Mittwoch, 4. März 2009

Partnerschaftliches Modell von Elternschaft

… Die Widerstände gegen die Realisierung des „partnerschaftlichen Beziehungsmodells“ stecken aber sicher auch im bewussten oder unbewussten Festhalten an Verhaltensgewohnheiten. Eine aktuelle Studie zu „Besonderheiten der Zeitverwendung von Frauen und Männern“(Schach et al., 2005) kommt zu dem Schluss, dass Männer und Frauen in ihrer individuellen Zeiteinteilung geschlechtsspezifischen Mustern folgen.

„- Männer entscheiden über ihre Zeit in Abhängigkeit von der Zeit, die sie im Erwerbs- und Einkommensspielraum einsetzen.
- Frauen entscheiden über ihre Zeit in Abhängigkeit von der Zeit, die sie im Sozialspielraum einsetzen.
Für Männer rangieren Aktivitäten im sozialen Bereich und im Bereich von Freizeit fast gleichrangig. während Frauen eine eindeutigere Rangfolge von Aktivitäten haben. Nach dem Sozialspielraum hat der Erwerbs- und Einkommensspielraum zweite Priorität, erst danach setzen sie Freizeitaktivitäten. Für Männer sind eher Ausbildung und Beruf die ihre Zeitverwendung beeinflussenden Faktoren, während für Frauen eher die Anwesenheit von Kindern im Haushalt bedeutsam ist“ (Schach et al., 2005, S. 14).


[…]

Häufig noch sind wir in unserer Arbeit mit den negativen Folgen der patriarchalischen Struktur im Geschlechterverhältnis konfrontiert: Wir erleben immer wieder Männer und Frauen, die sich gegenseitig gering schätzen, sich und ihre Anliegen wechselseitig ignorieren, sich misstrauisch begegnen und sich in eskalierende Kampfsituationen verwickeln. Sie schaffen es nicht, sich wechselseitig als Ergänzung, Entlastung und Bereicherung zu verstehen und die Sorge und Arbeit für die gemeinsamen Kinder gemeinsam zu schultern.

Wir erleben, dass häufiger Männern als Frauen Zeit- und Finanzbudgetplanungen ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder vornehmen. Wir erleben Versuche – und dies häufiger bei Müttern als Vätern –, den jeweils anderen Elternteil aus Beziehungen zu und Verantwortung für die Kinder heraus zu drängen. Wir erleben Verantwortungslosigkeit, Grenzverletzungen, Sucht und Gewalt, die häufig zu Motivationsverlust, Desorientierungen, Traumatisierungen und psychischen Erkrankungen beim Partner/der Partnerin und den Kindern führen.

Meine Überzeugung ist, dass diese beschriebenen negativen Verhaltensweisen nicht (nur) einem „Bösen“, einem dem „Individuum innewohnenden Abstraktum“ (in Abwandlung der Marx-Formulierung) entspringen, sondern dem Ensemble der über die Jahrhunderte entwickelten Umgangsformen und Haltungen von Männern und Frauen zueinander, die eben von einem patriarchalen Verhältnis der Geschlechter geprägt sind. Das christliche Gebot der Nächstenliebe, die Aufklärung, die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter und die Erkenntnisse der modernen Sozialwissenschaften haben die Chancen dafür verbessert, dass in immer mehr familiale Beziehungen humane Muster Eingang finden können. Ein solches humanes und partnerschaftliches Verhalten der Eltern verspricht in jedem Fall bessere Lebens- und Entwicklungsbedingungen für die betroffenen Kinder und eine höhere Lebenserwartung für die Eltern selbst.

Als systemische Familienberaterinnen und -therapeutinnen sehen wir es u. a. als unsere Aufgabe an, verdrängte und nur als Symptom verzerrt wahrnehmbare Bedürfnisse und Anliegen von Familienmitgliedern zu erspüren, zu ihrer Wahrnehmung zu ermutigen, zu helfen, diese in den Diskurs der Familie einzubringen, dabei zu helfen, dass die Aushandlungsprozesse konstruktiv und gerecht gelingen können und somit Familien in einen neuen Balance-Zustand gelangen können. Wenn Eltern partnerschaftlich kooperieren, sich in ihrer Unterschiedlichkeit gegenseitig wertschätzen, anstehende Aufgaben und Probleme immer wieder lösungsorientiert diskutieren und erarbeitete Strategien verbindlich und einvernehmlich umsetzen, stellen sie ein ideales und zeitgemäßes Kommunikations- und Kooperationsmodell für ihre Kinder dar, das diese gut auf ihre Zukunft in der demokratischen und offenen Arbeits-, Leistungs-, Kommunikations- und Beziehungsgesellschaft vorbereitet.

