Eltern verdrängt, wenn das Über-Ich entsprechend rigide ausgeformt ist). Die Verleugnung dagegen betrifft die zeitweilige Abwehr äußerer angstauslösender Vorkommnisse (z. B.: ein schwer erkrankter und aufgeklärter Patient gibt vor einer Operation an, niemals aufgeklärt worden zu sein). Bei der Projektion werden eigene unerwünschte Impulse und Gefühle unbewußt anderen Personen zugeschrieben. Dieses ist besonders gut in Paarstreitigkeiten zu beobachten, wo dem jeweils anderen Partner die aggressiven Seiten zugeschrieben werden. Wenn inakzeptable Regungen entgegengesetzte Verhaltensweisen auslösen, spricht man von Reaktionsbildung. Ein Beispiel ist das betont freundlich-interessierte Verhalten gegenüber dem Prüfer im Physikum, den man eigentlich in Grund und Boden wünscht. Wird der konfliktmachende Impuls auf eine weniger bedrohliche Person gerichtet, wird dieser Vorgang Verschiebung genannt (z. B. wenn der vom Praktikumsleiter gerügte Medizinstudent später seine Freundin ohne Anlaß zurechtweist). Bei der Rationalisierung wird für die eigene Verhaltensweise eine rationale Rechtfertigung gegeben, die gefühlsmäßigen Beweggründe bleiben unbewußt (wenn beispielsweise der Psychologiestudent als Motiv seiner Studienwahl die zunehmende seelische Verrohung der Menschen angibt, sich aber durch das Studium eigentlich die Lösung der eigenen Neurose erhofft). Schließlich die Regression: vor dem unlustvollen Impuls wird auf eine Wiederbelebung früherer Entwicklungsstufen ausgewichen (z. B. zu beobachten bei deutlich gesundenden Krankenhauspatienten, die sich weiterhin füttern oder anziehen lassen wollen). Die Regression spielt bei der Entstehung einer neurotischen Symptomatik eine entscheidende Rolle, wie auch bei deren Veränderung im Rahmen einer Psychoanalyse.


Aus Tewes Wischmann, Was wirkt aus der Tiefe der Seele? - Eine Einführung in tiefenpsychologisches Denken


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