Sonntag, 1. Mai 2011

Der wandernde Schmerz

Ist Krankheit eine Sprache? Der Schriftsteller Tim Parks und der Naturphilosoph Klaus Michael Meyer-Abich versuchen zu verstehen, was wehe Körper uns sagen.

[…] Zug um Zug taucht der leidende, dauerreflektierende Skeptiker so in eine Sphäre, die ihm bis vor Kurzem noch verdächtiger war als alle Schneidelust der Chirurgen: Shiatsu, Yoga, schließlich Vipassana-Meditation – bei einem ehemaligen CIA-Agenten, der sich vor Jahrzehnten der östlichen Weisheit verschrieben hatte. Wäre Tim Parks nicht gegen jegliche Metaphysik, Mythologie und Mystik geimpft, nicht so selbstironisch, humorvoll und belesen – man folgte ihm nicht so bereitwillig auf seinem »Weg zur Heilung«. Er führt von der Panik, die ihn angesichts der Zumutung packt, ausgerechnet die wachsten Stunden des Tages flach zu liegen und auf die Sprache seiner Organe zu achten, immer tiefer in die Arbeit der wortlosen Konzentration auf seine körperlichen Empfindungen: die »Felsbrocken im Bauch«, das »Koboldfeuer in den Muskeln«, den Atem auf der Haut. Die Aufmerksamkeit rutscht immer wieder ab, als wolle er »in Ballettschuhen eine Eiswand erklimmen«. Aber schließlich macht Parks Bekanntschaft mit dem, was ihm unbemerkt selbstverständlich war: »Die Verspannung war permanent und überall vorhanden. Ich putzte mir die Zähne wie wild, so als wollte ich sie abschleifen. Ich zog meine Socken mit solcher Heftigkeit an, als wollte ich die Zehen ganz hindurchstoßen. Ich band mir die Schuhe zu, als wollte ich die Schnürsenkel zerreißen. Meine Hände umklammerten das Lenkrad, als wollte ich es zerbrechen.« Die Erkenntnis dämmert: Es geht nicht um einen Krampf im Becken, Tim Parks ist der Krampf. Indem dieser Krampf sich lockert, weitet sich der Blick: vom Symptom im Unterleib auf die Inspektion der abendländischen Aktivitätskultur. […]

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