Meditation
Wundersames Meditieren
Von Martina Lenzen-Schulte
06. Juni 2005 Wer zweimal zwanzig Minuten am
Tag meditiert, scheint fein heraus zu sein. Er verringert sein Risiko, einem
Herz-Kreislauf-Leiden zu erliegen, um 30 Prozent, an Krebs zu sterben, um 49
Prozent und die Sterberate überhaupt um 23 Prozent – gemessen an anderen
Maßnahmen. Mit derart hoffnungsvollen Aussagen wartete unlängst eine
Veröffentlichung aus den Vereinigten Staaten auf, die über einschlägige
Presseagenturen Verbreitung fand.
Die heilsame Wirkung wurde einer speziellen Entspannungstechnik nachgesagt, der Transzendentalen Meditation. Sie leitet sich von alten indischen Yoga-Traditionen ab und soll in einen Bewußtseinszustand versetzen, der den von Schlafen, Wachen und Träumen übersteigt und schlicht der „Vierte Zustand” oder der „Zustand des reinen Bewußtseins” genannt wird. Neben den vielfältigen beruhigenden Effekten wird dieser Meditation vor allem eine blutdrucksenkende Wirkung zugesprochen. Dies gilt in der jetzt vorgelegten Analyse als Haupterklärung für den spektakulären lebensverlängernden Einfluß.
Lebensverlängernde Wirkung nicht bewiesen
Wer im Verlauf einer herkömmlichen Blutdruckbehandlung mühevoll um
eine Änderung krankmachender Lebensstile – zuwenig Bewegung und zuviel Gewicht
– oder um eine optimale Einstellung der Medikamente ringt, dürfte neidvoll auf
eine derart leicht erzielbare Erfolgsbilanz schauen. Daß die Arbeit in einer
renommierten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, dem „American Journal of
Cardiology” (Bd.95, S.1060), und prestigeträchtige Einrichtungen wie die
Harvard Medical School beteiligt sind, weist auf Seriosität hin. Wer indes
genauer nachfragt, wird immer skeptischer. Augenfällig ist schon beim ersten
Lesen, daß die werbewirksam verbreitete Verringerung der Krebstodesrate von
fast 50 Prozent einem statistischen Härtetest nicht standhält. Es könnte sich
um einen Zufallsbefund handeln, was auch gar nicht abgestritten wird.
Schon die Frage, gegenüber welcher Vergleichsgruppe denn die
besseren Überlebensraten erzielt wurden, führt in weitere methodische Untiefen.
Zwei alte Studien – eine an 77 weißen Amerikanern aus einem Altersheim in der
Gegend von Boston, eine zweite an 125 schwarzen Amerikanern aus Kalifornien – wurden
hier miteinander verrechnet. Die Transzendentale Meditation wurde dabei jeweils
unterschiedlichen Verfahren gegenübergestellt, etwa mentaler Relaxation,
progressiver Muskelrelaxation, einer Unterweisung in gesundheitsförderndem
Verhalten sowie herkömmlicher, zum Teil auch medikamentöser Behandlung. Unklar
bleibt, über wie viele Jahre die Probanden die Meditation und die anderen Maßnahmen
überhaupt durchhielten.
Verschweigen von Nebenwirkungen
Als Mißachtung üblicher Qualitätsstandards muß die Tatsache
bewertet werden, daß bei einer der beiden Studien die Gruppe der meditierenden
Patienten ein statistisch ins Gewicht fallendes niedrigeres Durchschnittsalter
aufwies als die anderen Vergleichsgruppen, dies aber nicht erwähnt wird. Denn
allein in dieser Unterstudie zeigten sich die Überlebensvorteile. Schon ein
wissenschaftlicher Laie würde erwarten, daß in einer von vorneherein jüngeren Gruppe
bis zum Endpunkt der Untersuchung mehr Probanden überleben als von den älteren,
zum Vergleich herangezogenen Kontrollpersonen. In der zweiten der beiden
vermischten Studien hat die Transzendentale Meditation sogar einen deutlich
lebensverkürzenden Effekt, wenn man sie mit einer herkömmlichen Behandlung
vergleicht.
Das sind nur einige der allfälligen Ungereimtheiten, die dazu
führen, daß die Veröffentlichung in eine Reihe mit anderen Untersuchungen zur
Transzendentalen Meditation gestellt werden muß: der postulierte Vorteil ist
keinesfalls bewiesen. Peter Canter und Edzard Ernst, die an der Universität von
Exeter in England alternative Heilverfahren auf ihren Nutzen überprüfen, haben
das in einer umfangreichen Analyse aller verfügbaren Studien zur Transzendentalen
Meditation Ende des vergangenen Jahres im „Journal of Hypertension” (Bd.22,
S.2049) unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Sie verwiesen außerdem darauf,
daß in den Arbeiten jegliche Hinweise auf ungünstige Nebenwirkungen der
Meditation fehlen. Man weiß indes, daß schon bestehende psychische Labilitäten
durch meditative Techniken verschlimmert werden können, etwa Depressionen,
Ängste oder suizidale Gedanken.
Schulmedizinisch nicht vertretbar
Die Forscher aus Exeter rügten vor allen Dingen, daß die Studien
von Personen vorgenommen worden waren, an deren Unabhängigkeit und
Unvoreingenommenheit man zweifeln müsse. Ihre Mitgliedschaft und Nähe zu den
kommerziellen Zentren Transzendentaler Meditation, in denen das Verfahren gegen
Entgelt gelehrt wird, lege das jedenfalls nahe. Das brachte ihnen wiederum von
den Verteidigern der Meditationstechniken den Vorwurf ein, das Institut in
Exeter sei eine indirekt von der Pharmaindustrie bezahlte Einrichtung.
Die stichhaltige Widerlegung der methodischen Mängel dieser Studien
steht allerdings immer noch aus. Wenn mithin eindeutige Beweise für die
blutdrucksenkende Wirkung der Meditation fehlen, so sollte man bei der
werbewirksamen Wiedergabe solcher Meldungen an die gefährliche Suggestivwirkung
denken, die von den Berichten ausgeht. Allzu leicht könnten sich Patienten mit
Bluthochdruck von der zweifellos attraktiven Vorstellung verführen lassen, die
psychische Entspannung im Fernsehsessel würde ihr Leben ebenso verlängern wie
die körperliche Anspannung durch Sport und Bewegung.
Der Wunsch von Vertretern alternativer Heilverfahren, ihren
vermeintlichen oder tatsächlichen Erfolgen über eine Veröffentlichung in
renommierten medizinischen Zeitschriften die gebührende Reputation zu
verschaffen, ist verständlich und unübersehbar. Man wirbt einerseits damit,
eine unkonventionelle, natürliche Alternative zur Schulmedizin zu sein, will
anderseits aber auf deren allseits geschätztes Gütesiegel wissenschaftlicher
Evidenz nicht verzichten. Daß der Passierschein in ein Qualitätsblatt offenbar
so leicht zu bekommen ist, ist das eigentlich Beunruhigende. Bislang ist die
Annahme, daß in den besten medizinischen Fachzeitschriften nur einwandfreie
Nachrichten zu finden seien, noch ein erlernter Reflex. Er funktioniert bald nicht
mehr, wenn die Versuchsgruppe – die Leserschaft – nicht weiterhin mit den
richtigen Reizen stimuliert wird.
Text: F.A.Z., 07.06.2005, Nr. 129 / Seite 40
Bildmaterial: picture-alliance / dpa
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen