Mittwoch, 13. Dezember 2017

Widerstand in der Psychoanalyse

Widerstand
engl.: resistance – frz.: résistance – ital.: resistenza – port.: resistência – span.: resistencia.
Im Verlaufe der psychoanalytischen Behandlung nennt man all jenes ›Widerstand‹, was in den Handlungen und Worten des Analysierten sich dem Zugang zu seinem Unbewußten entgegenstellt. In Ausweitung des Begriffs hat Freud von Widerstand gegen die Psychoanalyse gesprochen, um eine Oppositionshaltung gegen deren Entdeckungen zu bezeichnen, soweit diese die unbewußten Wünsche wachrufen und dem Menschen eine »psychologische Kränkung« auferlegen (α).
Der Widerstandsbegriff wurde von Freud frühzeitig eingeführt; man kann sagen, daß er am Beginn der Psychoanalyse eine entscheidende Rolle gespielt hat. Tatsächlich hat Freud auf die Hypnose und die Suggestion hauptsächlich deshalb verzichtet, weil der massive Widerstand mancher Patienten gegen diese Methoden ihm legitim erschien (ß), andererseits weder überwunden, noch gedeutet werden konnte (y), was dagegen durch die psychoanalytische Methode möglich wird, soweit sie das progressive Erhellen der Widerstände erlaubt, die sich besonders durch die verschiedenen Weisen ausdrücken, auf die der Patient die Grundregel verletzt. In den Studien über Hysterie (1895) findet sich eine erste Aufzählung verschiedener klinischer Widerstandsphänomene, evidenter oder diskreter Natur (Ia).
Der Widerstand wurde als ein Hindernis für die Erhellung der Symptome und das Fortschreiten der Behandlung entdeckt. »Der Widerstand, der endlich das [therapeutische] Arbeiten versagt ... « (2a; δ). Dies Hindernis sucht Freud zunächst durch Beharrlichkeit – die dem Widerstand entgegengesetzte Kraft – und Überredung zu überwinden, bevor er im Widerstand ein Mittel erkannte, um den Zugang zum Verdrängten und zum Geheimnis der Neurose zu erlangen. Tatsächlich sind es die gleichen Kräfte, die man beim Widerstand und der Verdrängung am Werk sieht. In diesem Sinne bestand jeder Fortschritt der analytischen Technik, was Freud in seinen technischen Schriften betont, in einer richtigeren Einschätzung des Widerstandes, nämlich der klinischen Gegebenheit, daß es zur Aufhebung der Verdrängung nicht genügt, den Patienten den Sinn ihrer Symptome mitzuteilen. Wir wissen, daß Freud die Deutung des Widerstandes und der Übertragung immer als die spezifischen Eigentümlichkeiten seiner Technik betrachtet hat. Mehr noch, die Übertragung* muß teilweise selbst als ein Widerstand angesehen werden, insofern sie die verba­lisierte Erinnerung durch die agierte Wiederholung ersetzt. Man muß hinzufügen, daß der Widerstand die Übertragung benutzt, sie aber nicht konstituiert.
Zur Erklärung des Widerstandsphänomens sind Freuds Ansichten schwieriger herauszuarbeiten. In den Studien über Hysterie formuliert er die folgende Hypothese: Man kann die Erinnerungen je nach dem ihnen anhaftenden Widerstandsgrad in konzentrischen Schichten um einen zentralen, pathogenen Kern gruppiert sehen; im Laufe der Behandlung vermehrt so jeder Übergang von einem Kreis zu einem dem Kern nähergelegenen den Widerstand (Ib). Bereits damals macht Freud aus dem Widerstand eine Manifestation, die zur Behandlung und zur Erinnerung gehört, die die Behandlung fordert. Eine Manifestation, deren Kraft die gleiche ist wie diejenige, die vom Ich auf die peinlichen Vorstellungen ausgeübt wird. Er scheint den eigentlichen Ursprung des Widerstandes dennoch in einem Abstoßen zu sehen, das von dem Verdrängten als solchem herrührt, von seiner Schwierigkeit, zum Bewußtsein zu gelangen und besonders vom Subjekt akzeptiert zu werden. So finden wir hier beide Erklärungselemente: Der Widerstand wird durch seine Entfernung zum Verdrängten bestimmt; andererseits entspricht er einer Abwehrfunktion. In den technischen Schriften wird diese Doppeldeutigkeit beibehalten.
Aber mit der zweiten Topik wird der Akzent auf den Abwehraspekt gelegt, eine, wie Freud in mehreren Arbeiten betont, vom Ich ausgeübte Abwehr. »Das Unbewußte, das heißt das ›Verdrängte‹, leistet den Be­mühungen der Kur überhaupt keinen Widerstand, es strebt ja selbst nichts anderes an, als gegen den auf ihm lastenden Druck zum Bewußtsein oder zur Abfuhr durch die reale Tat durchzudringen. Der Widerstand in der Kur geht von denselben höheren Schichten und Systemen des Seelenlebens aus, die seinerzeit die Verdrängung durchgeführt haben« (3). Diese beherrschende Rolle der Ichabwehr hält Freud bis zu einer seiner letzten Schriften aufrecht: »… die Abwehrmechanismen gegen einstige Gefahren (kehren) in der Kur als Widerstände gegen die Heilung wieder. Es läuft darauf hinaus, daß die Heilung selbst vom Ich als eine neue Gefahr behandelt wird« (4a). Die Analyse der Widerstände unterscheidet sich aus dieser Perspektive nicht von der Analyse der permanenten Abwehrmechanismen des Ichs, wie sie in der analytischen Situation unterschieden werden (Anna Freud).
Freud behauptet ausdrücklich, der offenkundige Ich-Widerstand genüge nicht, um die beim Fortschritt und der Vollendung der analytischen Arbeit auftretenden Schwierigkeiten zu erklären. Der Analytiker trifft in seiner Erfahrung auf Widerstände, die er nicht auf Ich-Veränderungen* zurückführen kann (4b).
Am Ende von Hemmung, Symptom und Angst (1926) unterscheidet Freud fünf Widerstandsformen. Davon hängen drei mit dem Ich zusammen: die Verdrängung, der Übertragungswiderstand und der sekundäre Krankheitsgewinn, der sich »… auf die Einbeziehung des Symptoms ins Ich gründet«. Weiter muß man noch mit dem Widerstand des Unbewußten oder des Es und dem des Über-Ichs rechnen. Der Widerstand des Unbewußten, »… die Macht des Wiederholungszwanges, die Anziehung der unbewußten Vorbilder auf den verdrängten Triebvorgang…«, macht technisch das Durcharbeiten* notwendig. Der Über-Ich-Widerstand schließlich leitet sich von dem unbewußten Schuldgefühl und dem Strafbedürfnis ab (5a) (siehe: Negative therapeutische Reaktion).
Der Versuch der metapsychologischen Gliederung des Widerstandes befriedigte Freud nicht, macht aber wenigstens deutlich, daß er sich immer geweigert hat, das inter- und intrapersonale Phänomen des Widerstandes den der Ichstruktur inhärenten Abwehrmechanismen gleichzusetzen. Die Frage: wer widersteht, bleibt offen und problematisch für ihn (ε). Über das Ich hinaus, »… das an seinen Gegenbesetzungen festhält…« (5b), muß man als letztes Hindernis für die analytische Arbeit einen radikalen Widerstand anerkennen, über dessen Natur Freuds Hypothesen variierten, der aber jedenfalls nicht auf die Abwehroperationen reduzierbar ist (siehe: Wiederholungszwang).

