Mittwoch, 23. November 2011

Das Drama-Dreieck (ein Handlungsmodell aus der Transaktionsanalyse)



Drama-Dreieck

Die Vielzahl von Regeln, Vorschlägen und Hinweisen zeigt, wie verschlungen die Wege zu einer guten Gesprächsführung bisweilen sind. Da ist es auf eine Weise geradezu erleichternd, ein relativ überschaubares Kommunikationsmuster zu kennen, von dem man sicher weiß, daß es in jedem Fall in eine Sackgasse führt: das sogenannte Drama-Dreieck. Wie der Name sagt, geht es dort bisweilen sehr bewegt zu. Das allein wäre noch nichts Schlimmes, fühlten sich nicht am Ende alle Beteiligten irgendwie schlecht, ohne in dem aktuellen Konflikt wirklich vorangekommen zu sein.

Ein Beispiel:

Eine Familie (Mutter, Vater, 15jähriger Sohn) sitzt zu Tisch. Der Sohn kleckert.
Vater zum Sohn: „Wenn du dich nicht ordentlich benehmen kannst, dann iß in der Küche weiter.“ (Sohn senkt betroffen den Blick.)
Mutter zum Vater (heftig): „Das mußt ausgerechnet du sagen. Wenn ich da an letzten Samstag denke… also hacke nicht ständig auf meinem Sohn herum!“ (Vater räuspert sich peinlich berührt und schweigt.)
Sohn zur Mutter: „Vater hat es doch nicht so gemeint!“
Mutter zum Sohn (später in der Küche): „Na, dir werde ich nicht noch einmal beispringen gegen Vater. So wie du mir jedesmal in den Rücken fällst!“

In dieser Art der Kommunikation gibt es drei Rollen, die wir Verfolger, Opfer und Retter nennen. Bezogen auf unser Beispiel sieht das folgendermaßen aus:
Der Vater verfolgt den Sohn.
Der Sohn geht in die Opferroße.
Die Mutter rettet den Sohn, indem sie den Vater ihrerseits verfolgt.
Der Vater fühlt sich als Opfer.
Der Sohn rettet den Vater.
Die Mutter verfolgt den Sohn.

Im Drama-Dreieck kann man zu mehreren, zu zweit oder auch allein mit sich kommunizieren, indem man sich z.B. selbst beschimpft, sich klein und hilflos macht oder im Selbstmitleid versinkt.

Ein anderes Beispiel:
Nachdem ich mich den Tag über im Büro, in der Schule oder in der Beratungsstelle mit den Problemen anderer abgemüht, für sie gedacht und Verantwortung übernommen habe (Retter), schimpfe ich nach Feierabend im Bekanntenkreis über die ungeheuerliche Unselbständigkeit dieser Menschen (Verfolger), um schließlich abends im Bett darüber zu sinnieren, daß ich von allen nur ausgenutzt werde (Opfer).

Gesprächsverläufe der oben beschriebenen Art sind nahezu überall zu beobachten, wo Menschen zusammenkommen, im Familienkreis, unter Freunden und Bekannten sowie am Arbeitsplatz.

Wozu begeben sich Menschen ins Drama-Dreieck? Einen Schlüssel zu dieser Frage liegt in der Tatsache, daß im Drama-Dreieck eine Menge intensiver (letztlich meist negativer) Zuwendung ausgetauscht wird. Wir haben den Eindruck, daß Drama-Dreiecks-Situationen geradezu inszeniert werden, um nach Zeiten emotionaler Gleichförmigkeit in Teams oder Kollegien etwas „Leben in die Bude“ zu bringen. Sie stellen eine wirkungsvolle aber letztlich destruktive Art und Weise dar, den Stimulus-Hunger zu stillen. Entscheidend für das Zustandekommen einer Drama-Dreiecks-Situation ist, daß die Einladung, sich in eine der Rollen zu begehen, von den Betreffenden auch tatsächlich angenommen wird. Weise ich zum Beispiel gegenüber einem Verfolger die mir zugewiesene Opferrolle zurück, verweigere ich zugleich auch den Einstieg ins Drama-Dreieck.

