Solche
ausgesprochenen unlauteren Kämpfe zwischen den Geschlechtern werden in dem
schaurig-schönen Langzeitvertrag namens Ehe mit großer Kunstfertigkeit
ausgetragen. Trotzdem erscheint mir in unserer gegenwärtigen Kultur die
Verpflichtung zu einer lebenslangen monogamen Verbindung noch als die
lohnendste Alternative. Sicher, ich möchte auch für die anderen Möglichkeiten
offen sein, die von den Sprechern und Sprecherinnen der sexuellen Revolution,
der Frauenbefreiung, des gemeinschaftlichen Lebens vorgeschlagen werden, aber
ich muß zugeben, daß es mir schwerfällt zu glauben, daß neue Lösungen nicht
neue Probleme aufwerfen werden. Ich sehe die lebenslange monogame Ehe als den
derzeit besten Schutz gegen Einsamkeit an, als den besten erreichbaren Rahmen,
um Kinder aufzuziehen, als den praktikabelsten Vertrag für gegenseitige Hilfe
und für Freiheit in einer Welt, die es dem Einzelnen sehr schwer macht, in ihr
zurecht zu kommen.
Natürlich ist die
Ehe auch einengend, frustrierend und zeitweilig sehr schmerzhaft. An dieser
Tatsache wird, glaube ich, deutlich, wie unglaublich schwer es ist, das Zentrum
seines eigenen Lebens mit einem anderen, völlig getrennten Individuum zu
teilen. Ich bin nicht einmal sicher, ob die Vorteile jemals die Schwierigkeiten
klar überwiegen. Aber mit der Ehe ist es so wie mit dem Geldverdienen, es hat
wenig Sinn, Soll und Haben nachzurechnen, um herauszufinden, ob man zufrieden
ist oder nicht, solange es keine neue Lösungsmöglichkeit gibt. Gewiß, man kann
(und manchmal ist es ratsam) eine neue Arbeit, einen neuen Gefährten suchen,
aber zur Zeit scheint der Entschluß, dauernd ohne Arbeit und allein zu bleiben,
größere Probleme zu erzeugen als er löst.
Viele der Leute,
die mich als Psychiater um Hilfe bitten, kommen, weil sie Schwierigkeiten in
der Ehe haben. Die Ironie dieser starrsinnigen Kämpfe liegt oft darin, daß
einer der Ehepartner sich beklagt, er müsse mit einem Menschen leben, der sich
auf eine Weise verhält, die er (oder sie) in der Zeit der Werbung höchst attraktiv
gefunden hat. Die Frau zum Beispiel, die einst froh war, einen solchen Partner
gefunden zu haben, fühlt sich nun enttäuscht und allein gelassen. Als sie ihm
zum erstenmal begegnete, war sie von seiner Beständigkeit, seiner
Selbstbeherrschung und Vernünftigkeit angezogen. Es war ebenso klar wie
erfreulich für sie, daß er nicht so leicht aus der Bahn zu werfen, ›objektiv‹
in seinen Ansichten und sehr, sehr praktisch war. Bei seiner wohlüberlegten
Distanziertheit konnte man offenbar darauf zählen, daß er sie vor ihrer
kopflosen Impulsivität schützen und darauf achten würde, daß sie nicht alles
durcheinanderbrachte und verdarb. Aber als was für eine schreckliche
Enttäuschung erwies er sich dann! Jetzt findet sie, daß er kalt, unnachgiebig
und schwerfällig ist; er ignoriert hartnäckig ihre Gefühle, und es macht
überhaupt keinen Spaß, in seiner Nähe zu sein.
Diese pejorative
Beschreibung von Unzulänglichkeiten, die einmal als Tugenden erschienen waren,
ist durchaus nicht auf die weibliche Kampfpartei beschränkt. Ihr Mann hat sich
einmal weise und glücklich geschätzt, eine Frau gefunden zu haben, die so
lebhaft und frei in ihren Gefühlen, so begeisterungsfähig, herzlich und
energiegeladen war. Jetzt hat er die Nase voll. Sie hat überhaupt keinen
praktischen Verstand, verlangt Unmögliches, mehr als irgendwer jemals geben
kann, und wird völlig irrational, wenn sie nicht bekommt, was sie haben will.
Er begegnet diesem Ansturm natürlich zunächst dadurch, daß er versucht,
›vernünftig‹ zu sein, und dann, indem er sich in anhaltendes, gedankenvolles
Schweigen zurückzieht. Er begreift nicht, daß seine Distanz sie nicht ruhig
macht, und sie kann nicht verstehen, daß er nicht auf ihre Einsamkeit reagiert,
die sie durch jammervolles Weinen ausdrückt oder indem sie schreit: »Du tust
nichts weiter, als dir deine blöden Ballspiele im Fernsehen anzusehen!« Jeder
will seinen Kopf durchsetzen, ohne sich dabei eine Blöße zu geben, aus Angst,
er könne als der Nachgebende erscheinen.
