Das 20. Jahrhundert hat uns – trotz und neben der Inhumanitäten totalitärer Ideologien und zweier Weltkriege – kulturelle Errungenschaften hinterlassen, von denen wir zukünftig zehren und die wir günstigenfalls weiter entwickeln werden. Dazu zählt auch der Personalismus, der durch Emmanuel Mounier (1905-1950) mit dessen 1932 gegründetem Journal Esprit, das er als „personalistisches Blatt im Kampf gegen die etablierte Unordnung“ verstand, bekannt wurde. Sein personalistisches Manifest (1936) war jenseits der Ismen (Sozialismus, Kommunismus, Kapitalismus, Nationalismus, Liberalismus) angesiedelt und stellte das Individuum (die Person) ins Zentrum seiner Überlegungen. Faschismus, Bolschewismus, der Zweite Weltkrieg und der darauf folgende Kalte Krieg ließ kulturelle Innovationen des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit und verkümmern – so auch den Personalismus. Einer von wenigen, der die personalistische Tradition aufgegriffen, modifiziert und ins 21. Jahrhundert transponiert hat, ist Josef Rattner.
Rattner wurde am 4. April 1928 in Wien geboren. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 ging seine Familie in die Schweiz, wo sie politisches Asyl erhielt. Ab 1947 studierte Rattner in Zürich Philosophie, Psychologie und Germanistik; sein Hang zum Generalisten- statt zum Spezialistentum war für diese Studienwahl mitentscheidend. Er hörte Philosophie bei Karl Barth und Wilhelm Keller; Emil Staiger, damals Papst der deutschsprachigen Literaturwissenschaft, war sein Lehrer in Germanistik. Seine Studien schloss er 1952 mit einer Dissertation bei Wilhelm Keller über Das Menschenbild in der Philosophie Martin Heideggers ab.
Seine psychotherapeutische, individualpsychologische Ausbildung und Lehranalyse erfuhr Rattner bei Friedrich Liebling. Liebling stammte aus Wien, wo er Alfred Adler persönlich erlebt hatte, und war 1938 in die Schweiz emigriert. Zusammen mit Liebling entwickelte Rattner in Zürich das Modell der Großgruppentherapie. Dabei kamen fünfzig und mehr Patienten und Zuhörer zusammen, die unter der Anleitung von Liebling und Rattner ihre persönlichen Probleme vortrugen.
Parallel zu seiner psychotherapeutischen Tätigkeit studierte Rattner von 1957 bis 1963 in Zürich noch Medizin. Dieses Studium schloss er mit einer preisgekrönten Promotion über Das Wesen der schizophrenen Reaktion ab. Sein Doktorvater war Manfred Bleuler, der damalige Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli (und Sohn des berühmten Psychiaters Eugen Bleuler, der als erster für die Erkrankung der Dementia praecox den Begriff Schizophrenie verwendet hatte).
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- Gentleman im kant'schen Sinne (Gerhard Danzer, Der Freitag, 04.08.2018)