Montag, 2. April 2007

Positive Psychologie – Eine Frage des Charakters



Forscher entschlüsseln, wie Menschen ihre persönlichen Stärken für ein erfolgreiches und glückliches Leben nutzen können

Die Kommune ist für den Alt-68er Rainer Langhans Quell des Glücks. Zumindest hofft dies der Mann mit dem griesgrämigen Gesicht. Anlässlich der medialen Wiedervereinigung mit Uschi Obermaier bei „Beckmann“, begründete der 66-Jährige sein „anstrengendes“ Leben im Harem mit dem Hinweis: „Wenn man glücklich werden will, muss man was dafür tun.“ Den abschätzigen Blick der Geliebten aus Sponti-Tagen und den bissigen Einwand „Aber ihr wollt schon lange glücklich werden“ konterte der Kommunarde eisig: „Das ist nicht so einfach.“

Die Sehnsucht und Suche nach dem Glück beschäftigte Philosophen seit Anbeginn der europäischen Geistesgeschichte. Griechische Denker entwickelten im Wesentlichen zwei Theorien, die noch heute Bestand haben: Aristippos von Kyrene (435-366 v. Chr.) und Epikur (341-271 v. Chr.) begründeten den Hedonismus. Demnach liegt das Seelenheil in der Maximierung von Lust und Genuss und der Minimierung von Schmerz und Leid. Aristoteles (384-322 v. Chr.) befand das Lustprinzip als vulgär. Seinem Konzept der „Eudaimonia“ folgend, gilt es, ein ehrenhaftes Leben zu führen, das einem höheren Ziel, dem Gemeinwohl, dient.

Knapp zweieinhalbtausend Jahre später postulieren die Protagonisten der Positiven Psychologie nun einen dritten Weg zum Glück, der über die Kultivierung des „guten Charakters“ führt. „Wer seine Wesensmerkmale kennt und seine Stärken ausbaut, ist glücklicher“, konstatiert der österreichische Persönlichkeitspsychologe Willibald Ruch. Der 50-Jährige erforscht an der Universität Zürich im engen Zusammenspiel mit den US-Pionieren der Positiven Psychologie, Martin Seligman und Chris Peterson, den Zusammenhang zwischen Charakterstärken und Lebenszufriedenheit. Er ist überzeugt: „Die Verwirklichung unserer seelischen Potenziale befriedigt uns nachhaltig und bietet zudem den besten Schutz gegen psychische Erkrankungen.“

