Samstag, 13. Januar 2018

Mark Fisher, Depression, Gesellschaft und das Leben in einer Illusion

Die Alternativlosigkeit des Kapitalismus, ideologische Gespenster und Depression: Damit hat sich Mark Fisher beschäftigt. Vor einem Jahr hat sich der britische Kulturtheoretiker das Leben genommen. Eine Erinnerung. Oder: Warum man hinter rote Vorhänge schauen sollte.

Die Sängerin Rebekah Del Rio tritt vor den schweren, roten Samtvorhang und beginnt ein wunderschönes, trauriges Lied zu singen: die spanische Version von Roy Orbisons „Crying“. Während die beiden Zuhörerinnen im „Club Silencio“ beim Klang der berührenden Ballade selbst zu weinen beginnen, fällt Del Rio plötzlich um und liegt wie tot auf der Bühne – doch ihre Stimme singt weiter.

Gänsehautmomente gibt es viele im Film „Mulholland Drive“ (2001) von David Lynch. Doch die Stimme, die weitersingt, obwohl die Sängerin kollabiert ist, hat Mark Fisher besonders fasziniert: Für ihn ist dies eine der Schlüsselstellen des Films und ein Beispiel für das, was er in seinem Buch „Das Seltsame und Gespenstische“ untersucht hat.

Er lehnte sich dabei an Sigmund Freuds Begriff vom Unheimlichen an. Das Unheimliche, so Freud, irritiert vor allem deshalb, weil es mit dem Heimlichen, also dem von der eigenen Heimat Bekannten, so nahe verwandt ist. Eine kleine Abweichung von diesem Bekannten, Heimlichen reicht aus, um großen Schrecken zu erzeugen, um „un-heimlich“ zu werden. Spuren dieser Art hat Mark Fisher in seinem Spezialfeld, der Popkultur, viele gesucht und gefunden, in der Musik ebenso wie im Kino.

Das Seltsame, Unbehagen Verursachende an der Szene aus „Mulholland Drive“ war für Fisher die plötzliche Einsicht, dass wir uns in einer Illusion befinden. Kino an sich ist immer Illusion, in die wir uns freiwillig und mit großem Glücksversprechen begeben. Das wird in „Mulholland Drive“ sogar an anderer Stelle explizit betont, ändert aber nichts daran, dass wir bei der Einsicht in diese Wirklichkeit – beim Gewahrwerden, dass die Stimme auch weitersingen kann, wenn die Sängerin am Boden liegt – zusammenzucken.

mehr:
- Hinter roten Vorhängen (Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 13.01.2018)

Zum Tod des Popkritikers Mark Fisher (11. Juli 1968 – 13. Januar 2017) {1:26:05}

Am 25.01.2017 veröffentlicht
Raoul de Bragelonne
Reste einer verlorenen Zukunft: https://www.neues-deutschland.de/arti...
Aus aktuellem Anlass: http://www.konkret-magazin.de/aktuell...
Das Gefühl, dass sich nichts jemals wieder ändern wird: http://jungle-world.com/artikel/2015/...
Die Geister seines Lebens: https://www.taz.de/!5374241/
Das neue Jahr beginnt mit dem Tod einer Person, die sich für eine kritische Theorie der Popkultur verdient gemacht hat: Am 13. Januar 2017 hat sich der Kulturwissenschaftler Mark Fisher das Leben genommen. Im Gespräch mit Philipp Böhm haben wir sein theoretisches Vermächtnis gewürdigt.

mehr zu Mark Fisher:
- Mark Fisher: „Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?“ (PhilosophieUndLiteratur.de)
- Dem Störenden folgen (Diedrich Diederichsen, taz, 17.12.2017)
- Mark Fisher – Wenn die Begriffe nicht mehr greifen (Philipp Rhensius, WOZ, 26.10.2017)
- Zum Tod des Popkritikers Mark Fisher: Depression und Kapitalismus (Hartwig Vens, Deutschlandfunk Kultur, 16.01.2017)
- Nachruf auf Mark Fisher – Die Geister seines Lebens (Christian Werthschulte, taz, 15.01.2017)
- Mark Fisher: Der Gespensterforscher (Thomas Groß, ZON, 26.02.2015, beachte auch die Kommentare!)


