Die Pharmaindustrie hat es – mit Unterstützung der Ärzte und Familien, die es sich leicht zu machen versuchen – geschafft, darauf hinzuarbeiten, daß, wenn der Begriff ADHS steht, man sofort an Ritalin denkt. Insgesamt ist festzustellen, daß die hirnbiochemischen Erklärungsmodelle psychischer Störungen wieder auf dem Vormarsch sind. (Wie sollte das in unserer instant-und-light-Zeit auch anders sein?) Es ist mir wichtig festzuhalten, daß die psychodynamischen Hintergründe nicht übersehen werden dürfen.
Dazu einige Auszüge aus einem Grundsatzartikel. Aus Gründen der Lesbarkeit habe ich auf die im Text natürlich erwähnten Quellenangaben verzichtet. Auch die Hinweise auf die Hirnbiochemie habe ich weggelassen. Wer eine Übersicht sucht, gehe zu Wikipedia.
Die Prävalenz wird – je nach Strenge der angelegten Diagnosekriterien – mit 1 bis 7 Prozent angegeben.
[…] Auf der anderen Seite steht ein Beziehungs- oder soziales Modell, das den Einfluss familiärer oder sonstiger Belastungen, aber auch die generelle soziale Umwelt, in der ein Kind aufwächst, als wesentliche Faktoren konzipiert. Zunächst einmal ist es eine banale Feststellung, dass akute, vor allem aber chronisch anhaltende psychosoziale Belastungen dazu führen, dass ein Kind sich möglicherweise schlechter konzentrieren kann, sich zurückzieht oder mit psychomotorischer Unruhe und weiteren Verhaltensauffälligkeiten reagiert. Die Kriterien der lCD 10 binden daher die Diagnose einer ADHS an die Einschränkung, dass die Störung bereits vor dem 6. Lebensjahr vorhanden gewesen sein muss und nicht durch andere – beispielsweise psychosoziale – Ursachen erklärbar ist. Damit wird versucht, eine Verkennung eines ganz ähnlich erscheinenden Symptombildes, das jedoch aus akuten psychischen oder sozialen Belastungen resultiert, als hirnfunktionell verstandene Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung zu vermeiden. Leider werden diese Ausschlusskriterien in der Praxis häufig großzügig übersehen.
Es gibt auch zur Bedeutung des hier so genannten Beziehungs- oder sozialen Modells eine Fülle von Belegen, was insbeson dere dann nicht verwundert, wenn das oben erwähnte Ineinandergreifen psychosozialer und somatischer Faktoren bei der Herausbildung und Organisation neuronaler Netzwerke ernst genommen und als sich gegenseitig beeinflussendes Wechselverhältnis begriffen wird. Beispielhaft sei nur angeführt, dass Christakis et al. feststellten, dass pro Stunde täglichem Fernsehkonsum vor dem 3. Lebensjahr das Risiko des Auftretens einer Aufmerksamkeitsstörung im Schulalter um 10% steigt. Auch in der psychotherapeutisch orientierten Literatur wird mit einer Fülle von Fallbeispielen deutlich gemacht, wie stark Symptomatik, familiäre Prozesse und innere Konfliktsituationen ineinander greifen. Stern konnte Mechanismen aufzeigen, die es verständlich machen, dass eine mütterliche postpartale Depression vom Säugling mit der Entwicklung hyperaktiven Verhaltens beantwortet werden kann. Timimi wies neuerdings einmal wieder auf die Rolle kultureller und sozialer Faktoren bei der Entstehung und vor allem Qualifizierung von Verhaltensproblemen als medizinische Krankheitsentitäten und damit behandlungsbedürftige Störungen hin und machte damit auf die Rolle derartiger Faktoren für die Wahrnehmung und Interpretation dieser Phänomene aufmerksam.
Die konkurrierenden, zum Teil in heftigem Widerstreit stehenden Auffassungen, zeigen zumindest eines: Es handelt sich bei der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung um eine komplexe vielschichtige Problematik, bei der man weder dem Phänomen, noch den betroffenen Kindern und Familien gerecht wird, wenn man einfache Reduktionen auf diese oder jene bevorzugte Theorie vornimmt. Dies hat jenseits manchmal ideologisch gefärbter Auseinandersetzungen erhebliche klinische Konsequenzen: Erstens bedarf eine derartige Symptomatik einer umfassenden Diagnostik und zweitens ist auf dieser Grundlage eine individuell zugeschnittene Therapie erforderlich. Dem tragen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Rechnung, wenn sie eine umfassende Diagnostik unter Berücksichtigung somatischer, familiärer und emotionaler Faktoren fordern und konstatieren, dass in der Regel eine multimodale Behandlung durchzuführen sei.
