Montag, 17. Dezember 2012

Kämpfe in der Ehe


Solche ausgesprochenen unlauteren Kämpfe zwischen den Geschlechtern werden in dem schaurig-schönen Langzeitvertrag namens Ehe mit großer Kunstfertigkeit ausgetragen. Trotzdem erscheint mir in unserer gegenwärtigen Kultur die Verpflichtung zu einer lebenslangen monogamen Verbindung noch als die lohnendste Alternative. Sicher, ich möchte auch für die anderen Möglichkeiten offen sein, die von den Sprechern und Sprecherinnen der sexuellen Revolution, der Frauenbefreiung, des gemeinschaftlichen Lebens vorgeschlagen werden, aber ich muß zugeben, daß es mir schwerfällt zu glauben, daß neue Lösungen nicht neue Probleme aufwerfen werden. Ich sehe die lebenslange monogame Ehe als den derzeit besten Schutz gegen Einsamkeit an, als den besten erreichbaren Rahmen, um Kinder aufzuziehen, als den praktikabelsten Vertrag für gegenseitige Hilfe und für Freiheit in einer Welt, die es dem Einzelnen sehr schwer macht, in ihr zurecht zu kommen.

Natürlich ist die Ehe auch einengend, frustrierend und zeitweilig sehr schmerzhaft. An dieser Tatsache wird, glaube ich, deutlich, wie unglaublich schwer es ist, das Zentrum seines eigenen Lebens mit einem anderen, völlig getrennten Individuum zu teilen. Ich bin nicht einmal sicher, ob die Vorteile jemals die Schwierigkeiten klar überwiegen. Aber mit der Ehe ist es so wie mit dem Geldverdienen, es hat wenig Sinn, Soll und Haben nachzurechnen, um herauszufinden, ob man zufrieden ist oder nicht, solange es keine neue Lösungsmöglichkeit gibt. Gewiß, man kann (und manchmal ist es ratsam) eine neue Arbeit, einen neuen Gefährten suchen, aber zur Zeit scheint der Entschluß, dauernd ohne Arbeit und allein zu bleiben, größere Probleme zu erzeugen als er löst.

Viele der Leute, die mich als Psychiater um Hilfe bitten, kommen, weil sie Schwierigkeiten in der Ehe haben. Die Ironie dieser starrsinnigen Kämpfe liegt oft darin, daß einer der Ehepartner sich beklagt, er müsse mit einem Menschen leben, der sich auf eine Weise verhält, die er (oder sie) in der Zeit der Werbung höchst attraktiv gefunden hat. Die Frau zum Beispiel, die einst froh war, einen solchen Partner gefunden zu haben, fühlt sich nun enttäuscht und allein gelassen. Als sie ihm zum erstenmal begegnete, war sie von seiner Beständigkeit, seiner Selbstbeherrschung und Vernünftigkeit angezogen. Es war ebenso klar wie erfreulich für sie, daß er nicht so leicht aus der Bahn zu werfen, ›objektiv‹ in seinen Ansichten und sehr, sehr praktisch war. Bei seiner wohlüberlegten Distanziertheit konnte man offenbar darauf zählen, daß er sie vor ihrer kopflosen Impulsivität schützen und darauf achten würde, daß sie nicht alles durcheinanderbrachte und verdarb. Aber als was für eine schreckliche Enttäuschung erwies er sich dann! Jetzt findet sie, daß er kalt, unnachgiebig und schwerfällig ist; er ignoriert hartnäckig ihre Gefühle, und es macht überhaupt keinen Spaß, in seiner Nähe zu sein.