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Entstehung 
Der Begriff „Positive Psychology“ wurde 1954 von Abraham Maslow geprägt.[3] Die Positive Psychologie knüpft mit ihrer Sichtweise an Ideen der Humanistischen Psychologie an. Viele ihrer Aspekte sind bereits in der ressourcenorientierten Psychotherapie zu finden. Der Blick auf die positiven Seiten der menschlichen Existenz ist in der Geschichte der wissenschaftlichen Psychologie nicht neu, jedoch das Bemühen um wissenschaftliche Fundierung auf breiter Basis. Im Jahr 1998 gewann der Begriff „Positive Psychology“ erneut an Popularität, als der US-amerikanische Psychologe Martin Seligman das Konzept der Positiven Psychologie aufgriff und als Thema für seine Amtszeit als Präsident der American Psychological Association wählte.[4]
Schwerpunkte 
Im US-amerikanischen und angelsächsischen Raum spielen Charakterstärken bzw. Tugenden (virtues) eine bedeutende Rolle in der Forschung zur Positiven Psychologie. Christopher Peterson und Martin Seligman[5] unterscheiden sechs Tugenden, denen insgesamt 24 Charakterstärken zugeordnet sind:
  • Weisheit und Wissen (kognitive Stärken): Kreativität, Neugier, Aufgeschlossenheit, Lernfreude, Perspektive
  • Courage (emotionale Stärken): Tapferkeit, Beharrlichkeit, Integrität, Vitalität
  • Menschlichkeit (interpersonale Stärken): Liebe, Freundlichkeit, soziale Intelligenz
  • Gerechtigkeit (zivile Stärken): soziale Verantwortung, Fairness, Führungsstärke
  • Mäßigung (Stärken, die gegen Exzesse schützen): Vergeben und Mitleid, Demut und Bescheidenheit, Besonnenheit, Selbstregulation
  • Transzendenz (spirituelle Stärken, die mit Bedeutsamkeit zu tun haben): Wertschätzung von Schönheit und Exzellenz, Dankbarkeit, Hoffnung, Humor, Spiritualität.
Park, Peterson und Seligman führten zahlreiche empirische Studien in Verbindung mit der Identifikation menschlicher Charakterstärken durch.[6][7][8] Auch in der kontinental-europäischen Forschung zur Positiven Psychologie im Bildungskontext spielen Kernqualitäten eine wichtige Rolle, beispielsweise in Untersuchungen zur Förderung der persönlichen Fähigkeiten von Menschen durch positive Aktivitäten.[9]
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Positive Psychologie, Wikipedia, abgerufen am 25.05.2020]
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»Jeder Mensch ist ein Individuum. Die Psychotherapie sollte deshalb so definiert werden, dass sie der Einzigartigkeit der Bedürfnisse eines Individuums gerecht wird, statt den Menschen so zurechtzustutzen, dass er in das Prokrustesbett einer hypothetischen Theorie vom menschlichen Verhalten passt.« 
[Erickson, 1979] 
mehr:
- Positive Psychologie – Eine Frage des Charakters (Petra Hollweg, Silvia Sanides, Focus, 02.04.2007)
siehe auch:
Mit Positiver Psychologie auf dem DGSL-Kongress (Albert Glossner, abb Seminare, 08.11.2017)
Positive Psychologie: Grundlagen, Geschichte, Elemente, Zukunft (Michaela Brohm-Badry, Benjamin Berend, Universität Trier, November 2017 – PDF)
Ich und die Anderen Heule nicht, handle! (Michaela Schießl, Spiegel21.04.2009)
Ressourcen entdecken – Stärken entwickeln – Die Ziele der Positiven Psychologie (Lisa Laurenz, Deutschlandfunk – Studiozeit, 12.01.2006 – PDF)
Der Glücks-Faktor: Warum Optimisten länger leben (Martin E.P. Seligman, Bastei-Lübbe, 2009 – GoogleBooks)
- Positive Psychologie im Klassenzimmer (iskopress, 2004 – PDF – Leseprobe)




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Donnerstag, 22. März 2007

Die Macht der Mütter

Menschen sind weit mehr als das Ebenbild ihrer Gene. Schon kurz nach der Befruchtung beginnt der Körper der Mutter das Kind zu programmieren.

Auf dem Ultraschallbild erscheint nur ein walnussgroßer pulsierender Fleck. Aber für Jana May beginnt in diesem Moment einer der spannendsten Abschnitte ihres Lebens: Sie ist zum ersten Mal schwanger. „Es fühlt sich an, als würden Blasen im Wasser aufsteigen“, sagt sie, als sich das Baby das erste Mal bewegt.

Schon bald rebelliert das Kind, wenn sich die junge Frau in lauter Umgebung aufhält. Und es kommt nach kurzer Zeit zur Ruhe, wenn abends die leise Musik der Spieluhr erklingt. „Dass das Kind schon vor der Geburt so viel wahrnimmt, hätte ich nie gedacht „, meint Jana kopfschüttelnd.

Der innige Kontakt des Fötus mit Mutter und Umwelt sorgt für einen einmaligen Vorgang im Leben eines Menschen: „Der unreife Organismus lernt in dieser hochsensiblen Phase von der Mutter, was normal ist. Gehirn, Hormonsysteme und Gene werden auf Mama geeicht“, erklärt Andreas Plagemann. Diesen Prozess der „fetalen Programmierung“ – oder auch „vorgeburtlichen Prägung“ – erforscht der Mediziner von der Klinik für Geburtsmedizin der Berliner Charité seit einigen Jahren.