Es gibt auch zur Bedeutung des hier so genannten Beziehungs- oder sozialen Modells eine Fülle von Belegen, was insbeson dere dann nicht verwundert, wenn das oben erwähnte Ineinandergreifen psychosozialer und somatischer Faktoren bei der Herausbildung und Organisation neuronaler Netzwerke ernst genommen und als sich gegenseitig beeinflussendes Wechselverhältnis begriffen wird. Beispielhaft sei nur angeführt, dass Christakis et al. feststellten, dass pro Stunde täglichem Fernsehkonsum vor dem 3. Lebensjahr das Risiko des Auftretens einer Aufmerksamkeitsstörung im Schulalter um 10% steigt. Auch in der psychotherapeutisch orientierten Literatur wird mit einer Fülle von Fallbeispielen deutlich gemacht, wie stark Symptomatik, familiäre Prozesse und innere Konfliktsituationen ineinander greifen. Stern konnte Mechanismen aufzeigen, die es verständlich machen, dass eine mütterliche postpartale Depression vom Säugling mit der Entwicklung hyperaktiven Verhaltens beantwortet werden kann. Timimi wies neuerdings einmal wieder auf die Rolle kultureller und sozialer Faktoren bei der Entstehung und vor allem Qualifizierung von Verhaltensproblemen als medizinische Krankheitsentitäten und damit behandlungsbedürftige Störungen hin und machte damit auf die Rolle derartiger Faktoren für die Wahrnehmung und Interpretation dieser Phänomene aufmerksam.
Die konkurrierenden, zum Teil in heftigem Widerstreit stehenden Auffassungen, zeigen zumindest eines: Es handelt sich bei der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung um eine komplexe vielschichtige Problematik, bei der man weder dem Phänomen, noch den betroffenen Kindern und Familien gerecht wird, wenn man einfache Reduktionen auf diese oder jene bevorzugte Theorie vornimmt. Dies hat jenseits manchmal ideologisch gefärbter Auseinandersetzungen erhebliche klinische Konsequenzen: Erstens bedarf eine derartige Symptomatik einer umfassenden Diagnostik und zweitens ist auf dieser Grundlage eine individuell zugeschnittene Therapie erforderlich. Dem tragen die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Rechnung, wenn sie eine umfassende Diagnostik unter Berücksichtigung somatischer, familiärer und emotionaler Faktoren fordern und konstatieren, dass in der Regel eine multimodale Behandlung durchzuführen sei.
Tab. 1 Ätiologische Faktoren bei der Entstehung der ADHS
• Temperamentsfaktoren
• genetische Polymorphismen
• Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
• erniedrigtes Geburtsgewicht
• pränatale Alkohol-, Benzodiazepin- oder Nikotinexposition
• Infektionen und Toxine, insbesondere Schwermetallexposition
• ZNS-Erkrankungen und Verletzungen
• ungünstige psychosoziale Bedingungen
• frühkindliche Traumatisierung, schwere Deprivation, Misshandlung
• Fernsehkonsum vor dem 3. Lebensjahr
• in Einzelfällen evtl. auch atopische Disposition (umstritten)
Ätiologie und Pathogenese
Eine Auflistung ätiologischer Faktoren findet sich in Tabelle 1. Zu berücksichtigen ist dabei, dass diese Faktoren im Sinne einer Ergänzungsreihe verstanden werden können und es zu bisher nicht genau geklärten Wechselwirkungen zwischen genetischen, somatischen und psychosozialen Faktoren kommt. Möglicherweise ist die ADHS-Symptomatik als gemeinsame Endstrecke verschiedenster, im Einzelfall sehr unterschiedlich gewichteter Beeinträchtigungen anzusehen.