In der praktischen Arbeit ist die Bestärkung vorhandener, wenn auch noch rudimentärer, konstruktiver Ansätze in bestimmten Fällen effizienter für die Unterstützung von positiven Entwicklungen als die Konfrontation mit dem recht hohen Standard des „partnerschaftlichen Modells von Elternschaft“. Und doch versuchen wir grundsätzlich, Väter in die Beratungsprozesse einzubeziehen, gerade auch bei Trennungs- und Scheidungssituationen. Die Themen Trennung und Scheidung sind in Erziehungsberatungsstellen bundesweit in einem sehr hohen Maß vertreten.

Seit 1994 haben wir die Beteiligung der Väter im Beratungsprozess statistisch erfasst und im jeweiligen Jahresbericht dokumentiert, eine Maßnahme zur Qualitätskontrolle unserer Arbeit. Jetzt nach 12 Jahren ist festzustellen, dass die Quote der erfolgreichen Einbeziehung der Väter in die Beratungen immerhin um die 60 Prozent pendelt. Erziehung und Beziehung als Thema, insbesondere als Thema von Beratungen, bleibt allerdings auch in der Erfahrung unserer Einrichtung eine Domäne der Frauen. Unsere Beobachtung ist, dass die Abwesenheit der Väter oder deren konsequente Nicht-Anteilnahme am Entwicklungsgeschehen ihrer Kinder zu folgenden negativen Erscheinungen führen können (in Klammern die z. T. unbewussten Impulse betroffener Kinder):

- geringes Selbstwertgefühl des Kindes („Papa hält mich nicht für wichtig!“),
- Ängste („Papa beschützt mich nicht!“),
- überzogene Selbstdarstellung oder stark ausgeprägtes oppositionelles Verhalten („Ich muss etwas anstellen, damit Papa sich endlich mal um mich kümmert!“),
- Geringschätzung von Frauen und Müttern („Papa lässt ja auch nicht erkennen, dass er die Mama respektiert oder sie mag!“),
- Eskalationen in der Pubertät („Papa hält sieh ja auch nicht daran, andere zu respektieren oder Absprachen einzuhalten!“),

Anzumerken ist, dass Jungen vermutlich aufgrund ihrer Identifikation mit dem Vater häufiger in dieser Weise auffallen, d. h. aber nicht, dass wir nicht auch schon bei Mädchen diese Zusammenhänge beobachten konnten. Daher ist es für unser Team eine Standard-Situation, einer allein erziehenden Mutter, die sich uns mit ihrem Kind wegen Erziehungsschwierigkeiten vorstellt, mit Nachdruck den Vorschlag zu unterbreiten, den getrennt lebenden Vater des Kindes in die Beratung einzubeziehen.

Unabhängig von einer besonderen Betrachtung der Rolle junger Väter sehen wir, dass die Situation junger Familien heute häufig folgende belastenden Merkmale aufweist:
- Die erforderliche berufliche Mobilität führt oft zum Verlust gut erreichbarer familiärer Unterstützungssysteme.
- Die im Beruf erworbenen hohen Ansprüche an Perfektion stehen oft im Konflikt mit den alltäglichen Chaos-Situationen im Zusammenleben mit kleinen Kindern. Die Eltern werden unzufrieden und missmutig, daraus entwickelt sich leicht ein Teufelskreis negativer Erfahrungen.
- Noch orientiert sich die Mehrheit der Unternehmen zu wenig an den innerfamiliären Lebensnotwendigkeiten junger Familien und zu stark an kurzfristigen wirtschaftlichen Strategien. Unternehmen sollten die besondere Belastungssituation junger Familien sensibel würdigen.
- Die pädagogisch-psychologische Bedeutung der Präsenz des Vaters als lebendige Person für seine Kinder wird immer noch zu häufig unterschätzt.
- Junge Paare sind zu wenig qualifiziert für das „Kleinunternehmen Familie“: Wichtige Module sind „gute Kommunikationsfähigkeit in Konfliktsituationen“ und die Entwicklung eines realistischen Verständnisses davon, was eine „gute Beziehung“ ist.
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aus Paul Scherfer-Samide, Der Trend zum partnerschaftlichen Modell von Elternschaft in Kontext 4/2007