Geht die Prägung in die falsche Richtung, hat das Kind daran unter Umständen lebenslang zu leiden. Übergewicht, Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Allergien und Depressionen sind dann wortwörtlich programmiert.

mehr:
- Die Macht der Mütter (Susanne Donner, Wissenschaft.de, 02.03.2007)
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Donnerstag, 8. März 2007

Armer Robbie!

Robbie Williams hat die Klinik, in der er sich wegen seiner Tablettensucht aufhielt, gegen den Rat der Ärzte schon nach drei statt nach vier Wochen verlassen. Seine Mutter, die selbst Drogenberaterin ist, »wird ihn unterstützen«, las ich heute in der HAZ. Jetzt braucht man nur noch eins und eins zusammenzählen.

Im Video zu »Rock DJ« reißt sich Robbie lachend alles vom Leib, was man sich »vom Leib reißen« kann …


… und steht schließlich als fröhlich tanzendes Skelett da.



Robbie Williams - Rock DJ {4:26}

Hochgeladen am 07.01.2011
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Einen der auf Yahoo hinterlassenen Kommentare will ich nicht vorenthalten:

»I say we vote that that put more sexy guys flaunting their bodies around on videos... feed us hungry eyed women.«

Everything you want, baby…


Im Internet gibt es einige nachdenkliche Kommentare, u.a. bei www.theomag.de und bei Jungle World. Die Tendenz dieser Deutungen bezieht sich auf den Kontext Musikindustrie. Wenn wir den Kontext auf seine Drogenprobleme und die liebevolle Nachbetreuung durch seine Mutter verschieben, ändert sich auch die »Be-Deutung«. Aus einem Entertainer, der für seinen Erfolg bezahlen muß, wird ein Junge, der hinter der Maske des fröhlichen Lächelns verzweifelt gleichzeitig versucht, etwas loszuwerden und etwas zu bekommen. Dieser Versuch (man denke an Harald Juhnke) kann nur kurzfristig entlasten und muß langfristig scheitern. Ich lade dazu ein, darüber zu phantasieren, was Robbie da wohl loswerden will und nach was er dürstet und warum.

Robbie Williams - The Making of "Rock DJ" {6:49}

Hochgeladen am 09.05.2009
How Robbie Williams became a skinless man for his rock video "Rock DJ."

Bert Hellinger, der Familienaufstellungs-Guru, haut vorschlaghammerartig ab und zu Sätze raus wie diesen: »Jemand wird süchtig, wenn ihm die Mutter gesagt hat: Was vom Vater kommt, taugt nichts. Nimm nur von mir. Dann rächt sich das Kind an der Mutter und nimmt so viel von ihr, dass es ihm schadet. Die Sucht ist also die Rache des Kindes an seiner Mutter, weil sie verhindert, vom Vater zu nehmen.« (gefunden bei »Die Psychoszene hat einen neuen Star« im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt vom 6.10.2000 auf »mitglied.lycos.de/ueberlebende«) Abgesehen davon, daß seine rabiaten Aufstellungspräsentationen wohl häufig mehr schaden als nutzen und der Absolutheitsanspruch seiner Realitätsbeschreibungen mit äußerster Vorsicht zu genießen ist (man führe sich den eben erwähnten Artikel ruhig zu Gemüte), steckt in dieser Äußerung über die Sucht meiner Meinung nach einiges an Wahrheit. (Ich möchte allerdings darauf hinweisen, daß sich das Kind meiner Meinung nach nicht an der Mutter rächt, dazu ist es nicht souverän genug.) Wenn wir Robbie Williams’ Drogenprobleme unter diesem Aspekt betrachten, bekommen wir eine Ahnung davon, was sich Robbie da vom Leib reißt. Und wenn wir uns vergegenwärtigen, wer ihn nach seinem Klinikaufenthalt so liebevoll betreut, läuft es einem kalt den Rücken runter.

Unter diesem Aspekt wird deutlich, wie zumindest ein Teil des Erfolgs von Robbie (»beliebtester Schwiegersohn«) zustandekommt: Wir erleben einen Entertainer, der fröhlich um sein Leben singt, dessen verzweifelter Versuch um eine stabile Perspektive im Leben unsere eigene Verzweiflung an unserer Existenz künstlerisch überhöht und damit aushaltbarer macht.