Man hat es daher in der klinischen Praxis häufig mit einem Zusammenspiel unterschiedlicher ätiologischer Faktoren zu tun, ohne dass diese an dem Punkt, an dem das Kind in die Sprechstunde kommt, immer genau in ihrer Wertigkeit bestimmt werden können, dies umsoweniger, als die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren und die oben erwähnte gegenseitige Beeinflussung von Hirnreifung, individuellen, familiären und außerfamiliären Beziehungs- und Interaktionsmustern und der Organisation und Verfestigung neuronaler Netzwerke beispielsweise im Sinne einer angeborenen und/oder somatisch oder beziehungsdynamisch erworbenen Bereitschaft zur Hyperexzitabilität bisher nur in Grundzügen erforscht sind.
In der klinischen Praxis kann man sich entweder entlang einer korrekten Anwendung der Bestimmungen der lCD-10 auf den Standpunkt stellen, dass man nur dann eine hyperkinetische Störung oder eine ADHS diagnostiziert, wenn Belege dafür vorhanden sind, dass die Störung sehr früh begann und keine wesentlichen emotionalen Belastungen vorhanden sind oder waren, die die Auffälligkeiten erklären könnten. Man kann sich andererseits aber auch ganz pragmatisch auf den heute weithin bevorzugten Standpunkt stellen, die Diagnose unter Außerachtlassen der Einschränkungen der lCD-10 und in Anlehnung an DSM-IV ausschließlich phänomenologisch an der zu beobachtenden Symptomatik zu orientieren.
Man wird damit allerdings, wie es heute häufig geschieht, eine Ausweitung der Diagnose vornehmen und mit einem Sammelsurium heterogener Belastungsfaktoren und ätiologischer und pathogenetischer Einflussfaktoren zu rechnen haben, die im Einzelfall sehr unterschiedliches Gewicht haben dürften.
Man hat es daher in der klinischen Praxis häufig mit einem Zusammenspiel unterschiedlicher ätiologischer Faktoren zu tun, ohne dass diese an dem Punkt, an dem das Kind in die Sprechstunde kommt, immer genau in ihrer Wertigkeit bestimmt werden können, dies umsoweniger, als die Wechselwirkung zwischen diesen Faktoren und die oben erwähnte gegenseitige Beeinflussung von Hirnreifung, individuellen, familiären und außerfamiliären Beziehungs- und Interaktionsmustern und der Organisation und Verfestigung neuronaler Netzwerke beispielsweise im Sinne einer angeborenen und/oder somatisch oder beziehungsdynamisch erworbenen Bereitschaft zur Hyperexzitabilität bisher nur in Grundzügen erforscht sind.
In der klinischen Praxis kann man sich entweder entlang einer korrekten Anwendung der Bestimmungen der lCD-10 auf den Standpunkt stellen, dass man nur dann eine hyperkinetische Störung oder eine ADHS diagnostiziert, wenn Belege dafür vorhanden sind, dass die Störung sehr früh begann und keine wesentlichen emotionalen Belastungen vorhanden sind oder waren, die die Auffälligkeiten erklären könnten. Man kann sich andererseits aber auch ganz pragmatisch auf den heute weithin bevorzugten Standpunkt stellen, die Diagnose unter Außerachtlassen der Einschränkungen der lCD-10 und in Anlehnung an DSM-IV ausschließlich phänomenologisch an der zu beobachtenden Symptomatik zu orientieren.
Man wird damit allerdings, wie es heute häufig geschieht, eine Ausweitung der Diagnose vornehmen und mit einem Sammelsurium heterogener Belastungsfaktoren und ätiologischer und pathogenetischer Einflussfaktoren zu rechnen haben, die im Einzelfall sehr unterschiedliches Gewicht haben dürften.
Symptomatologie und Diagnostik
Die Kernsymptome der ADHS sind Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität, wobei nach lCD-10 sowohl Unaufmerksamkeit als auch Überaktivität vorliegen müssen, während DSM-IV den vorwiegend hyperaktiv-impulsiven Typ und den vorwiegend unaufmerksamen Typ sowie einen kombinierten Typ unterscheidet und damit die Hyperaktivität nicht als notwendiges Symptom ansieht. Darüber hinaus werden von der lCD-10 ein Beginn vor dem 6. Lebensjahr und ein Auftreten in mindestens zwei Lebensbereichen gefordert.
Charakteristische Merkmale der drei Leitsymptome sind in Tabelle 2 aufgeführt.
Charakteristische Merkmale der drei Leitsymptome sind in Tabelle 2 aufgeführt.