Betrachten wir die drei Positionen einmal etwas genauer: Im Blick auf die Ichzustände wird deutlich, daß der Verfolger im wesentlichen sein kritisches Eltern-Ich (und gelegentlich auch das rebellische Kindheits-Ich) benutzt. Der Retter handelt aus einer überversorgenden und harmonisierenden Haltung des nährenden Eltern-Ichs heraus. Das Opfer befindet sich im angepaßten Kindheits-Ich.

Es fällt auf, daß innerhalb des Drama-Dreiecks der Gebrauch des Erwachsenen-Ichs vernachlässigt wird. Zwar nimmt man aus dieser Richtung bisweilen leise Warnungen wahr, und dumpf ahnt man auch bereits den vermutlichen Ausgang der Situation (denn man hat sie ähnlich bereits wiederholt erlebt), dennoch nimmt das Unheil seinen scheinbar unvermeidlichen Lauf.

In allen drei Rollen streben die Beteiligten nach symbiotischen Beziehungen. Sie beziehen ihr eigenes Selbstverständnis und ihre Existenzberechtigung aus dem Zusammentreffen mit den komplementären Positionen. Helfer und Opfer benötigen sich ebenso zur gegenseitigen Bestätigung wie Verfolger und Opfer bzw. Retter und Verfolger. Gemeinsame Voraussetzung ist eine getrübte Sicht der Wirklichkeit, die sich in einer Abwertung bzw. Übertreibung eigener oder fremder Stärken und Schwächen äußert. Der Verfolger denkt von sich, daß nur er recht hat (lch+), und die anderen unfähig sind (Du-). Der Retter stellt an sich selbst den Anspruch, alle Last der Welt – auch ungebeten – tragen zu müssen (und auch zu können!) sowie zu wissen, was für die anderen gut und richtig ist (Ich+). Diese anderen sind zwar lieb und nett, aber ohne ihn und seine Hilfe irgendwie nicht lebensfähig. Echte Unterstützung bestünde dagegen darin, Hilfesuchende mit ihren eigenen Fähigkeiten in Kontakt zu bringen mit dem Ziel größerer Unabhängigkeit (Hilfe zur Selbsthilfe). Das Opfer schließlich lebt in der festen Überzeugung eigener Hilflosigkeit und Unfähigkeit (Ich-). Die anderen sind dagegen stark und lebenstüchtig und sollen ihm bei der Lebensbewältigung helfen und Verantwortung übernehmen (Du+). Oder sie sind schuld am Elend des Opfers, weil sie so unbarmherzig und verständnislos sind (Du-). Mit ihrer abwertenden Kritik sind die anderen Menschen entweder völlig im Recht (die Retter), oder sie sind herzlos und gemein (die Verfolger).

So sind alle drei Positionen auf ihre Art im Denken, Fühlen und Verhallen durch ihren spezifischen Bezugsrahmen begrenzt und in ihrer eingeschränkten Sicht miteinander verstrickt.


Grafische Darstellung des Drama-Dreiecks:



Worin bestehen nun die Nutzeffekte einer solchen Rollenübernahme?
In der Helferrolle genießt man soziale Anerkennung und bekommt die Bewunderung des Opfers, ohne jedoch eine echte partnerschaftliche Nähe riskieren zu müssen. Dadurch, daß Retter in ihren Beziehungen Abhängigkeit erzeugen, besitzen sie ein hohes Maß an sozialer Kontrolle. Und solange es immer noch Menschen gibt, die es zu retten gilt, brauchen sie sich nicht mit ihren eigenen Problemen zu beschäftigen. Ihre Selbstlosigkeit führt allerdings oft dazu, daß sie sich schließlich tatsächlich selbst los sind. Sie glauben, sich erst dann gute Gefühle gestatten zu dürfen, wenn sie es geschafft haben, daß es allen anderen gut geht – ein unrealistischer Anspruch. Wenn sie meinen, das erreicht zu haben, geht es ihnen wiederum schlecht, weil sie keine innere Erlaubnis haben, an sich selbst zu denken. Darin besteht die eigentliche Tragik der Retter. Oft sind sie erst dann in der Lage, Zuwendung anzunehmen, wenn sie sehr viele Vorleistungen durch Retten erbracht haben, manchmal sogar erst nach einem physischen oder psychischen Zusammenbruch. Nichts schuldig zu bleiben ist ihnen ein wichtiges Grundprinzip.