»Was ist der Unterschied zwischen Piranhas und klammernden Müttern?
Der Piranha läßt mal los.« (Dr. Mathias Hirsch, Psychotherapeut in der Bruker-Klinik Lahnhöhe bei Lahnstein)

In diesem Kontext ein Zitat aus Erich Neumanns Buch »Ursprungsgeschichte des Bewußtseins« (Kapitel 2, Die große Mutter):

Die tödliche Spannung zwischen den orgiastischen Festen, in denen der Jüngling als Phallus die zentrale Rolle spielt, und der nachfolgenden rituellen Kastration und Tötung bestimmt archetypisch die Situation des Jünglings-Ich unter der Dominanz der Großen Mutter. Diese archetypische Situation ist sowohl kulturgeschichtlich aufzuweisen, wie entwicklungsgeschichtlich von der psychologischen Geschichte des Ich, aus zu verstehen. Die Beziehung des Sohngeliebten zur Großen Mutter ist eine archetypisch wirksame Situation, deren Überwindung auch heute noch die Voraussetzung ist für eine Weiterentwicklung des Ich und des Bewußtseins.Die blütenhaften Jünglingsknaben sind noch nicht stark genug, sich gegen die Übermacht der Großen Mutter wehren oder gar sie überwinden zu können. Noch sind sie mehr Geliebte als Liebende. Denn die Göttin ist die Begehrende, die sich die Knaben wählt und ihre Sexualität weckt. Die Aktivität geht niemals von ihnen aus, sondern sie sind Opfer, blütenhaft hinsterbende Geliebte. Der Jüngling dieser Stufe hat noch keine Männlichkeit, kein Bewußtsein, kein oberes geistiges Ich. Er ist narzißtisch identisch mit seinem männlichen Körper und dem, was ihn kennzeichnet, dem Phallus. Nicht nur, daß die Muttergöttin ihn nur als Phallus liebt und, kastrierend, sich seines Phallus bemächtigt zu ihrer Fruchtbarkeit, auch der Jüngling selber ist noch identisch mit dem Phallus, sein Schicksal ist Phallusschicksal.Die Jünglinge, ichschwach und ohne Persönlichkeit, besitzen nur ein kollektives Schicksal, kein eigenes, sie sind noch keine Individuen und haben so auch kein individuelles, sondern nur ein rituelles Dasein. Und auch die Muttergöttin ist nicht auf ein Individuum bezogen, sondern auf den Jüngling als eine archetypische Gestalt.

Und jetzt wissen wir ungefähr, wo sich Robbie aufhält, gegen was er – vergeblich – kämpft und was er zu betäuben versucht. Und wir können gespannt sein, wie es mit ihm weitergeht: »I hope I’m getting old before I die.«

Ich empfehle das Buch von Rafael Yglesias »Dr. Nerudas Kampf gegen das Böse«. Hier geht es nämlich nicht nur um Klammern…

siehe auch:

- Auszüge aus Klaus W. Bilitza's "Psychodynamik der Sucht" (irwish.de)

- Psychodynamische und verhaltenstherapeutische Störungstheorien und -modelle der Sucht (PDF, Uni Saarland)
- Psychoanalyse der Sucht Eine kritische Bilanz (PDF, Hans-Adolf Hildebrand)
- Die historische Entwicklung der psychoanalytischen Theorien der Sucht (PDF, Hans-Christian Weidlinger, SAP-Zeitung Nr. 22, September 2012, gefunden bei 
 Psychoanalyse Salzburg)

Es wäre überlegenswert, ob Robbie Williams und Bob Dylan über die gleiche Sache singen (»I gave you my heart…«):

E.Clapton - B.Dylan - Don't Think Twice, It's All Right - LIVE {6:02} Text

Veröffentlicht am 13.03.2014 
E.Clapton - B.Dylan - Don't Think Twice, It's All Right - LIVE



aktualisiert am 23.10.2014