Zwischen der Operationalisierung psychodynamischer Diagnostik, Lacan und Jaspers – zum psychodynamischen Verstehen in der Postmoderne
Die enorme Entwicklung psychodynamischer Theoriebildung in mehr als 100 Jahren konfrontiert Therapeuten mit vielerlei Theorieausrichtungen. Was zu Zeiten Freuds als offener, tendenzloser psychoanalytischer Prozess begann, der als Ein-Personen-Psychologie in Erscheinung trat, ist in dieser Form in der heutigen Praxis nur noch selten anzutreffen. Über die aktive Haltung, die Nutzung des Übertragungsgeschehens, die stärkere Einbeziehung der Familienmitglieder, bis hin zur relationalen, intersubjektiven Perspektive hat die Entwicklung der psychodynamischen Psychotherapie Modifikationen durchlaufen und sich verschiedenste Konzepte in unterschiedlicher Ausprägung zu eigen gemacht. Es stellt sich die Frage, wie angesichts zunehmender Virtualisierung der Lebenswelt psychodynamische Psychotherapie künftig zu konzeptualisieren sein wird.
Fokussierung auf Kernthemen
Psychodynamisch arbeitende Therapeuten sehen sich einer Vielzahl von Ansätzen gegenüber, die, um effektiv behandeln zu können, in ein konsistentes Konzept zu bringen sind. Die Operationalisierung psychodynamischer Diagnostik (OPD) (1) stellt hier eine Verdichtung konflikt-, beziehungs- und strukturbezogenen Arbeitens dar, die in Diagnostik und Behandlungstechnik auf relevante Kernthemen des Patienten fokussiert. Das übungsintensive Instrument, das bislang noch vorwiegend im stationären Rahmen genutzt wird, findet nun vermehrt Eingang in das Denken und die Technik psychoanalytischer und tiefenpsychologisch arbeitender Therapeuten.
Gleichzeitig entsteht nahezu automatisch die Schwierigkeit, das Hören mit dem dritten Ohr (2) beizubehalten und den notwendigen offenen Verstehensprozess im Dreieck Symptom, Patient und Behandler nicht vorschnell Effizienzkriterien zu opfern. Um erfolgreich zu behandeln, erscheint es in der Erschließung psychodynamisch relevanter Themen des Patienten wichtig, einerseits nicht zu deduktiv-theoriegeleitet, aber ebenso nicht zu offen induktiv-persongeleitet vorzugehen, da bei ersterem eine zu rasche Engführung der Themen des Patienten zur Verschleierung weiterer bedeutsamer Themen führen kann, bei letzterem die Gefahr der Ausuferung der Themen ins Unendliche sowie die Gefahr der psychischen Dekompensation des Patienten besteht.
Die derzeitige Tendenz zu einer Verrationalisierung des Psychischen (3), die der vorherrschenden gesellschaftlichen Kollektivfantasie über rasche Lösungen entspricht, läuft dabei Gefahr, Psychotherapie auf Abwehrniveau zu betreiben. Das Psychische in dessen Irrationalität ist schwer zu erfassen; es bleibt für den Behandler immer vorläufig, entzieht sich endgültigen Diagnosen und gebietet, nicht voreilig zu handeln. Der Mensch als Animal rationale ist eben auch ein Homo irrationalis. Diese Irrationalität zu durchdringen, ist Anliegen psychodynamischer Therapie. Die Unmöglichkeit eines letzten Verstehens trifft zwar auf jedwede Taxonomie des Psychischen zu; gerade aber das psychodynamische Verstehen ist in besonderer Weise der Lehre des Unbewussten verpflichtet, will es nicht zu einer Psychologie ohne Bewusstsein, also zu einer Sozialtechnologie (4) werden.
Die Abspaltung der Individualpsychologie Alfred Adlers 1911 ist wohl einem solchen Prozess geschuldet. In jenem Fall wurde die soziale Realität aus dem innerpsychischen Gefüge des Patienten herausgelöst; als Machttopos fand sie später Eingang in die systemisch-konstruktivistische Therapie (5), in der – meist ohne den Rekurs auf Adler – das Beziehungsgefüge im familialen System oft pragmatisch dem Aspekt der Machtverhältnisse untergeordnet wird. Dies erscheint nicht ganz falsch, trifft wohl aber nicht den Wesenskern des Menschen als Homo relatens (6). Fürstenau (7) hingegen hat schon früh mit seinem Amalgam aus psychodynamischem Verstehen und konstruktivistischem, doch person-orientiertem Intervenieren neue Wege beschritten, die das psychodynamische Verstehen vor dem Hintergrund selektiver Interventionen nutzbar machen. Die Frage, wie und wie weit psychodynamisches Verstehen zu gehen hat, bleibt noch offen.
mehr:
- Psychodynamische Psychotherapie: Die Irrationalität durchdringen (Götz Egloff, Deutsches Ärzteblatt PP 11, Ausgabe August 2012, Seite 358
)
Donnerstag, 16. August 2012
Sonntag, 12. August 2012
Eine Frage des Vertrauens
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Ein gläubiger Mensch rettet sich während einer riesigen Überschwemmung auf das Dach seines Hauses. Die Fluten steigen und steigen. Eine Rettungsmannschaft kommt in einem Boot vorbei und bietet an, ihn mitzunehmen. „Nein, danke“, sagt er, „Gott wird mich retten.“ Die Nacht bricht an, und das Wasser steigt weiter. Der Mann klettert auf den Schornstein. Wieder kommt ein Boot vorbei, und die Helfer rufen: „Steig ein!“ – „Nein, danke“, erwidert der Mann nur. „Gott wird mich retten.“ Schließlich kommt ein Hubschrauber. Die Besatzung sieht ihn im Scheinwerferlicht auf dem Schornstein sitzen, das Wasser bis zum Kinn. „Nehmen Sie die Strickleiter“, ruft einer der Männer. „Nein, danke“, antwortet der Mann, „Gott wird mich retten.“
Das Wasser steigt weiter, und der Mann ertrinkt. Als er in den Himmel kommt, beschwert er sich bei Gott: „Mein Leben lang habe ich treu an Dich geglaubt. Warum hast Du mich nicht gerettet?“ Gott sieht ihn erstaunt an: „Ich habe dir zwei Boote und einen Hubschrauber geschickt. Worauf hast Du gewartet?“
Da hat dieser „gläubige Mensch“ wohl etwas kräftig missverstanden: Offensichtlich bedeutet Glauben nicht, dass man seinen Verstand abschalten muss! Aber was bedeutet Glauben? Was macht einen gläubigen Menschen aus? In der Bibel gibt es viele Geschichten über Menschen, die glauben, die fest auf Gott vertrauen. Zum Beispiel Hiob.
mehr:
- Eine Frage des Vertrauens – Was gläubige Menschen ausmacht (Theresia Kreienhorst, Deutschlandfunk Kultur, 12.08.2012)
siehe auch:
- Vertrauen aufbauen: 5 Dos und 5 Don’ts für mehr Vertrauen (lernen.net, undatiert, abgerufen am 01.06.2020)
- Die Annahme des Selbst (Ernst Holzmann, ernstholzmann.blog, 10.11.2012)
- Wer nicht vertraut, findet kein Vertrauen (Rolf Merkle, Psychotipps, undatiert)
siehe auch:
- Vertrauen (Wertesysteme, undatiert, abgerufen am 01.06.2020)
- Vertrauen zu genießen ist ein größeres Kompliment als geliebt zu werden (Ernst Holzmann, ernstholzmann.blog, 12.01.2017)
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