Tab. 2 Leitsymptome der ADHS (jeweils extrem ausgeprägt im Verhältnis zu gleichaltrigen Kindern)
Unaufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsstörung, Ablenkbarkeit)
• Mangel an Ausdauer und Konzentration, Abbruch bei Beschäftigungen,
• häufiger Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen, Ablenkbarkeit (durch externe Stimuli),
• Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit zu teilen,
• mangelnde Aufmerksamkeit für Details,
• hört oft nicht zu,
• verliert oft Dinge,
• ist vergesslich
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Überaktivität (Hyperaktivität, motorische Unruhe)
• Zappelphilipp.
• desorganisierte, überschießende Aktivität,
• kann nicht still sitzen, steht oft auf,
• exzessives Rennen oder herumklettern,
• ausgeprägte Redseligkeit, Lärmen, Schwierigkeiten still zu sitzen
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Impulsivität
• Mangel an normaler Vorsicht und Zurückhaltung,
• Unfallneigung,
• Regelverletzungen an Impulsivität,
• Distanzlosigkeit gegenüber Erwachsenen,
• platzt mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist,
• geht nicht auf andere ein,
• kann nicht warten, bis er/sie an der Reihe ist (im Spiel, in Gruppen)
Hinzu treten häufig weitere komorbide Symptome, deren Vielzahl teilweise zu Listen von über 100 Symptomen zusammengefasst wurde. Besonders problematisch ist eine gleichzeitig bestehende Störung des Sozialverhaltens, da diese die Prognose deutlich verschlechtert. Dissoziale Entwicklungen und Substanzmissbrauch sind vor allem bei einer Kombination von ADHS und einer Störung des Sozialverhaltens deutlich häufiger zu erwarten. In ähnliche Richtung weisen aggressive Störungen. Auf der anderen Seite führt die Dauerbelastung der Beziehungsinteraktionen im familiären und außerfamiliären Umfeld, die zu einem regelrechten Circulus vitiosus von Ablehnung, Sanktionen, Schulversagen, oppositionellem Verhalten oder Sich-negativ-in-Szene-Setzen und erneuten Sanktionen und sozialer Ausgrenzung führen kann, fast regelhaft zu niedrigem Selbstwertgefühl, negativem Selbstbild und sozialer Isolation sowie, häufiger bei Mädchen, zu ängstlichen und depressiven Symptomen. Diesen sekundären Symptomen kommt erhebliche, oft die entscheidende prognostische Bedeutung zu. Sie belasten die soziale Integration und das familiäre Beziehungsgefüge in vielen Fällen weit stärker als die Primärsymptome. Auch dies unterstreicht die Notwendigkeit einer umfassenden und kompetenten diagnostischen Abklärung. Nur so kann verhindert werden, dass eine ADHS diagnostiziert wird und die erwähnten komorbiden Störungen unerkannt und damit unbehandelt bleiben oder gar fälschlicherweise deren Symptome einer reinen Aufmerksamkeitsstörung zugeschrieben werden, was leider immer wieder zu desaströsen Verläufen führt.
Eine umfassende Diagnostik ermöglicht nicht nur eine Einschätzung des häufig komplexen Störungsbildes, sondern ist auch Voraussetzung für eine adäquate Planung der Behandlung. Das diagnostische Vorgehen ist in Tabelle 3 dargestellt, die Differenzialdiagnose findet sich in Tabelle 4.
Eine umfassende Diagnostik ermöglicht nicht nur eine Einschätzung des häufig komplexen Störungsbildes, sondern ist auch Voraussetzung für eine adäquate Planung der Behandlung. Das diagnostische Vorgehen ist in Tabelle 3 dargestellt, die Differenzialdiagnose findet sich in Tabelle 4.
Tab. 3 Diagnostik bei ADHS
Exploration der Familie und Exploration und Untersuchung des Patienten hinsichtlich:
• Auftreten, Variabilität der Leitsvmptome,
• ungünstiger Temperamentsmerkmale im Säuglingsalter und Beginn der Störung,
• Verlauf der Symptomatik
• psychosozialer und emotionaler Belastungsfokforen,
• Vorhandensein emotionaler oder anderer Störungen
________________________________________
Informationen von Kindergarten oder Schule hinsichtlich:
• Einschätzung, Häufigkeit, Intensität und Variabilität der Symptomatik
• gegebenenfalls Lern- und Leistungsstörungen,
• Hinweisen auf psychosoziale Belastungen
Ergänzend kann ein Fremdbeurteilungsbogen (z. B. FBB-HKS), der jeweils von Eltern und Lehrern ausgefüllt werden kann, vor allem im Lehrerurteil wertvolle Zusatzinformationen liefern.