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Als Reaktion auf die Aussage des US-amerikanischen Historikers Francis Fukuyama, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gehöre dem siegreichen Kapitalismus nunmehr uneingeschränkt die Zukunft und es sei somit das „Ende der Geschichte“ eingetroffen, formulierte der französische Philosoph Jacques Derrida im Jahr 1993 seine Theorie der Hauntologie. Unter diesem Begriff, der die Konzepte von haunt (dt. von etwas heimgesucht werden) und Ontologie (Lehre des Seienden) in einem Wort verbindet, versteht man nach Derrida die Gegenwart (oder auch „offensichtliche Nicht-Gegenwart“) von Ideen, Theorien und Ideologien aus der Vergangenheit, die selbst bei ihrem Scheitern in der Praxis noch in den Denkgebäuden der Gegenwart präsent sind und diese dadurch prägen. Dem Titel des zugehörigen Buches – Spectres de Marx (dt.: Geister von Marx) – entsprechend, bezog sich Derrida in erster Linie auf die Theorien von Karl Marx, die durch das Ende des Kalten Krieges nach 1989 in weiten Teilen als gescheitert und nicht mehr relevant galten, obschon die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ursachen von Marx' Kritik am Kapitalismus auf nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weiter Bestand haben sollten. Zum weiteren Umfeld der Hauntologie gehört bespielsweise auch die Theorie der „heimgesuchten Orte“, nach der sich bestimmte einschneidende Ereignisse in einen Ort so einprägen können, dass sie sich ständig wiederholen. 
[
Hauntology, "Hauntologie" in der Philosophie, Indiepedia, abgerufen am 21.01.2018]

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zu Derridas Buch siehe:
- Derrida über Marx und die neue Weltordnung (Moishe Postone, Krisis, 31.12.1998)

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Mark Fisher on why Modern Life causes Depression {3:31}

Am 28.04.2017 veröffentlicht
Symrun Citizen
Mark Fisher speaking at a lecture about Capitalist Realism and Cybernetics, specifically about how Neoliberalism is exhausting us all.

- „There’s more to the picture“ (EduardMinor, 04.11.2014)
- Neue Bücher zum „Burnout“ – Hurra, hurra, die Klasse brennt (Klaus Walter, taz, 13.11.2013)
- Realismus und Unmündigkeit (Markus Rackow, e-politik.de, 19.06.2013)
- Hauntology-Pop: Elektronische Musik erforscht ihr Unbewusstes (Felix Stephan, ZON, 06.02.2012)
- Mark Fisher: Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Symptome unserer kulturellen Malaise (Steffen Vogel, getidan, 24.01.2011)

siehe auch:
- Ego-Kult, Selbst-Optimierung und Wettbewerbsfähigkeit (scobel, 3sat, 11.01.2018)
- Achtsamkeit im Neoliberalismus: Warum nicht?! (Post, 16.11.2017)
- »Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein« (Post, 15.11.2017)
- Warum schweigen die Lämmer? – Der Mensch im Geflecht von Medien, Manipulation und Macht (Post, 16.03.2016)
- Angewandte Psychoanalyse: Masse und Mob – Wie sich Emotionen in der Menge entladen, und wie sie gesteuert werden können (Post, 14.03.2016)
- Deutschlands Hypnotherapeutin Nr. 1 und das Herstellen von Alternativlosigkeit (Post, 18.01.2016)
- Unsere Welt besteht aus Geschichten (Post, 17.12.2015)
- Wie gehen wir mit gemachter Realität um? (Post, 15.06.2014)
- Realität ist, was wir glauben wollen oder Hirnströme von Friseurpuppen (Post, 29.08.2013)
- Wir geben ihnen Macht 1 (Post, 14.03.2013)
- Die neurobiologische Verankerung von Erfahrungen und ihre Auswirkungen auf das spätere Verhalten (Gerald Hüther, Archiv der Lindauer Psychotherapiewochen, Plenarvortrag, 24. April 2001, PDF)

Gehirnforscher Prof. Gerald Hüther: Quantenphysik und Kommunale Intelligenz {1:27:38}

Am 03.11.2017 veröffentlicht
Georg Dygruber
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