Mittwoch, 4. April 2018

Josef Rattner: Gentleman im kant'schen Sinne

Geburtstag Der Arzt und Psychotherapeut Josef Rattner hat den Personalismus ins 21. Jahrhundert gebracht. Heute wird er 90 Jahre alt 

Das 20. Jahrhundert hat uns – trotz und neben der Inhumanitäten totalitärer Ideologien und zweier Weltkriege – kulturelle Errungenschaften hinterlassen, von denen wir zukünftig zehren und die wir günstigenfalls weiter entwickeln werden. Dazu zählt auch der Personalismus, der durch Emmanuel Mounier (1905-1950) mit dessen 1932 gegründetem Journal Esprit, das er als „personalistisches Blatt im Kampf gegen die etablierte Unordnung“ verstand, bekannt wurde. Sein personalistisches Manifest (1936) war jenseits der Ismen (Sozialismus, Kommunismus, Kapitalismus, Nationalismus, Liberalismus) angesiedelt und stellte das Individuum (die Person) ins Zentrum seiner Überlegungen. Faschismus, Bolschewismus, der Zweite Weltkrieg und der darauf folgende Kalte Krieg ließ kulturelle Innovationen des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit und verkümmern – so auch den Personalismus. Einer von wenigen, der die personalistische Tradition aufgegriffen, modifiziert und ins 21. Jahrhundert transponiert hat, ist Josef Rattner.

Rattner wurde am 4. April 1928 in Wien geboren. Nach dem sogenannten Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 ging seine Familie in die Schweiz, wo sie politisches Asyl erhielt. Ab 1947 studierte Rattner in Zürich Philosophie, Psychologie und Germanistik; sein Hang zum Generalisten- statt zum Spezialistentum war für diese Studienwahl mitentscheidend. Er hörte Philosophie bei Karl Barth und Wilhelm Keller; Emil Staiger, damals Papst der deutschsprachigen Literaturwissenschaft, war sein Lehrer in Germanistik. Seine Studien schloss er 1952 mit einer Dissertation bei Wilhelm Keller über Das Menschenbild in der Philosophie Martin Heideggers ab.

Seine psychotherapeutische, individualpsychologische Ausbildung und Lehranalyse erfuhr Rattner bei Friedrich Liebling. Liebling stammte aus Wien, wo er Alfred Adler persönlich erlebt hatte, und war 1938 in die Schweiz emigriert. Zusammen mit Liebling entwickelte Rattner in Zürich das Modell der Großgruppentherapie. Dabei kamen fünfzig und mehr Patienten und Zuhörer zusammen, die unter der Anleitung von Liebling und Rattner ihre persönlichen Probleme vortrugen.

Parallel zu seiner psychotherapeutischen Tätigkeit studierte Rattner von 1957 bis 1963 in Zürich noch Medizin. Dieses Studium schloss er mit einer preisgekrönten Promotion über Das Wesen der schizophrenen Reaktion ab. Sein Doktorvater war Manfred Bleuler, der damalige Leiter der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli (und Sohn des berühmten Psychiaters Eugen Bleuler, der als erster für die Erkrankung der Dementia praecox den Begriff Schizophrenie verwendet hatte).

mehr:
- Gentleman im kant'schen Sinne (Gerhard Danzer, Der Freitag, 04.08.2018)

Dienstag, 3. April 2018

Stress ist ansteckend – auch auf zellulärer Ebene

Die Traumen anderer können bei uns zu schwerwiegenden Symptomen führen

Dass man sich Emotionen und Stress bei seinen Mitmenschen "aufschnappen" kann, ist keine Imagination, sondern biochemisch messbar. Eine vor Kurzem in der Nature publizierte Studie zeigt, dass solch "übertragener" Stress in der Tat in gleichem Maße Spuren im Gehirn hinterlässt wie "echter" Stress.

Stress aktiviert neuronale Netzwerke, die das Individuum dazu befähigen sollen, auf Bedrohungen reagieren und überleben zu können. Selbst eine kurze Exposition mit einem Stressor löst langfristige Veränderungen an Synapsen aus. Für Menschen, Primaten und Nagetiere ist belegt, dass stressinduzierte Verhaltensweisen und hormonelle Veränderungen sich auf andere übertragen können. Auch dies macht evolutiv Sinn – den Gemütszustand unseres Gegenüber erfassen zu können, ist wichtig für den Aufbau sozialer Bindungen.

Soziale Übertragung synaptischer Veränderungen nach Stress


Bislang war nicht bekannt, ob übertragener Stress sich gleichartig auf Synapsen auswirkt wie selbst erlebter. Eine kürzlich in der Nature veröffentlichte Studie[1] beantwortet dies mit einem klaren "Ja".

Ein Forschungsteam aus Calgary studierte die zerebralen Auswirkungen von Stress an Pärchen von weiblichen und männlichen Mäusen, indem sie eine Maus von ihrem Partner trennten und moderatem Stress aussetzten. Nach Rückkehr zum Partner untersuchten sie bei beiden Mäusen die Reaktion einer spezifischen Population von Neuronen im Zwischenhirn, genauer den CRH-Neuronen des Nucleus paraventricularis (PVN). Diese steuern die zerebrale Reaktion auf Stress.


Das bemerkenswerte Ergebnis war, dass die CRH-Neurone der Partner, die selbst keinem Stress ausgesetzt waren, identische Veränderungen zu denen der tatsächlich gestressten Mäuse zeigten.[2]

mehr:
- Stress ist ansteckend – auch auf zellulärer Ebene (Esanum.de, 25.03.2018)

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Der Nucleus paraventricularis ist ein Kerngebiet im Hypothalamus, also im Zwischenhirn. Sein Name leitet sich von seiner Lage neben dem dritten Ventrikel ab.
Die großen Nervenzellen dieses Kerngebiets produzieren das Hormon Oxytocin und in geringeren Mengen Antidiuretisches Hormon. Darüber hinaus enthält dieses Kerngebiet auch kleine Kerne, die das Releasing-Hormon CRH sezernieren, dieses wird allerdings an der Eminentia mediana in den primären hypophysären Pfortaderkreislauf (Primärplexus) abgegeben.
Die Zellfortsätze (Axone) des Nucleus paraventricularis bilden zusammen mit denen des Nucleus supraopticus den Tractus hypothalamohypophysialis. Über diese Nervenbahn werden das Oxytocin und ADH in die Neurohypophyse transportiert, wo es zwischengespeichert und bei Bedarf an das Blut abgegeben wird.

[Nucleus paraventricularis, Wikipedia, abgerufen am 03.04.2018]
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Nucleus paraventricularis (Abb. gefunden bei Kenhub.com)

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