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Intelligenz, Entwicklungs- und Leistungsdiagnostik
• In der Regel ist eine zumindest orientierende Intelligenzdiagnostik erforderlich, um Überforderungen oder Unterforderungen auszuschließen.
• Bei Hinweisen auf Teilleistungsstörungen oder sonstige Leistungsproblemen ist eine umfassende Leistungsdiagnostik notwendig.
• Bei Vorschulkindern ist eine umfassende Entwicklungsdiagnostik vor allem auch der psychosozialen Entwicklung, erforderlich.
weitere testpsychologische Diagnostik
• Ergänzend können testpsychologische Untersuchungen zur Aufmerksamkeit (z B. TAP, Aufmerksamkeitsbelastungstest) zusätzliche Hinweise geben. Das testpsychologische Ergebnis darf niemals allein zur Stellung der Diagnose verwendet werden.
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somatische Diagnostik
• neurologische Untersuchung zur Abklärung von Beeinträchtigungen,
• gegebenenfalls EEG- bzw. MRT-Untersuchung, wenn Hinweise auf eine hirnorganische Komponente oder auf ein Anfallsleiden vorhanden sind, EEG-Untersuchung insbesondere dann, wenn eine medikamentöse Behandlung mit Amphetaminen geplant
• bei Planung einer medikamentösen Behandlung allgemeine körperliche Untersuchung u. o. im Hinblick auf mögliche Kontraindikationen und unerwünschte Wirkungen (z.B. Wachstumsverzögerung)
Tab. 4 Differenzialdiagnose bei ADHS
Eine Vielzahl kinderpsychiatrischer Störungen muss differenzialdiagnostisch oder als komorbide Störung Berücksichtigung finden, gegebenenfalls diagnostiziert und behandelt werden, insbesondere:
• Störungen des Sozialverhaltens,
• lntelligenzminderung,
• tiefgreifende Entwicklungsstörungen,
• Borderline- Persönlichkeitsstörung,
• Depression,
• Angststörungen,
• Schizophrenie oder manische Episoden,
• Medikamenteneffekte,
• primäre organische oder neurologische Störungen,
• schwere familiäre Belastungen, Misshandlungen, Deprivation, Vernachlässigung.
[…]
Therapie
[…]
Weitgehend konsensfähig scheint derzeit zu sein, dass
• eine medikamentöse Behandlung bei strenger Indikationsstellung und erheblichen durch die Symptomatik hervorgerufenen psychosozialen Beeinträchtigungen indiziert ist;
• eine alleinige medikamentöse Behandlung in der Regel nicht als adäquat anzusehen ist, sondern eine multimodale Behandlung erfolgen sollte;
• nach derzeitigem Kenntnisstand zwar mögliche Nebenwirkungen vorhanden sind und entsprechend kontrolliert werden müssen, aber nicht als derart gravierend erscheinen, dass sie eine medikamentöse Behandlung prinzipiell infrage stellen würden;
• die Befürchtung, dass es wegen des Suchtpotenzials von Amphetaminen zu Abhängigkeitserkrankungen kommen könnte zwar im Einzelfall berechtigt ist, im statistischen Mittel aber dies mehr als ausgeglichen wird durch eine deutliche Verringerung des Risikos einer Suchtentwicklung gegenüber Patienten, die nicht behandelt werden;
• Auslassversuche einmal pro Jahr zur Kontrolle der Wirksamkeit empfohlen werden.
[…]
Unverzichtbar ist eine Elternberatung nicht nur hinsichtlich der Erkrankung selbst, die heute den meisten Eltern bekannt sein dürfte, sondern vor allem auch hinsichtlich der besonderen Erziehungsanforderungen, die Kinder mit ADHS benötigen. Häufig geraten Kind und Eltern in Interaktionszirkel, die von Erregung, heftigen negativen Affekten und gegenseitigen Beschuldigungen gekennzeichnet sind und sich immer weiter verfestigen, wobei Eltern und Kind immer verzweifelter werden und sich missverstanden fühlen. Der besonders große Bedarf dieser Kinder nach Halt gebenden, klaren und nachvollziehbaren grenzsetzenden Strukturen geht im Zuge dessen oft unter. Eltern und Kind schwanken zwischen wütenden Beschuldigungen und negativem Selbsterleben. Es kann in dieser Situation eine große Hilfe sein, Eltern in dieser Hinsicht zu beraten und ihnen dabei zu helfen, wieder anders mit ihrem Kind umzugehen. Dabei steht die Unterstützung strukturierender und Halt gebender Funktionen, wie auch einer fördernden und zugewandten Beziehung im Vordergrund. Dies kann sowohl in der Einzeltherapie als auch über mittlerweile entwickelte Gruppenprogramme für Eltern umgesetzt werden.
