Wir nutzen unsere Wahlmöglichkeiten bloß, um ein vermeintlich optimales Leben zu führen, sagt Renata Salecl. Die Folgen: Unzufriedenheit und Schuldgefühle
Aus der Psychoanalyse wissen wir, dass sich der Mensch längst nicht immer für das entscheidet, was das Beste für ihn wäre. Stattdessen leiten uns unbewusste Mechanismen.
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Unser Leben ist viel weniger kontrollierbar, als wir uns das vorstellen. Eine Freundin, Psychotherapeutin aus London, erzählt mir oft von Frauen, die zu ihr kommen. Sie waren auf den besten Schulen, ernähren und kleiden sich gut, haben einen interessanten Job und einen netten Mann. Und sie fragen sich: Warum bin ich trotzdem nicht glücklich? Die Antwort ist: Weil es ein Irrglaube ist zu denken, dass am Ende einer Reihe richtiger Entscheidungen auch zwangsläufig das Glück steht.
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Wir sehen das Glück als etwas, auf das wir hinarbeiten können. Aber realistischerweise sind es nur Momente. Und die kommen oft, wenn wir sie am wenigsten erwarten, und nicht als Ergebnis eines Masterplans.
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Das ganze Leben ist zu einem Produkt geworden, das wir angeblich optimieren können, wenn wir uns nur richtig entscheiden. Werden wir Eltern, melden wir unsere Kinder zu unzähligen Aktivitäten an, in der Hoffnung, als Resultat das perfekte Kind zu bekommen. Das uns dann hoffentlich glücklich und zufrieden macht. Der Gipfel dieser Idee, alles bestimmen zu können, ist die Theorie des positiven Denkens. Sie besagt, dass glücklich wird, wer richtig denkt. Im Umkehrschluss heißt das: Unglück begründet sich in falschen Gedanken. So bringt man Menschen dazu, ständig in sich hineinzublicken, anstatt sich sozial und kritisch in die Gesellschaft einzubringen.
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Als Kinder hatten wir dadurch eine ganz intensive Freude am Konsum. Die Grenzen waren klar gesteckt und keiner überlegte, ob es an seinem eigenen Versagen liegen könnte, wenn er nichts hatte. Wir waren sehr kreativ und ich glaube, ich habe nie etwas mehr gewollt als die erste Jeans, die mir meine Mutter aus Italien mitbrachte. Dieses Verlangen und diese Freude werde ich nie vergessen.
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Die deutschen Philosophen von Kant bis Hegel schrieben: Das Subjekt kommt nur zur wahren Freiheit, wenn es seinen Geist diszipliniert. Hegel war der Meinung, dass Kinder Latein lernen müssen. Nicht weil sie es später bräuchten, sondern weil dieser Drill sie dazu befähigen würde, als Erwachsene mit der Freiheit umzugehen.
mehr:
Falsche Freiheit (Katrin Zeug, enorm 2/14)
Wenn der Elefant des Geistes mit dem Seil der Achtsamkeit rundum gebunden ist, verschwindet alle Furcht, und vollständiges Glück entsteht. Alle Feinde: all die Tiger, Löwen, Elefanten, Bären und Schlangen (unsere Emotionen) und alle Wächter der Höllen, die Dämonen und Schrecknisse, sind gebunden durch die Meisterung deines Geistes; indem dieser eine Geist gezähmt wird, sind sie alle unterworfen. Denn aus dem Geist entstehen alle Ängste und unendlich viele Sorgen...
AntwortenLöschenSogyal Rinpoche, Das tibetische Buch vom Leben und Sterben