(α) Ein Gedanke, der bereits 1896 auftaucht: »…Ich […] habe aber Anfeindungen und lebe in solcher Isolierung, als ob ich die größten Wahrheiten gefunden hätte« (2b).
Zu »Kränkung« vgl. Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse (1917) (6).
(ß) » Wenn ein Kranker, der sich nicht gefügig zeigte, angeschrieen wurde: Was tun Sie denn? Vous vous contrcsuggestionnez!, so sagte ich mir, das sei offenbares Unrecht und Gewalttat. Der Mann habe zu Gegensuggestionen gewiß ein Recht, wenn man ihn mit Suggestionen zu unterwerfen versuche« (7).
(γ) Freud macht der Suggestionstechnik »… den Vorwurf, daß sie uns die Einsicht in das psychische Kräftespiel verhüllt, z.B. uns den Widerstand nicht erkennen läßt, mit dem die Kranken an ihrer Krankheit festhalten, mit dem sie sich also auch gegen die Genesung sträuben ... « (8).
(δ) Vgl. die Definition des Widerstands in Die Traumdeutung (1900): »Was immer die Fortsetzung der Arbeit stört, ist ein Widerstand, (9).
(ε) Man kann sich auf die Arbeit von E. Glover, The Technique of Psycho-Analysis (1955) beziehen. Nach einer methodischen Aufstellung der durch die Analyse zutagetretenden Widerstände und der permanenten Abwehrmechanismen des seelischen Apparates erkennt der Autor die Existenz eines Residuums an: »Nachdem die Möglichkeiten des Ich- und Über-Ich-Widerstandes ausgeschöpft sind, müssen wir erkennen, daß eine ganze Skala von Verhaltensweisen immer wieder dargeboten wird […] Zunächst erwarteten wir, daß durch Beseitigung der Ich- und Über-Ich-Widerstände so etwas wie eine automatische Druckentlastung eintreten würde, daß die Entlastung entweder explosiv und offen einsetzen, oder daß eine andere Manifestation der Abwehr die freigesetzte Energie sofort binden würde, wie es bei übergangsbildungen geschieht. Statt dessen scheinen wir dem Wiederholungszwang ein Schnippchen geschlagen zu haben und das Es hat sich der geschwächten Ichabwehr bedient, um eine steigende Anziehung auf vorbewußte Darstellungen auszuüben« (10).