Je nach Störungsbild und zusätzlicher Symptomatik bzw. Komorbidität müssen entsprechende therapeutische Angebote eingerichtet werden. Verhaltenstherapeutische Interventionen arbeiten vor allem mit Selbstinstruktions- und Selbstmanagementtrainings, wobei sie meist parallel sehr stark auf Interventionen in der Familie und in der Schule setzen. Die Einbeziehung der Eltern in diese Behandlung soll die Generalisierung auf die häusliche Situation unterstützen. Generell wird als Problem verhaltenstherapeutischer Interventionen angegeben, dass die Übertragbarkeit der in der Therapiesituation erlernten Verhaltensweisen in die Alltagsrealität oft unzureichend funktioniert. Daher haben sich in den letzten Jahren die Hoffnungen auf sogenannte Sommercamps gerichtet, bei denen Kinder in quasi natürlicher Umgebung lernen können, sich anders zu verhalten. Als Vorteil wird insbesondere auch angesehen, dass sie in einer Gruppe von Kindern sind, die ähnliche Probleme haben und sich insofern einmal nicht als Außenseiter fühlen müssen.
Familientherapeutische Interventionen haben primär sehr stark die familiäre Interaktion und die Funktion des auffälligen Verhaltens im familiären oder weiteren sozialen System im Auge und legen einen Schwerpunkt insbesondere auf Funktionalität und Dysfunktionalität der damit verknüpften Beziehungsgestaltung. Sie legen ihr Augenmerk daher naturgemäß vor allem auch auf die sekundären Verwerfungen in der familiären Kommunikation.
Psychoanalytisch orientierte Therapien setzen vor allem an der inneren Konfliktdynamik des Kindes an und arbeiten mit dem Kind und der Familie an einer Stabilisierung „väterlich“ grenzsetzender Strukturen, die einen sicheren Rahmen für die Entwicklung des Kindes bieten. Sie verstehen die Unruhe und Aufmerksamkeitsstörung auch vor dem Hintergrund bedrohlicher, nicht verarbeiteter und daher abgewehrter Ängste und Konflikte, als körperlichen Ausdruck der inneren Beunruhigung. Sie eignen sich besonders für die Bearbeitung der häufig mit einer ADHS einhergehenden Selbstwertproblematik, die unter Umständen mithilfe narzisstischer Größenfantasien abgewehrt wird, und bei der Behandlung komorbider emotionaler Störungen. Sie zielen auf die Stärkung und Entwicklung selbstregulativer Funktionen und affektiver Wahrnehmungs-, Steuerungs- und Verarbeitungskapazitäten anstelle einer motorischen Abfuhr der Affekte und damit auf eine bessere psychische Integration. Ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Primärsymptomatik Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität wird kontrovers diskutiert. Schwere Fälle können von einer Kombination mit einer medikamentösen Behandlung profitieren, diese beeinträchtigt aber möglicherweise die Phantasietätigkeit des Kindes, die für die Entwicklung innerer konfliktlösender Fähigkeiten wichtig erscheint.
Schließlich wird man bei häufig mit ADHS verknüpften Teilleistungsstörungen, etwa im motorischen Bereich oder in Form vorwiegend sprachlicher Teilleistungsstörungen, abzuwägen haben, ob nicht zunächst eine Förderung und Stabilisierung in diesem Bereich, etwa durch Ergotherapie, krankengymnastische Übungsbehandlung oder spezifische Lernförderung schon eine gewisse Entlastung mit sich bringen kann. Zu warnen ist vor dem Missverstehen multimodaler Therapien im Sinne dessen, dass jeder Tag der Woche mit einer anderen Form der Therapie ausgefüllt werde.