Ein Teil dessen, was die Leute in der Ehe suchen, ist ihre
eigene zweite Hälfte. Jeder von uns ist in gewisser Weise unvollständig; einige
Seiten sind überentwickelt, andere vernachlässigt. Was wir selbst nicht zu
haben glauben (zum Beispiel Aggressivität oder Güte, Spontaneität oder
Stabilität), suchen wir im anderen. Besonders extrem zeigt sich das in Ehen
zwischen Neurotikern, die ein so verdrehtes Bild von sich selbst haben, daß sie
sich Partner suchen, die Karikaturen vom anderen Ende des
Persönlichkeitsspektrums sind (etwa die schüchterne, gehemmte Frau, die sich
einen starken, super-abenteuerlichen Romanhelden von einem Mann aussucht, der
seinerseits ein Weibchen haben will, das viel zuviel Angst hat, um ihm
Schwierigkeiten machen zu können). Bis zu einem gewissen Grade heiraten wir
alle, um unsere eigenen Mängel auszugleichen. Als Kind kann sich niemand allein
gegen die Familie und gegen die Gemeinschaft stellen, und unter normalen
Umständen befindet er sich nicht in der Position, sich absetzen und sein Leben
anderswo aufbauen zu können. Um als Kinder zu überleben, mußten wir in uns all
das verstärken, was die, von denen wir abhingen, erfreute, und die
Verhaltensweisen verleugnen, die sie nicht akzeptieren konnten. Auf diese Weise
wachsen wir, einer mehr, einer weniger, in unproportionierte Gestaltungen
dessen hinein, was unser Leben als Mensch sein könnte. Was uns fehlt, suchen
wir in denen, die wir uns als Partner wählen, und bekämpfen es dann. Wir
heiraten den anderen, weil er (sie) anders ist als wir, und dann klagen wir:
»Warum kann er (sie) nicht mehr so wie ich sein?«
Wenn wir jemanden
heiraten, der uns ähnlich ist, mögen wohl andere Arten von Unheil daraus
entstehen. Zwei verzagte Seelen etwa würden ihre Vorsicht wechselseitig
potenzieren und bald überhaupt nicht mehr wagen, irgend etwas Neues auszuprobieren.
Ein abenteuerlustiges Paar mag durch eine Eskalation der Verwegenheit in eine
Spirale von Katastrophen geraten. Ob es uns paßt oder nicht, gerade die
Unterschiede zwischen Ehepartnern sind sowohl die Stärke einer guten Ehe als
auch das Risiko einer schlechten.
Wenn ich mit Paaren
arbeite, die solche Schwierigkeiten haben, weise ich auf diese Dinge hin und
frage beispielsweise den unternehmungslustigen Ehemann: »Was würde eigentlich
passieren, wenn Ihre Frau, jedesmal wenn Sie so einen impulsiven Phantasieflug
ausspinnen, sagen würde: ›Prima, mach mal!‹?« oder zu der vorsichtigen Frau:
»Wo würden Sie wohl hinkommen, wenn ihre Zweifel auf dieselben Zweifel in Ihrem
Mann stoßen würden, wenn Sie dann steckenblieben und nicht mehr angespornt würden
weiterzumachen, egal wie groß der Widerwille ist?«
Man kann sich die
Ursprünge dieser Kämpfe klarmachen, wenn man davon ausgeht, wie Kinder im
Umgang mit ihren Eltern ihre Identität anpassen. Was ich über die
Identifikation des kleinen Jungen mit seinen Eltern sagen werde, gilt genau so
für die entsprechende Persönlichkeit des Mädchens. Darüber hinaus ist es
offenbar keineswegs zwingend, daß sich ein Kind mit dem gleichgeschlechtlichen
Elternteil identifiziert.
Diese
Variationsmöglichkeiten vorausgesetzt, stellen wir uns nun einmal das stark
vereinfachte Beispiel eines Jungen vor, der sich mit einem distanzierten,
passiven, allzu beherrschten Vater identifiziert. Seine Mutter neigt zu
Aggressivität und dramatischen Gefühlsausbrüchen. Wenn der junge erwachsen ist,
wird er jemanden heiraten, der seiner aggressiven Mutter ähnelt, mit der er
sich nicht identifizieren konnte. Bald werden ihm genau die Qualitäten, die ihn
angezogen haben, als unterdrückend erscheinen, und er wird darauf bestehen, daß
sie mehr so wird wie sein passiver, distanzierter Vater, mit dem er sich
identifizierte. Falls sie aber auf seinen Wunsch einzugehen versucht, wird er
sich beklagen, daß sie sich zu wenig ändert oder zu spät oder irgendwie anders,
als er es sich vorgestellt hat. Ich habe mich immer gewundert, wieso es so
viele Eheschwierigkeiten gibt: jetzt, wo ich mehr über den Starrsinn weiß, mit
dem wir alle so gern unseren eigenen Kopf rücksichtslos durchzusetzen versuche,
bin ich eher erstaunt, daß wir bei unserer Suche nach Liebe so oft erfolgreich
sind.
aus Sheldon B. Kopp, Triffst
Du Buddha unterwegs…
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