Montag, 28. August 2017

Ein Psychotherapeut über Meditation und Achtsamkeit

Krankheit und Gesundheit sind ein Kontinuum. Krankheiten behandeln heißt deshalb auch Gesundheit gestalten. Wie gehe ich gesund mit mir um? Achtsamkeit […] ist dabei nicht nur Methode, also beispielsweise eine halbe Stunde meditieren, sondern ganz wesentlich gelebte Achtsamkeit im Alltag. Da geht es um: Kontakt, Berührung, im Moment sein, neugierig sein und – was ich sehr spannend finde – nicht werten, also die eigenen unangenehmen Seiten nicht ablehnen.

Achtsamkeit bedeutet für mich, in meinem Alltag in Kontakt mit mir und mit meiner Umwelt zu sein, beinhaltet die Fähigkeit, meine inneren Wünsche, Werte und Ziele wahrzunehmen und diese in Verbundenheit mit meiner Umwelt […] zu leben. In der Meditation bei mir zu sein ist häufig schwer genug. Im Alltag achtsam wahrzunehmen, wie es mir in Verbindung mit anderen geht, ist für mich persönlich immer wieder eine Übung. Mit mir im Kontakt zu sein und zu spüren, was steckt da alles in mir, ist alleine schon eine Herausforderung – und manchmal eine Überforderung. Aber darum geht es doch im Alltag: Wie kann ich bei mir und mit anderen sein? Leben bedeutet Kontakt und Beziehung, zu mir und zu anderen. Und dies bewusst im Hier und Jetzt zu erleben heißt für mich, achtsam zu sein.

Wichtig ist für mich auch, dass Achtsamkeit und Ethik zusammengehören. Sonst kann Achtsamkeit missbraucht werden, im Sinne einer ausschließlichen Ausrichtung auf Konzentration und Fokussierung, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Es gibt Menschen, die zu uns kommen und durch Achtsamkeit wieder „funktionieren“ wollen. Achtsamkeit wird, ähnlich wie Medikamente, als eine Form von „Neurodoping“ eingesetzt, um in der Leistungsgesellschaft noch besser zu funktionieren.

Für mich hat Achtsamkeit etwas damit zu tun, eine neue Form der Beziehung zu meinen Gedanken, Gefühlen oder Wünschen zu entwickeln. Meine Gedanken und mein Verstand sind nicht das Leben, sondern eine Vorstellung, die vor der Wirklichkeit steht.

Vor allem aber ändert sich die Qualität, in der etwas gemacht wird.

Selbstfürsorge bezeichnet die Fähigkeit, freundlich und annehmend mit sich zu sein. „Liebe deinen nächsten wie dich selbst.“ – In diesem Zitat steckt eine ganz wichtige Botschaft. Wir müssen lernen, uns selbst gegenüber freundlich und fürsorglich zu sein, so wie wir es einem guten Freund, einer guten Freundin gegenüber wären. Das Erstaunliche ist, dass die allermeisten Menschen anderen gegenüber sehr hilfsbereit und freundlich sein können, sogar Fehler verzeihen können, gegenüber sich selbst aber die größten Kritiker sind und sich selbst keine Fehler zugestehen. Daher üben wir
Selbstfürsorge in der Meditation. Für mich persönlich war es eine sehr hilfreiche und beeindruckende Erfahrung zu lernen, mit offenem Herzen fürsorglich und annehmend mit mir selbst zu sein.
Die Selbstmitgefühl-Meditation hat mir ermöglicht, eigene Schwächen und Fehler wohlwollend als ein Teil von mir anzunehmen. Nicht im Sinne, dass die Fehler wiederholt werden, sondern als Teil einer Akzeptanz und eines Nicht-Bewertens. Aus meiner Sicht ist dies eine wichtige Ergänzung, wenn nicht gar Voraussetzung für Meditation.

Für mich gehört zum Nach-innen-Schauen das Nach-draußen-Gehen. Wir dürfen unsere Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen und der Gesellschaft nicht außen vor lassen.

Prof. Dr. med. Götz Mundle, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ist Leiter des Zentrums für Seelische Gesundheit – Oberberg City Berlin Kurfürstendamm. Von 2007 bis 2014 war er medizinischer Geschäftsführer der Oberbergkliniken, von 2001 bis 2009 Chefarzt der Oberbergklinik Schwarzwald in Hornberg. Zudem war er von 2004 bis 2011 im Vorstand der Oberberg Stiftung Matthias Gottschaldt.

Er ist Mitglied der medizinischen Fakultät der Universität Tübingen sowie Mitglied des Ausschusses „Sucht und Drogen" der Bundesärztekammer. Sein besonderes Interesse gilt neuen Therapiekonzepten achtsamkeitsbasierter Psychotherapie, individualisierter Medizin, zieloffener Suchttherapie, Prinzipien der Resilienz und Salutogenese als Basis für die Gestaltung von Gesundheit sowie transparenter Kommunikation zwischen Patient und Therapeut auf Augenhöhe.

Nähere Informationen: www.zfsg-berlin.de


Zitate aus dem Interview mit Prof. Götz Mundle »Sich in der Stille wiederentdecken« in »Buddhismus aktuell« 2/2016



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