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass eine umfassende Diagnostik zwar eine sehr hohe Expertise erfordert und einen außerordentlich hohen Aufwand mit sich bringt, dass aber andererseits nur so eine adäquate Einschätzung der häufig komplexen Problematik mit all ihren Facetten möglich ist und der Komplexität der Störung entsprechend eine angemessene Therapie geplant und eingeleitet werden kann. Eine rasche und alleinige Verordnung von Methylphenidat, gar auf der Grundlage der Angaben der Eltern, dass das Kind hypermotorisch sei und sich nicht konzentrieren könne, sozusagen ex juvantibus, ist heutzutage als obsolet anzusehen. Abgesehen davon wird man damit nicht nur den Standards heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse und möglicher therapeutischer Interventionen nicht gerecht, sondern lässt auch die betroffenen Familien und ihre Kinder mit ihrer Problematik im Grunde allein, indem man das Problem sozusagen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert: ein Transmitterproblem und dessen medikamentöse Beeinflussung. Die Kinder und ihre Familien haben ein Recht darauf, von uns Experten umfassend beraten und behandelt zu werden und sie sind in der Regel sehr froh darüber, wenn man sie in all ihren Problemen, auch den familiären und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten, ernst nimmt, berät und ihnen Hilfestellung gibt, anders mit ihrer belasteten und belastenden Situation umzugehen.
• eine medikamentöse Behandlung bei strenger Indikationsstellung und erheblichen durch die Symptomatik hervorgerufenen psychosozialen Beeinträchtigungen indiziert ist;
• eine alleinige medikamentöse Behandlung in der Regel nicht als adäquat anzusehen ist, sondern eine multimodale Behandlung erfolgen sollte;
• nach derzeitigem Kenntnisstand zwar mögliche Nebenwirkungen vorhanden sind und entsprechend kontrolliert werden müssen, aber nicht als derart gravierend erscheinen, dass sie eine medikamentöse Behandlung prinzipiell infrage stellen würden;
• die Befürchtung, dass es wegen des Suchtpotenzials von Amphetaminen zu Abhängigkeitserkrankungen kommen könnte zwar im Einzelfall berechtigt ist, im statistischen Mittel aber dies mehr als ausgeglichen wird durch eine deutliche Verringerung des Risikos einer Suchtentwicklung gegenüber Patienten, die nicht behandelt werden;
• Auslassversuche einmal pro Jahr zur Kontrolle der Wirksamkeit empfohlen werden.
[…]
Unverzichtbar ist eine Elternberatung nicht nur hinsichtlich der Erkrankung selbst, die heute den meisten Eltern bekannt sein dürfte, sondern vor allem auch hinsichtlich der besonderen Erziehungsanforderungen, die Kinder mit ADHS benötigen. Häufig geraten Kind und Eltern in Interaktionszirkel, die von Erregung, heftigen negativen Affekten und gegenseitigen Beschuldigungen gekennzeichnet sind und sich immer weiter verfestigen, wobei Eltern und Kind immer verzweifelter werden und sich missverstanden fühlen. Der besonders große Bedarf dieser Kinder nach Halt gebenden, klaren und nachvollziehbaren grenzsetzenden Strukturen geht im Zuge dessen oft unter. Eltern und Kind schwanken zwischen wütenden Beschuldigungen und negativem Selbsterleben. Es kann in dieser Situation eine große Hilfe sein, Eltern in dieser Hinsicht zu beraten und ihnen dabei zu helfen, wieder anders mit ihrem Kind umzugehen. Dabei steht die Unterstützung strukturierender und Halt gebender Funktionen, wie auch einer fördernden und zugewandten Beziehung im Vordergrund. Dies kann sowohl in der Einzeltherapie als auch über mittlerweile entwickelte Gruppenprogramme für Eltern umgesetzt werden.
Je nach Störungsbild und zusätzlicher Symptomatik bzw. Komorbidität müssen entsprechende therapeutische Angebote eingerichtet werden. Verhaltenstherapeutische Interventionen arbeiten vor allem mit Selbstinstruktions- und Selbstmanagementtrainings, wobei sie meist parallel sehr stark auf Interventionen in der Familie und in der Schule setzen. Die Einbeziehung der Eltern in diese Behandlung soll die Generalisierung auf die häusliche Situation unterstützen. Generell wird als Problem verhaltenstherapeutischer Interventionen angegeben, dass die Übertragbarkeit der in der Therapiesituation erlernten Verhaltensweisen in die Alltagsrealität oft unzureichend funktioniert. Daher haben sich in den letzten Jahren die Hoffnungen auf sogenannte Sommercamps gerichtet, bei denen Kinder in quasi natürlicher Umgebung lernen können, sich anders zu verhalten. Als Vorteil wird insbesondere auch angesehen, dass sie in einer Gruppe von Kindern sind, die ähnliche Probleme haben und sich insofern einmal nicht als Außenseiter fühlen müssen.