Menschen in der Opferrolle dagegen bekommen ohne große Anstrengung reichlich positive und negative Zuwendung: einerseits Hilfe und Zuspruch durch den Helfer und andererseits Tritte und Demütigungen vom Verfolger. Dafür wenden sie selbst nur ein Minimum an eigener Aktivität auf. So braucht man in dieser Rolle keinerlei Verantwortung zu übernehme und kann unbewußt der Devise folgen: „Ich muß mich nur recht klein und hilflos machen, mich abwerten und alle Schuld auf mich nehmen, dann werden mir die anderen geben, was ich zum in Leben brauche.“

Aus der Verfolgerrolle heraus streben Menschen vor allem nach Kontrolle über andere und können auf diese Weise Prozesse beeinflussen bzw. dominieren. Was Zuwendung betrifft, so sind Verfolger allerdings mit Abstand am schlechtesten dran. Im günstigsten Fall genießen sie bei anderen Respekt. Oft schmeichelt man ihnen, um nicht verfolgt zu werden. Tief in ihrem Inneren schlummert jedoch die Überzeugung, daß die anderen sie nicht um ihrer selbst willen lieben. Sie glauben, andere Menschen nur dann halten zu können, wenn sie sie kontrollieren und in Abhängigkeit halten. In dieser Überzeugung besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu den Rettern, die aus ihrer Biographie heraus jedoch zu anderen Schlußfolgerungen kommen. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, daß sich Retter und Verfolger auf einer tieferen Ebene nicht in Ordnung fühlen.

Diese inneren Ambivalenzen führen nicht selten dazu, daß bei vielen Menschen die nach außen präsentierte Rolle und die zugrundeliegende psychologische Motivation ganz verschieden sind. Denken Sie zum Beispiel an den Retter, der aus Angst vor Auseinandersetzung und Konflikten aus dem angepaßten Kindheits-Ich heraus nach Harmonisierung strebt. („Ich habe dem anderen nicht gesagt, was in mir vorging, weil ich ihn nicht verletzen wollte“.) Oder an den Verfolger, der keine Schwäche zeigt, weil sein angepaßtes Kindheits-Ich fürchtet, dadurch als gesamte Person in Frage gestellt zu sein. Oder an das Opfer, das anderen (viel zu oft erfolgreich) Schuldgefühle zu machen versucht, indem es sie heimlich verfolgt („Ich fühle mich ganz schlecht, und du bist schuld!“) und dabei seine Macht genießt. Man sieht also, daß auch Retter und Verfolger gewissermaßen „mit ein Bein im Opfer stehen“. Daraus erklärt sich auch die Häufigkeit, mit der sich letztendlich alle Beteiligten mehr oder weniger in Opfergefühlen wiederfinden.

Es wäre allerdings abwegig, wollte man an jedes Setzen von Grenzen als Verfolger-Verhalten verdächtigen, jede Suche nach Unterstützung als Opfer-Allüre zurückweisen und jede Form von Hilfe als Retter-Gehabe diffamieren. Leicht zu erkennen als Einladungen in das Drama-Dreieck sind alle Aussagen, die mit den Worten immer, keiner, jedesmal, alle, nie, total etc. beginnen (Nie hilfst du mir! Jedesmal kommst du zu spät! Immer mache ich alles falsch! etc.). Indem ich diese Art der Abwertung zurückweise, vermeide ich einen Einstieg in das Drama-Dreieck.


Anregungen zur Selbstreflexion:

Erinnern Sie sich an eine Situation, in der alles drunter und drüber ging:
- Wer hat dabei aus welchen Rollen agiert?
- Wodurch wurde das eingeleitet?
- Haben Sie selbst dabei einen Part übernommen?
- Welche Positionen bevorzugen Sie selbst in solchen Situationen?
- Wie geht es Ihnen damit?
- Was haben Sie davon?
aus Gührs, Nowak, Das konstruktive Gespräch, S. 84 f.

siehe auch:
- Transaktionsanalyse (Wikipedia)
- Triangulation (Kira Cossa, Töchter narzißtischer Mütter Link funktioniert nicht mehr)
- „Spiele der Erwachsenen“ Grundlagen der Transaktionsanalyse: Eric Berne (Remotivation.de)
- Manipulative Spiele (Einblicke e.V.)
Buch und Rezensionen:
- Spiele der Erwachsenen: Psychologie der menschlichen Beziehungen (Amazon)

erweitert am 29.03.2018