Diese pejorative Beschreibung von Unzulänglichkeiten, die einmal als Tugenden erschienen waren, ist durchaus nicht auf die weibliche Kampfpartei beschränkt. Ihr Mann hat sich einmal weise und glücklich geschätzt, eine Frau gefunden zu haben, die so lebhaft und frei in ihren Gefühlen, so begeisterungsfähig, herzlich und energiegeladen war. Jetzt hat er die Nase voll. Sie hat überhaupt keinen praktischen Verstand, verlangt Unmögliches, mehr als irgendwer jemals geben kann, und wird völlig irrational, wenn sie nicht bekommt, was sie haben will. Er begegnet diesem Ansturm natürlich zunächst dadurch, daß er versucht, ›vernünftig‹ zu sein, und dann, indem er sich in anhaltendes, gedankenvolles Schweigen zurückzieht. Er begreift nicht, daß seine Distanz sie nicht ruhig macht, und sie kann nicht verstehen, daß er nicht auf ihre Einsamkeit reagiert, die sie durch jammervolles Weinen ausdrückt oder indem sie schreit: »Du tust nichts weiter, als dir deine blöden Ballspiele im Fernsehen anzusehen!« Jeder will seinen Kopf durchsetzen, ohne sich dabei eine Blöße zu geben, aus Angst, er könne als der Nachgebende erscheinen.
Ein Teil dessen, was die Leute in der Ehe suchen, ist ihre eigene zweite Hälfte. Jeder von uns ist in gewisser Weise unvollständig; einige Seiten sind überentwickelt, andere vernachlässigt. Was wir selbst nicht zu haben glauben (zum Beispiel Aggressivität oder Güte, Spontaneität oder Stabilität), suchen wir im anderen. Besonders extrem zeigt sich das in Ehen zwischen Neurotikern, die ein so verdrehtes Bild von sich selbst haben, daß sie sich Partner suchen, die Karikaturen vom anderen Ende des Persönlichkeitsspektrums sind (etwa die schüchterne, gehemmte Frau, die sich einen starken, super-abenteuerlichen Romanhelden von einem Mann aussucht, der seinerseits ein Weibchen haben will, das viel zuviel Angst hat, um ihm Schwierigkeiten machen zu können). Bis zu einem gewissen Grade heiraten wir alle, um unsere eigenen Mängel auszugleichen. Als Kind kann sich niemand allein gegen die Familie und gegen die Gemeinschaft stellen, und unter normalen Umständen befindet er sich nicht in der Position, sich absetzen und sein Leben anderswo aufbauen zu können. Um als Kinder zu überleben, mußten wir in uns all das verstärken, was die, von denen wir abhingen, erfreute, und die Verhaltensweisen verleugnen, die sie nicht akzeptieren konnten. Auf diese Weise wachsen wir, einer mehr, einer weniger, in unproportionierte Gestaltungen dessen hinein, was unser Leben als Mensch sein könnte. Was uns fehlt, suchen wir in denen, die wir uns als Partner wählen, und bekämpfen es dann. Wir heiraten den anderen, weil er (sie) anders ist als wir, und dann klagen wir: »Warum kann er (sie) nicht mehr so wie ich sein?«

Wenn wir jemanden heiraten, der uns ähnlich ist, mögen wohl andere Arten von Unheil daraus entstehen. Zwei verzagte Seelen etwa würden ihre Vorsicht wechselseitig potenzieren und bald überhaupt nicht mehr wagen, irgend etwas Neues auszuprobieren. Ein abenteuerlustiges Paar mag durch eine Eskalation der Verwegenheit in eine Spirale von Katastrophen geraten. Ob es uns paßt oder nicht, gerade die Unterschiede zwischen Ehepartnern sind sowohl die Stärke einer guten Ehe als auch das Risiko einer schlechten.

Wenn ich mit Paaren arbeite, die solche Schwierigkeiten haben, weise ich auf diese Dinge hin und frage beispielsweise den unternehmungslustigen Ehemann: »Was würde eigentlich passieren, wenn Ihre Frau, jedesmal wenn Sie so einen impulsiven Phantasieflug ausspinnen, sagen würde: ›Prima, mach mal!‹?« oder zu der vorsichtigen Frau: »Wo würden Sie wohl hinkommen, wenn ihre Zweifel auf dieselben Zweifel in Ihrem Mann stoßen würden, wenn Sie dann steckenblieben und nicht mehr angespornt würden weiterzumachen, egal wie groß der Widerwille ist?«

Man kann sich die Ursprünge dieser Kämpfe klarmachen, wenn man davon ausgeht, wie Kinder im Umgang mit ihren Eltern ihre Identität anpassen. Was ich über die Identifikation des kleinen Jungen mit seinen Eltern sagen werde, gilt genau so für die entsprechende Persönlichkeit des Mädchens. Darüber hinaus ist es offenbar keineswegs zwingend, daß sich ein Kind mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifiziert.

Diese Variationsmöglichkeiten vorausgesetzt, stellen wir uns nun einmal das stark vereinfachte Beispiel eines Jungen vor, der sich mit einem distanzierten, passiven, allzu beherrschten Vater identifiziert. Seine Mutter neigt zu Aggressivität und dramatischen Gefühlsausbrüchen. Wenn der junge erwachsen ist, wird er jemanden heiraten, der seiner aggressiven Mutter ähnelt, mit der er sich nicht identifizieren konnte. Bald werden ihm genau die Qualitäten, die ihn angezogen haben, als unterdrückend erscheinen, und er wird darauf bestehen, daß sie mehr so wird wie sein passiver, distanzierter Vater, mit dem er sich identifizierte. Falls sie aber auf seinen Wunsch einzugehen versucht, wird er sich beklagen, daß sie sich zu wenig ändert oder zu spät oder irgendwie anders, als er es sich vorgestellt hat. Ich habe mich immer gewundert, wieso es so viele Eheschwierigkeiten gibt: jetzt, wo ich mehr über den Starrsinn weiß, mit dem wir alle so gern unseren eigenen Kopf rücksichtslos durchzusetzen versuche, bin ich eher erstaunt, daß wir bei unserer Suche nach Liebe so oft erfolgreich sind.

aus Sheldon B. Kopp, Triffst Du Buddha unterwegs…

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