Familientherapeutische Interventionen haben primär sehr stark die familiäre Interaktion und die Funktion des auffälligen Verhaltens im familiären oder weiteren sozialen System im Auge und legen einen Schwerpunkt insbesondere auf Funktionalität und Dysfunktionalität der damit verknüpften Beziehungsgestaltung. Sie legen ihr Augenmerk daher naturgemäß vor allem auch auf die sekundären Verwerfungen in der familiären Kommunikation.
Psychoanalytisch orientierte Therapien setzen vor allem an der inneren Konfliktdynamik des Kindes an und arbeiten mit dem Kind und der Familie an einer Stabilisierung „väterlich“ grenzsetzender Strukturen, die einen sicheren Rahmen für die Entwicklung des Kindes bieten. Sie verstehen die Unruhe und Aufmerksamkeitsstörung auch vor dem Hintergrund bedrohlicher, nicht verarbeiteter und daher abgewehrter Ängste und Konflikte, als körperlichen Ausdruck der inneren Beunruhigung. Sie eignen sich besonders für die Bearbeitung der häufig mit einer ADHS einhergehenden Selbstwertproblematik, die unter Umständen mithilfe narzisstischer Größenfantasien abgewehrt wird, und bei der Behandlung komorbider emotionaler Störungen. Sie zielen auf die Stärkung und Entwicklung selbstregulativer Funktionen und affektiver Wahrnehmungs-, Steuerungs- und Verarbeitungskapazitäten anstelle einer motorischen Abfuhr der Affekte und damit auf eine bessere psychische Integration. Ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Primärsymptomatik Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität wird kontrovers diskutiert. Schwere Fälle können von einer Kombination mit einer medikamentösen Behandlung profitieren, diese beeinträchtigt aber möglicherweise die Phantasietätigkeit des Kindes, die für die Entwicklung innerer konfliktlösender Fähigkeiten wichtig erscheint.
Schließlich wird man bei häufig mit ADHS verknüpften Teilleistungsstörungen, etwa im motorischen Bereich oder in Form vorwiegend sprachlicher Teilleistungsstörungen, abzuwägen haben, ob nicht zunächst eine Förderung und Stabilisierung in diesem Bereich, etwa durch Ergotherapie, krankengymnastische Übungsbehandlung oder spezifische Lernförderung schon eine gewisse Entlastung mit sich bringen kann. Zu warnen ist vor dem Missverstehen multimodaler Therapien im Sinne dessen, dass jeder Tag der Woche mit einer anderen Form der Therapie ausgefüllt werde.
Abschließend sei noch einmal darauf hingewiesen, dass eine umfassende Diagnostik zwar eine sehr hohe Expertise erfordert und einen außerordentlich hohen Aufwand mit sich bringt, dass aber andererseits nur so eine adäquate Einschätzung der häufig komplexen Problematik mit all ihren Facetten möglich ist und der Komplexität der Störung entsprechend eine angemessene Therapie geplant und eingeleitet werden kann. Eine rasche und alleinige Verordnung von Methylphenidat, gar auf der Grundlage der Angaben der Eltern, dass das Kind hypermotorisch sei und sich nicht konzentrieren könne, sozusagen ex juvantibus, ist heutzutage als obsolet anzusehen. Abgesehen davon wird man damit nicht nur den Standards heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse und möglicher therapeutischer Interventionen nicht gerecht, sondern lässt auch die betroffenen Familien und ihre Kinder mit ihrer Problematik im Grunde allein, indem man das Problem sozusagen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert: ein Transmitterproblem und dessen medikamentöse Beeinflussung. Die Kinder und ihre Familien haben ein Recht darauf, von uns Experten umfassend beraten und behandelt zu werden und sie sind in der Regel sehr froh darüber, wenn man sie in all ihren Problemen, auch den familiären und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten, ernst nimmt, berät und ihnen Hilfestellung gibt, anders mit ihrer belasteten und belastenden Situation umzugehen.
Michael Günter in Kinder- und Jugendmedizin 1/2008
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