(1) Freud, S.,
a) G. W., 1, 280; S. E., II, 278; frz., 225.
b) G. W., 1, 284; S. E., II, 289; frz., 234.
(2) Freud, S., Aus den Anfängen der Psychoanalyse, 1887-1902.
a) Brief vom 27.10.97: dtsch., 240; engl., 226; frz., 200.
b) Brief vom 13.3.1896: dtsch., 172; engl., 161; frz., 143.
(3) Freud, S., Jenseits des Lustprinzips, 1920. G. W., XIII, 17: S. E., XVIII, 19; frz., 19.
(4) Freud, S., Die endliche und die unendliche Analyse, 1937.
a) G. W., XVI, 84; S. E., XXIII, 238; frz., 24-25.
b) Vgl. G. W., XVI, 86; S. E., XXIII, 241; frz., 27.
(5) Freud, S.,
a) Vgl. G. W., XIV, 191-193; S. E., XX, 158-160; frz., 87-89.
b) G. W., XIV, 191-193; S. E., XX, 158-160; frz., 87-89.
(6) Vgl. Freud, S., G. W., XII, 1-26; S. E., XVII, 137-144; frz., 137-147.
(7) Freud, S., Massenpsychologie und Ich-Analyse, 1921. G. W., XIII, 97; S. E., XVIII, 89; frz., 99.
(8) Freud, S., Über Psychotherapie, 1904. G. W., V, 18; S. E., VII, 261; frz., 14.
(9) Freud, S., G. W., II-III, 521; S. E., V, 517; frz., 427.
(10) Glover, Ed., Baillière, London, 1955, 81.

aus: J. Laplanche, J.-B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse,Suhrkamp, Frankfurt am Main, 15. Aufl. 1999, S. 622ff.

Von einer Patientin.
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